Multi-Kulti-Frauenmedizin in Favoriten
Die Patientinnen der gynäkologischen Gruppenpraxis „Woman’s Care“ in Wien-Favoriten sind ethnisch bunt gemischt wie die Bevölkerung des Multi-Kulti-Bezirks. Die beiden Fachärzte zeigen, wie kultursensible Frauenmedizin funktionieren kann. (Medical Tribune 38/2017)
Die Gegend rund um die Quellenstraße 49, wo Dr. Martin Heber und Dr. Sabine Mühlleitner seit gut einem Jahr eine gynäkologische Gruppenpraxis führen, gilt nicht als die nobelste der Bundeshauptstadt. Favoriten war früher ein typischer Arbeiterbezirk von Wien. Heute ist der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund besonders hoch. „Als Ordination, in der uns an manchen Tagen Frauen aus über 20 verschiedenen Nationen ihr Vertrauen schenken, versteht sich für uns eine kultursensible Einstellung von selbst“, hebt Heber, der zuvor 20 Jahre lang schon an derselben Adresse eine Einzelpraxis betrieben hat, hervor. „Unterschiedliche Werte, Religionen und damit verbunden verschiedenste Bedürfnisse, Ängste und Erwartungen sind bei uns immer willkommen.“ Deshalb habe er sich mit seiner Kollegin dazu entschlossen, die als OG geführte Gruppenpraxis „Woman’s Care. Kultursensible Frauenmedizin“ zu nennen. „Kultursensible Frauenmedizin ist nicht nur der Name unserer Praxis, sondern unsere Philosophie“, bestätigt Mühlleitner. Sie war bereits seit 2001 Vertretungsärztin in der Ordi ihres Kollegen. Aus der beruflichen Zusammenarbeit ist eine enge Freundschaft entstanden: „Wir wissen, dass wir uns uneingeschränkt aufeinander verlassen können“, sagen sie unisono. Das sei in einer Gruppenpraxis unerlässlich.
Lehrgang “Transkulturelle Medizin”
Mühlleitner belegte von 2015 bis 2017 den Master Unilehrgang „Transkulturelle Medizin und Diversity Care“, „um die Sorgen und Bedürfnisse unserer Patientinnen besser deuten und verstehen zu können“. Sie ist die erste Gynäkologin österreichweit, die diese Fortbildung absolviert. „Das Arbeiten mit Migrantinnen macht uns sehr viel Spaß“, erzählt die engagierte Ärztin. Es spreche sich im Multi-Kulti-Bezirk rasch herum, dass sie hier willkommen sind. „Natürlich kommen auch Patientinnen nicht mehr, denen das bunte Treiben in unserem Wartezimmer zu viel ist. Damit müssen wir leider umgehen“, fügt Heber hinzu. Denn im politisch blauen Favoriten sei leider auch Ausländerfeindlichkeit ein Thema. „Doch bekommen wir ebenso viel positives Feedback. Viele Frauen sehen unseren Einsatz und unsere Arbeit als wichtigen Beitrag für unser Gesundheitssystem.“
Die Kommunikation mit den Migrantinnen bereitet in der Regel keine großen Probleme. Englisch wird vom gesamten Team gesprochen. „Wir haben viel Informationsmaterial entwickelt und dieses in viele der von unseren Patientinnen gesprochenen Sprachen übersetzen lassen. Das erleichtert den Frauen das Zurechtfinden in unserem System und vereinfacht uns unsere Arbeit deutlich“, schildert Mühlleitner. Und selbstverständlich sei eine Vertrauensperson als Dolmetsch in der Ordination immer herzlich willkommen. „So hoffen wir unseren Patientinnen in einer Situation, welche ohnehin oft mit Unsicherheit und vielleicht Angst behaftet ist, nämlich dem Arzttermin, Sicherheit zu geben und sie gut zu betreuen.“
Arzt oder Ärztin? Nicht immer egal!
Begonnen hat Heber 1996 in der neu gegründeten Kassenpraxis in Favoriten mit 120 Patientinnen im Monat. Innerhalb kurzer Zeit entwickelte sie sich zu einer der größten im Bezirk. Schon damals hatte er den Traum, dass sich seine Ordination einmal zu einer Gruppenpraxis entwickeln sollte. Fast genau zwei Jahrzehnte später hat sich dieser Wunsch erfüllt. Für den Antrag auf Gründung einer Gruppenpraxis sind ausreichend Patienten eine Voraussetzung. Die Ordination war im Laufe der Jahre auf über 20.000 Patientinnen angewachsen. Grundsätzlich sind in einer Gruppenpraxis die Patienten nicht an einen Arzt oder eine Ärztin gebunden. „Wir stehen beide uneingeschränkt für alle unsere Patientinnen zur Verfügung“, so Heber. „Kommen Sie morgen wieder, weil da ist Ihre Frau Doktor da, gibt es bei uns nicht!“ Natürlich können Patientinnen bei der Terminvergabe bei Woman’s Care aber vermerken, ob sie zum Herrn oder zur Frau Doktor wollen.
Beide Fachärzte erleben es als große Bereicherung, dass in der gynäkologischen Gruppenpraxis nun ein Arzt und eine Ärztin zur Verfügung stehen. „Das wird zunehmend gewünscht von den Patientinnen, umso mehr in einem multikulturellen Bezirk wie Favoriten“, ist Heber sich bewusst. „Es gibt einerseits Patientinnen, die sehr an mir hängen, weil ich sie schon jahrelang begleite“, erzählt er aus dem Praxisalltag. „Andere erschrecken, wenn sie mich als männlichen Arzt sehen, und wollen nicht von mir untersucht werden. Obwohl wir immer ein Foto auf die Tür des Behandlungszimmers hängen – mit dem Hinweis ,Derzeit ordiniert Dr. …‘ – kann das passieren!“
Patientinnen ersparen sich vielfach Weg ins Spital
Einen weiteren Vorteil ihrer beruflichen Partnerschaft sehen die Fachärzte in den sich ergänzenden Spezialisierungen: Während operative Eingriffe oder induzierte Aborte hauptsächlich von Heber durchgeführt werden, kommen zu Mühlleitner gerne die jungen Frauen und Mädchen zur Mädchensprechstunde und Verhütungsberatung. Die Betreuung von Frauen während der Schwangerschaft, die Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen sind ein zunehmend großer Anteil ihrer beider Arbeit.
„Aufgrund der Möglichkeit, in unserem Eingriffsraum kleinere Operationen durchzuführen, ersparen sich die Patientinnen vielfach einen Weg ins Spital“, betont Heber. „Dafür arbeiten wir mit einem Anästhesisten, Dr. Klaus Rieckmann, zusammen, der unsere Patientinnen kompetent versorgt.“ Häufigere Eingriffe seien z.B. das Setzen von Spiralen auf Wunsch der Patientin in Narkose, Curettagen, Schamlippenkorrekturen oder auch Schwangerschaftsabbrüche. Das neue Angebot der gynäkologischen Gruppenpraxis wird gut angenommen. Der Umsatz hat sich innerhalb des ersten Jahres um zirka ein Drittel erhöht. Das korreliert mit den Patientenzahlen. Aktuell zählen die beiden Fachärzte 300 bis 400 Patientinnen pro Woche. „Die Ordination ist damit schneller gewachsen als gedacht, wir können zufrieden sein“, zieht Heber Bilanz. Die Facharztkollegen im Bezirk hätten kein Problem mit der Konkurrenz: „Wir sehen uns nicht als solche. Wir sind alle gut ausgelastet!“
Mehr Platz für Empfangs- und Wartebereich
Ab Herbst wollen die beiden Partner die Gruppenpraxis räumlich erweitern. Sie wollen in Zukunft vermehrt auch parallel ordinieren können. Aktuell sind ihre Arbeitszeiten großteils noch gegengleich. Vergrößert werden sollen vor allem der Empfangs- und Wartebereich. Die Ordinationsassistenten werden mehr Platz bekommen und somit entspannter arbeiten können.
Das oftmals übervolle Wartezimmer erklärt sich u.a. daraus, dass einerseits schwangere Frauen sehr oft ihren Partner mitbringen und andererseits besonders Frauen mit Migrationshintergrund meist von Familienangehörigen begleitet werden. „Dass in Gesundheitssystemen vieler anderer Länder die Betreuung und Pflege der Patienten fast ausschließlich von Angehörigen übernommen wird – und nicht wie bei uns durch Menschen in Pflegeberufen – war eine der vielen wertvollen Informationen meines Unilehrganges“, erzählt Mühlleitner. „Das erklärt vieles und lässt uns besser verstehen.“
Viele Erfahrungen sammeln die beiden Mediziner einfach durch „learning by doing“. „Gerade der Austausch zwischen unterschiedlichen Kulturen und Gedankenwelten macht unsere Arbeit so spannend“, resümieren sie. „Wir versuchen sowohl fachlich als auch zwischenmenschlich nie aufzuhören, dazuzulernen.“
Der nächste fünfsemestrige, berufsbegleitende Lehrgang Transkulturelle Medizin und Diversity Care beginnt an der MedUni Wien im März 2018.
Infos & Anmeldung: www.meduniwien.ac.at/hp/ulg-transkulturelle-medizin/lehrgang/
Woman’s Care.
Kultursensible Frauenmedizin
Gruppenpraxis Dr. Martin Heber, Dr. Sabine Mühlleitner
FÄ für Gynäkologie und Geburtshilfe
Quellenstraße 49/1
1010 Wien
www.womans-care.at