Fall der Woche: Zum Arzt nur „meiner Frau zuliebe …“
Der Fall. „Nach langem Drängen meiner Frau, komm ich nun doch zu Ihnen“, begrüßt Sie Herr J. (75 J.). „Seit einigen Wochen muss ich nachts öfter aufstehen, um Wasser zu lassen, und meine Frau meint, das sei nicht normal. Da häufig nur wenig Urin kommt, finde ich das nicht weiter schlimm. Schmerzen habe ich ja auch keine und im Alter muss man halt öfter mal auf die Toilette. Da steckt doch sicher nichts dahinter, oder?“ Beim näheren Nachfragen erfahren Sie, dass Herr J. mindestens sechsmal pro Nacht urinieren muss und auch Pollakisurie sowie Dysurie auftreten. Algurie wird verneint. Beim Arzt war er schon Jahre nicht mehr, schließlich gehe es ihm gut, und die Rückenschmerzen, die seit ca. 4 Monaten rezidivierend auftreten, verschwänden ja auch immer wieder von selbst. Keine Dauermedikation. RR 140/85 mmHg, P 78, Temp 36,7° C. Wie gehen Sie weiter vor und was antworten Sie Herrn J.? Steckt mehr dahinter? (ärztemagazin 14/17)
„Die häufigste Ursache für derlei Beschwerden ist eine Prostatahyperplasie“
MR Dr. Georg Pfau,
Arzt für Allgemeinmedizin, Sexualmediziner, Männerarzt, Linz. www.sexualmedizin-linz.at
Das häufige „Aufstehen“, um zu urinieren, ist aus verschiedenen Gründen nicht in Ordnung. Zum einen stört es den Schlaf und an einen erholsamen Schlaf ist bei so häufigen Unterbrechungen nicht zu denken. Zum anderen muss man an eine Harnentleerungsstörung denken, die natürlich weiter abzuklären ist. Gerade, weil immer so wenig Urin kommt, ist das auffällig. Die häufigste – aber nicht allein mögliche – Ursache für derlei Beschwerden ist die gutartige Vergrößerung der Prostata, die man als Prostatahyperplasie bezeichnet. Dabei handelt es sich um eine ganz typische Erkrankung des älteren Mannes, die sich eben durch Harnentleerungsstörungen bemerkbar macht, zunächst nur durch eine Verminderung des Harnstrahls, dann aber auch durch häufigeren Drang zum Urinieren, der vor allem nachts als sehr störend empfunden wird. Auffällig ist nächtliches Aufstehen zum Urinieren von regelmäßig öfter als zweimal.
Anfangs kann man versuchen, durch Medikamente einen besseren Harnfluss und eine bessere Entleerung der Blase zu bewirken. Meistens funktioniert das sehr gut und manchem Patienten kann auf diese Weise eine Operation vollkommen erspart werden. Bei Erfolglosigkeit einer medikamentösen Behandlung muss aber operiert werden. Dabei werden die Harnwege wieder freigemacht. Meinen Erfahrungen mit vielen Patienten zufolge ist diese Operation zwar unangenehm, aber meistens erfolgreich. Die allermeisten Patienten sind danach ihre Beschwerden los. Wie immer gibt es auch bei dieser Operation Komplikationen. In diesem Fall kann eine Zeit lang der Schließmuskel der Harnröhre beschädigt sein, was sich in einer Inkontinenz äußern würde. Meist geben sich solche Probleme in kurzer Zeit wieder ganz von selbst. Ich rate jedem Patienten mit Harnentleerungsstörungen, sich untersuchen zu lassen. Der zuständige Arzt ist der Urologe.
„Im höheren Alter muss an ein Prostatakarzinom gedacht werden“
Univ.-Prof. Dr. Renate Heinz,
FÄ für Innere Medizin, Wien, www.renateheinz.at
Als internistin und Onkologin sage ich, dass bei älteren Männern mit diesen Symptomen eine Erkrankung der Prostata ausgeschlossen werden muss. Es war daher sehr richtig, dem Drängen der Ehefrau nachzugeben. Sollte die Gattin – was zunehmend häufiger wird –, in meine Ordination mitgekommen sein, frage ich, ob ich beide gleichzeitig informieren soll. Wenn erlaubt, sage ich Folgendes: Im höheren Alter muss an ein Prostatakarzinom gedacht werden, und das sollte vom Urologen rasch abgeklärt werden. Ungewissheit ist belastend, die gesicherte Diagnose ermöglicht die Einleitung einer wirksamen Therapie. Gerade in den letzten Jahren wurden große Fortschritte gemacht. Welche Art von Therapie für Herrn J. infrage kommt, hängt von verschiedenen Faktoren und v.a. auch von der Krankheitsausdehnung ab. Wenn die Rückenschmerzen mit meiner Verdachtsdiagnose zusammenhängen, ist eine systemische Therapie zielführend, d.h. es werden verschiedene Fachdisziplinen über die für Herrn J. beste Behandlung beraten. Ich frage, ob Herr J. einen Urologen kennt. Ich werde mich mit den Kollegen vernetzen und kontaktiere sie mit Erlaubnis von Herrn J.
Um Doppelgleisigkeiten zu vermeiden (auch ohne ELGA), gebe ich dem Patienten Laborüberweisung (Routineblute: Blutbild, Gerinnung, Eisen, Stoffwechselparameter, PSA) und Überweisung zum Knochenscan zusammen mit meiner fachärztlichen Stellungnahme mit auf den Weg und ersuche ihn, mich auf dem Laufenden zu halten, wobei die feingewebliche Untersuchung der Prostata in meinen Augen der erste wichtige Schritt sein sollte. Da sich Herr J. in einem guten Allgemeinzustand befindet (keine Vorerkrankungen, EKG-Befund OB) ist vorbehaltlich der noch ausständigen Laborbefunde keine Kontraindikation gegen die angestrebte Prostatabiopsie durch den Urologen gegeben. Das genaue Vorgehen erklärt der Kollege. Sollten Fragen auftreten, stehe ich gerne zur Verfügung. Auf Wunsch und bei Bedarf – v.a., wenn es internetaffine Verwandte gibt –, bin auch bereit, verlässliche Links zu empfehlen.
„Bei erhöhtem PSA sollte Herr J. einer Prostatabiopsie zugeführt werden“
OA Priv.-Doz. Dr. Robert Königsberg,
Hämatologische & Onkologische Schwerpunktpraxis Cancer & Health, Mödling,Haupstr. 38, Tel.: 0699 1 456 78 27, www.onkologie.cc
Differenzialdiagnostisch kommen bei dem Patienten eine Reihe von Erkrankungen infrage. Zu diesen zählen unter anderem: benigne Prostatahyperplasie (BPH), Striktur der Urethra, primäre Blasenhalsobstruktion und eine überaktive Blase. Zu den malignen urologischen Erkrankungen müssen das Prostata- und Blasenkarzinom sowie Nierenzellkarzinom in Erwägung gezogen werden. Auch sollte bedacht werden, dass ein lokal fortgeschrittenes Rektumkarzinom die Blase bzw. den Blasenhals von außen imprimieren kann. Die meisten Patienten mit frühem Prostatakarzinom haben keine Symptome. Hingegen werden häufiges Urinieren, Nykturie und das Gefühl einer Blasenentleerungsstörung oft bei lokal fortgeschrittenen Prostatakarzinomen beobachtet. Diese Symptome werden durch eine vergrößerte Prostata verursacht.
Der nächste diagnostische Schritt nach Ausschluss eines Harnwegsinfektes, ist die digitale rektale Untersuchung (DRU). Asymmetrische verhärtete und knotige Areale der Prostata sind karzinomverdächtig. Bei einer suspekten DRU sollte eine Laboruntersuchung mit folgenden Parametern durchgeführt werden: komplettes Blutbild, GOT, GPT, GGT, Bilirubin, LDH, alkalische Phosphatase (AP), Kreatinin, Elektrolyte inklusive Kalzium, PSA. Die häufigsten Laborveränderungen beim metastasiertem Prostatakarzinom sind Anämie sowie eine PSA- und AP-Erhöhung. Eine PSA-Erhöhung kann nicht nur durch Prostatakarzinome, sondern auch durch eine BPH, vorangegangene DRU oder bakterielle Prostatitis verursacht werden. Im Hinblick auf die Rückenschmerzen muss anamnestisch abgeklärt werden, in welchen Bereichen der Wirbelsäule die Schmerzen auftreten. Schmerzen sind die häufigste Manifestation von Knochenmetastasen. Eine Hyperkalzämie ist beim ossär metastasiertem Prostatakarzinom im Vergleich zu anderen malignen Erkrankungen relativ selten, da beim Prostatakarzinom osteoplastische häufiger als osteolytische Sekundaria auftreten.
Die beschrieben Rückenschmerzen können ein primärer Hinweis auf ossäre Metastasen sein, sollten aber nicht zwangsläufig als solche interpretiert werden. Neu aufgetretene oder sich verschlechternde Schmerzen, können von einem breiten Spektrum nicht maligner Erkrankungen herrühren. Ist bei dem Patienten das PSA erhöht, sollte dieser einer Prostatabiopsie zugeführt werden. Im Hinblick auf die Knochenschmerzen sollte zunächst ein konventionelles Knochenröntgen der Wirbelsäule durchgeführt werden.