Plötzlich rote Pünktchen am Bein
Der Fall. Sophie (5 J.) kommt mit ihrem Vater zu Ihnen. „Uns sind heute früh diese vielen roten Pünktchen an Sophies Beinen aufgefallen, die waren gestern noch nicht da“, schildert Ihnen der besorgte Vater die Situation. „Außerdem gefallen mir die vielen blauen Flecken nicht, die Sophie seit einigen Tagen hat. Sie weiß auch nicht, wo die alle herkommen, anstoßen tue sie sich selten.“ In der weiteren Anamnese erfahren Sie, dass die junge Patienten vor 2 Wochen einen resp. Infekt hatte, aber ansonsten immer gesund war. Klinik: Oberarme und Unterschenkel sind übersät mit mehreren verschieden großen Hämatomen. Petechien an beiden Beinen, Cor und Pulmo: unauff., Temp: 36,5°C, HF 110, BB: unauff. bis auf eine Thrombozytopenie (25 G/L). Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose und welche Maßnahmen leiten Sie ein? (ärztemagazin 16/17)
„Die typische Vorgeschichte für eine akute Immunthrombozytopenie“
Dozent Dr. Andreas Vécsei,
Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde, Wien
Sophie bietet die typische Vorgeschichte für eine akute Immunthrombozytopenie (ITP). Zur ITP passt auch das abrupte Auftreten von Hautblutungen bei einem Kind in ausgezeichnetem Allgemeinzustand. Trotzdem weise ich Sophie zur weiteren Abklärung in ein Spital ein für weitere Diagnostik, um andere wichtige Ursachen einer Thrombozytopenie auszuschließen. In meiner Ordination untersuche ich zuvor Sophie noch genau mit besonderem Augenmerk auf Schleimhautblutungen – Nasenbluten, Mundschleimhaut-Blutungen und Schleimhautblutungen an anderen Körperstellen (z.B. Konjunktiven). Ich achte auf etwa vorhandene Stigmata genetischer Erkrankungen (z.B. fehlender Radius) und versuche insbesondere eine Hepato-/Splenomegalie auszuschließen.
Vom Spital erwarte ich mir, dass die Diagnostik bei Sophie, die ja im Status keine ersichtlichen Schleimhautblutungen hat und insgesamt nicht beeinträchtigt erscheint und im Blutbild eine isolierte Thrombozytopenie bietet, einen Blutausstrich (Ausschluss von Blasten oder anderen Auffälligkeiten), Bestimmung der Blutgruppe und von Bilirubin, LDH und Kreatinin (Ausschluss von hämolytisch-urämischem Syndrom/ thrombotisch-thrombozytopenischer Purpura) umfasst. Wenn diese Untersuchungen keine pathologischen Ergebnisse zeitigen, ist tatsächlich von einer akuten ITP mit nur geringer Blutungsneigung („dry purpura“) auszugehen. Sophie benötigt somit keine medikamentöse Therapie und darf wieder nach Hause.
Vor der Entlassung sollten Sophie und ihre Eltern aufgeklärt werden, dass Medikamente wie NSAID und Aspirin und körperliche Aktivitäten, die zu Schädelverletzungen führen können, vermieden werden sollen („Immer mit zumindest einem Bein am Boden bleiben“). Wird dies beachtet, ist der Kindergartenbesuch gestattet. Häufige Blutkontrollen sind nicht nötig, da Blutungen und nicht die Thrombozytenzahl behandelt werden sollen.
„Bei typischen Verläufen klingt die Krankheit innerhalb weniger Wochen ab“
Priv.-Doz. DDr. Tamás Fazekas,
Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde, Wien, www.gemeinsamwachsen.at
Anhand der Vorgeschichte habe ich den Verdacht auf eine primäre Immun-Thrombozytopenie (ITP), da das Kind bislang offenbar gesund war und somit keine Grunderkrankung vorzuliegen scheint. Bei der klinischen Untersuchung werde ich frische Blutungen besonders im HNO-Bereich beziehungsweise in Gelenken suchen, was bei Sophie nicht vorliegt. Das Auftreten von Hautblutungen etwa zwei Wochen nach einem Virusinfekt passt in diesem Alter genauso zur ITP wie die isolierte Thrombozytopenie mit einer Thrombozytenzahl unter 100 G/L bei sonst unauffällligem Blutbild. Dennoch würde ich bei Erstmanifestation eine weitere Abklärung in einem Zentrum für pädiatrische Hämatologie empfehlen, um einen Blutausstrich von einem erfahrenen Kinderhämatologen beurteilen zu lassen und keine andere hämatologische Erkrankung zu übersehen. Zudem ist die automatische Zählung der Thrombozytenzahl in diesem niedrigen Bereich oft unzuverlässig. Vorerst würde ich auf eine weitere Diagnostik wie etwa Antikörper-Suchtest oder gar eine Knochenmarkspunktion verzichten, da keine untypischen Symptome wie Organomegalie oder Knochenschmerzen vorliegen.
Da bei diesem Mädchen eine milde Form ohne Schleimhautblutungen vorzuliegen scheint, wird man keine medikamentöse Therapie empfehlen, sondern lediglich körperliche Schonung, um Verletzungen und weitere Hautblutungen möglichst zu verhindern. Bei typischen Verläufen ist die Krankheit selbstlimitierend, sodass die Thrombopenie zumeist innerhalb weniger Wochen wieder abklingt. Häufige Laborkontrollen sind bei typischen Verläufen nicht automatisch vorgesehen, da die klinische Blutungsneigung für die Therapie entscheidend ist und nicht nur die Thrombozytenzahl. Die Eltern sind diesbezüglich aufzuklären, selbstverständlich sind blutungsfördernde Medikamente zu vermeiden. Dem Kind wird ein Arztbrief für Kindergarten oder Schule mitgegeben, damit im Falle von Blutungen die verantwortlichen Erwachsenen informiert sind.
„Ein stationärer Aufenthalt ist nur in Ausnahmefällen notwendig“
Prim. DDr. Peter Voitl, MBA,
Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde, Wien, www.kinderarzt.at
Das Blutbild und die Anamnese sind bereits sehr hinweisend auf eine infektassoziierte idiopathische thrombozytopenische Purpura bzw. Immun-Thrombozytopenie (ITP). In der Diagnostik zeigt sich eine isolierte Thrombozytopenie, wobei es wesentlich ist, den Ausstrich manuell durch einen hämatologisch erfahrenen Untersucher zu bewerten, da die automatisierte Zählung im niedrigen Bereich unzuverlässig sein kann. Typische Symptome sind Petechien, aber auch flächenhafte Hämatome und Schleimhautblutungen sind möglich. Diese häufigste Ursache einer Blutungsneigung im Kindesalter weist einen Häufigkeitsgipfel im Vorschulalter auf und kann entweder als primäre Form ohne erkennbare auslösende Ursache auftreten oder als sekundäre Form nach einer Virusinfektion sowie sehr selten nach einer Lebendimpfung.
Grundsätzlich ist die Erkrankung bei Kindern selbstlimitierend und bedarf nur selten einer medikamentösen Therapie, rund 60% der Kinder haben nach 6 Wochen wieder Thrombozytenzahlen über 100G/l. Allerdings ist auch eine persistierende ITP bekannt, die keine spontane Remission erreicht. Schwere Blutungen sind bei Thrombozytenzahlen unter 10G/l wahrscheinlicher. Diese hängen aber auch noch von Faktoren wie körperlicher Aktivität oder Trauma ebenso ab wie von bereits bestehenden Grunderkrankungen wie etwa Hämophilie. Naturgemäß muss die Differenzialdiagnostik von Thrombozytopenien bedacht werden. Zu vermeiden sind NSAR und körperliche Aktivitäten, die zu Verletzungen führen könnten. Bei schwereren Verläufen sind Kortikosteroide oder Immunglobuline indiziert, wobei man aber stets die Blutungen zu behandeln hat und nicht die Thrombozytenzahlen.
Eine Knochenmarkspunktion ist notwendig, wenn sich zusätzlich zur Thrombozytopenie Symptome zeigen, die für eine ITP untypisch sind wie Knochenschmerzen oder weitere pathologische Laborbefunde. Thrombozytenkonzentrate sollten nur bei strengster Indikation gegeben werden, da hierdurch eventuell weitere Autoantikörper induziert werden können. Ein stationärer Aufenthalt ist nur in Ausnahmefällen, etwa bei einer ausgeprägten Schleimhautblutung notwendig. Da sich die Behandlung v.a. nach der Klinik und nicht nach den Thrombozytenzahlen richtet, sind Kontrollen des Blutbildes nach 1 Woche, nach 6 Wochen, nach 3 und 6 Monaten ausreichend. Eine Betreuung durch einen mit diesem Krankheitsbild vertrauten pädiatrischen Hämatologen oder Rheumatologen sollte veranlasst werden.