Dr. Stelzl: Das Plastikzeitalter
Ich möchte den Historikern, die uns in einigen tausend Jahren ausgraben, interpretieren und beurteilen, ja nicht vorgreifen. Aber ich glaube, so wie wir den Jahrtausenden vor uns Namen gegeben haben nach ihren typischen Errungenschaften: Steinzeit, Bronzezeit, Eisenzeit usw., werden sie für unsere Zeit nur einen Namen finden können: die Plastikzeit. Oder das Plastikzeitalter. Denn das wird übrig bleiben von uns und unseren Kulturen. Und selbst wenn unsere Knochen komplett vermodert sind, unsere Bauwerke eingestürzt und sogar unsere Plutoniumaufbewahrungsstätten schon ein bisschen weniger strahlen, wird unser Plastik unbeschadet und unbeirrt den Globus überziehen.
Kein Zeitalter vor uns und keine Kulturen vor uns haben so viel und so nachhaltig an unserer alten Mutter Erde verändert. Und irreversibel verändert. Abgeholzte Urwälder, geschmolzene Polkappen, vergiftete Ozeane, ausgerottete Tierarten, ausgebeutete Kontinente, Millionen verhungernde Menschen auf der Flucht vor Krieg und Dürre. Und all das eingewickelt in immer mehr und mehr Plastik.
U wie Umwelt
Und der Wahnsinn geht weiter. Denn einige wenige verdienen gut daran und ein paar andere sind reich und alt genug, um sich ausrechnen zu können, dass ihnen der Klimawandel persönlich nicht mehr auf den Kopf fällt. Also einfach wegleugnen und weiter profitieren wie bisher. Der Rest kriegt den Irrsinn entweder gar nicht mit oder ist zu müde, um sich noch darüber aufzuregen. Oder erdrückt vom globalisierten Gefühl der Ohnmacht, um noch daran zu glauben, dass man selber irgendetwas verändern könnte. Der Beste aller Ehemänner und ich sind gerade auf der Hütte angekommen und packen den Einkauf aus. Ratlos stehen wir ein paar Minuten später vor einem prall gefüllten Müllsack. „Kannst du dich noch erinnern, als wir daheim so eine runde Mülltonne für alles zusammen vorm Haus stehen gehabt haben, so aus Blech?“ „Ja, hatten wir auch“, antworte ich und frage mich selbst, wie das möglich war.
Den Biomüll haben wir kompostiert, Plastikflaschen gab’s keine, denn wir tranken Leitungswasser, und Bier- oder Milchflaschen waren Pfandflaschen. Eine ganze Familie machte in einer Woche weniger Müll als wir beide gleich am ersten Urlaubstag. Dabei versuchen wir es wirklich! Plastikflaschen gibt’s nur, wenn wir in ein Land fahren, in dem man das Wasser nicht trinken kann, und im Karatetraining. Und die Trainingsflasche wird öfter wiederverwendet. Und beim Einkaufen passen wir ja auch auf! Aber irgendwas muss der Mensch ja essen. Und wenn der Mensch Gemüse will und keine Zeit hat, auf den Bauernmarkt zu gehen, dann muss er oder sie zum Supermarkt. Und dort wird’s richtig ärgerlich. Bei manchen Dingen würde ich mir ja noch eine hauchdünne Plastikfolie rundherum einreden lassen, da sie sonst auseinanderfallen oder schlecht zu reinigen sind oder was auch immer. Aber warum muss ein ca. zehn Zentimeter großes Bio-Salatherz in einem Plastikkörbchen liegen und zusätzlich mit einer dicken Folie umwickelt sein?
Bio oder weniger Verpackung?
Und interessanterweise: je mehr Bio, desto dicker die Verpackung. Das bringt einen also auf jeden Fall in die Klemme: Bio kaufen und den Verpackungswahn vergrößern oder nicht Bio kaufen und dafür Spritzmittel und Bienenausrottung in Kauf nehmen. Und man kommt nicht aus! Im Job noch weniger. Sogar die Papierrollen für die Untersuchungsliegen sind mittlerweile einzeln in Plastik verpackt! Da ich aber Papierrollen brauche, muss ich sie kaufen inklusive unverrottbarem Plastikmüll drum herum. Ärgern hilft nix, ändern lässt es sich nicht, denn angeblich ist das wichtig für die Hygiene. Ich habe auch vorher nicht erlebt, dass irgendjemand von einer nicht in Plastik gewickelten Papierrolle die Krätze bekommen hätte.
Tante Ulli läuft Amok
Am schlimmsten geht es mir, wenn ich mein Patenkind besuche. Der kleine Engel ist jetzt 20 Monate alt und verfügt über mehr Spielzeug als der große Kindergarten mit drei verschiedenen Gruppen, in dem ich vor über vierzig Jahren meine Vorschulzeit verbracht hatte. Und durch Gespräche und Vergleiche weiß ich, dass das heutzutage normal ist. Und das Ärgste ist, dass das Zeug – meist durch Kinderarbeit oder Sklavenarbeit ähnliche Zustände in Südostasien hergestellt, wie so viele unserer Luxusgüter – nicht einmal ruhig daliegen kann und darauf wartet, dass damit gespielt wird. Der Großteil davon spricht, singt, läutet, schreit und klingelt. Während wir ein Buch ansehen (das natürlich auch zwischendurch zu uns spricht), singt in einer Ecke Henriette, die singende Henne ihr immergleiches Leid, dazu gibt’s unterstützend die sprechende Kuh und das blökende Schaf, deren Namen ich trotz 800 Wiederholungen nicht behalten habe.
Im anderen Eck liegt ein knallbuntes Plastikhandy, das in Minutenabständen schrill klingelt und ruft: „Hallo, wer ist da?“ Meistens bin ich nach einer halben Stunde mit den Nerven durch. Letztens schon nach zehn Minuten. Ich lange nach der Henne, um ihr den elektronischen Hals umzudrehen und dem Handy, um ihm seine Eingeweide zu entfernen. „So jetzt ist erst einmal Ruhe“, meine ich. „Sonst läuft die Tante Ulli noch Amok.“ „Tante Uili Amuk!“, kräht es fröhlich aus den Tiefen der Plastikburg zurück. Und begeistert klatscht sie in ihre kleinen Patschhändchen und trappelt zur Tür hinaus: „Amuk, Amuk, Amuk!“ Upps, wie erklär ich jetzt ihrer Mama die neueste Bereicherung des kindlichen Wortschatzes?