Fall der Woche: Rätselhafte Wunde im Genitalbereich

Der Fall. „Ich fühl mich gar nicht gut. Das Fieber geht schon seit 4 Tagen nicht weg und ich fühl mich einfach nur matt und erschöpft“, begrüßt Sie Frau B. (20 J.). „Es ist mir etwas unangenehm, aber heut früh ist mir plötzlich diese Wunde im Genitalbereich aufgefallen, die furchtbar schmerzt. Dabei habe ich mich nirgends verletzt.“ Beim vorsichtigen Nachfragen erfahren Sie, dass Frau B. einen festen Freund, aber die letzte Woche keinen Geschlechtsverkehr hatte. Bei der klinischen Untersuchung zeigt sich eine ca. 1-2cm große Ulcera an den ­kleinen Schamlippen. Die regionären LK sind etwas geschwollen. Frau B. war die letzten Monate immer gesund, hat keine Vorerkrankungen oder Allergien und benötigt außer der Pille auch keine Dauermedikation. RR 130/85 mmHg, P 75, Temp. 38,5°C, Cor: rein, rhythmisch, Pulmo: VA bds. Was ist die wahrscheinlichste Diagnose bei Frau B.? Welche Therapie leiten Sie ein? (ärztemagazin 13/17)

„Der sogenannte Ulcus vulvae acutum tritt meist bei jungen Frauen auf“

Univ.-Prof. Dr. Georg J. Gerstner,
FA für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Wien
Derartige Ulcera am weiblichen Genitale in Kombination mit Fieber sind eine sehr seltene, aber schwere Erkrankung und bereiten differetialdiagnostisch große Schwierigkeiten. Beim sog. Ulcus vulvae acutum handelt es sich um ein meist bei jungen Frauen, wie hier, auftretendes, schmerzhaftes Geschwür am Scheideneingang und an den kleinen Schamlippen ohne identifizierbare Ursache. Die genaue Ursache ist nicht restlos geklärt, es besteht jedoch häufig eine Assoziation zum Epstein-Barr-Virus; auch Zytomegalieviren und Mykoplasmen wurden damit in Zusammenhang gebracht. Es geht, wie hier beschrieben, mit einer 3- bis 4-tägigen Prodromalphase mit Fieber, geschwollenen Lymphknoten und allgemeinem Krankheitsgefühl einher. Dann entstehen sehr schmerzhafte genitale Läsionen, die oralen Aphten ähneln. Diese können mit winzigen miliären Läsionen bis zu großen zerklüfteten, nekrotischen Ulzerationen einhergehen, welche die kleinen Schamlippen durch Reibung und Mazeration im worst case sogar perforieren und mit Narbenbildung abheilen können.

Differentialdiagnostisch kommen unter anderem Herpes genitalis, Ulcus molle, Syphilis, Morbus Behçet (häufig bei Patientinnen aus dem Mittelmeerraum und Türkinnen, mit gleichzeitigen oralen Aphten sowie einer Chorioretinitis) in Frage. Therapeutisch werden lokal desinfizierende Sitzbäder mit PVP-Jod oder Kaliumpermanganat, anästhesierende Cremen sowie eine antiseptische und antibiotische Lokaltherapie angewandt. Glukokortikoide, zum Beispiel Clobetasol (Dermovate) können sowohl lokal, in schweren Fällen auch ­sys­temisch gemeinsam mit Breitspektrum-Antibiotika verabreicht werden. Die Ulcera heilen meist innerhalb von 2-3 Wochen ab, Rezidive sind häufig.

„Eine laborchemische Analyse sollte möglichst rasch veranlasst werden“

Univ.-Prof Dr. Christian Dadak,
FA für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, MedUni Wien
Die richtige DIagnose bei dieser jungen Frau zu stellen ist gar nicht einfach. Zunächst sollte man von der Ulcusläsion einen zytologischen und Infektions-Abstrich machen. Eine laborchemische Analyse auf STD und weitere Infektionsparameter sowie Blutbild und CRP sollten möglichst rasch veranlasst werden. Als Differential­diagnosen für ein Ulcus vulvae kommen folgende Erkrankungen in Frage: Herpes genitalis, Ulcus molle, Syphilis (Ulcus durum), Morbus Behcet, Carcinoma vulvae, Morbus Lipschütz. Bei letzterer Erkrankung besteht oft ein Zusammenhang mit Mycoplasmeninfektion, Epstein-Barr-Virusinfektion oder Zytomegalievirusinfektion. Das Ulcus heilt meist unabhängig von der Therapie in 2-3 Wochen, manchmal aber auch erst nach 6 Wochen ab.

Therapeutisch, wenn die anderen Erkrankungen eindeutig ausgeschlossen wurden, kommen ein antiseptischer Salbenverband und Schmerzmittel zur Anwendung. Eventuell sollte auch ein Dermatolge zu Rate gezogen werden. Dieser sollte vor allem über die Gabe, Dossierung und Dauer einer Cortisontherapie entscheiden. Diese Erkrankung rezidiviert leider sehr häufig. Herpes genitalis macht Bläschen, Pappeln, die platzen und dann Ulcera machen. Sie sind meist sehr schmerzhaft. Der Nachweis gelingt durch eine PCR. Therapeutisch kommen vor allem Virusta­tika ( z.B. Aciclovir, oral oder iv, lokal ist obsolet) zur Anwendung. Ulcus molle ist bei uns eine eher seltene Erkrankung, kann aber aus Afrika eingeschleppt werden. Beginn ist nach Tagen oder Wochen nach Infektion mit dem Bacterium Haemophilus ducreyi. Ein Wundabstrich beweist die Erkrankung.

Die Syphilis-Erkrankung beginnt mit einem harten, aber schmerzlosen Ulcus (Primäraffekt). Im Abstrich finden sich massenhaft Treponema pallidum. Der Morbus Behçet ist eine System­erkrankung der kleinen Blutgefäße und kann im Bereich des Genitales und des Mundes Ulcera verursachen. Die Ätiologie ist nicht bekannt. Die Diagnose kann histologisch gesichert werden. Wenn alle diese Differentialdiagnosen nicht zutreffen, dann muss auch einmal schon in jungen Jahren mit einem Vulvacarcinom auf Basis einer HPV-Infektion gerechnet werden. Eine Biopsie ist unbedingt anzustreben.

„Bei akutem Ulcus vulvae ist auch an nichtinfektiöse Ursachen zu denken“

Univ.-Prof. Dr. Kora Hirtenlehner-Ferber,
FÄ für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, MedUni Wien
Selten kommt es vorwiegend bei jungen Frauen zum plötzlichen Auftreten genitaler Ulzerationen im Bereich des Introitus vulvae oder der Labia minora ohne anamnestischen sexuellen Kontakt. Die Patientin leidet meistens 3-4 Tage vorher an Prodromalien wie Abgeschlagenheit, leichtem Fieber und fühlt sich grippisch. Mit dem Auftreten des oder der genitalen Ulcera finden sich typischerweise lokal palpable schmerzhafte Lymphknoten. Bei Frau B. fällt mir auf, dass sie überwiegend über Schmerzen und Fieber klagt. Juckreiz und Bläschenbildung konnte sie nicht be­obachten. Somit kann ich einen Herpes, lichenoide Veränderungen sowie maligne vulväre Vorstufen ziemlich sicher ausschließen. Man muss natürlich sofort an venerische Infektionen denken, wie das Ulcus molle oder die Syphilis (wobei das ulcus durum meist nicht schmerzhaft ist!!), und diesbezüglich bakteriologische Abstrichuntersuchungen durchführen.

Diese waren bei der Patientin negativ, somit ist eine venerologische Ursache unwahrscheinlich. Der Morbus Behçet als Erkrankung des rheumatischen Formenkreises geht meist mit oralen Aphten, Gelenks-und Augenbeteiligung einher und ist im Falle der Frau B. somit auch nicht anzunehmen. Ich frage die Patientin, ob sie in letzter Zeit Analgetika oder Antibiotika einnehmen musste, denn auch dann kann es selten zum Auftreten „steriler“ genitaler Ulcera kommen. Sie verneint dies. Somit kann es sich bei Frau B. um ein sog. akutes vulväres Ulcus, den Morbus Lipschütz, handeln. Der Dermatologe Benjamin Lipschütz beschrieb dieses Krankheitsbild erstmals 1912 und glaubte fälschlicherweise, dass Döderlein-Bakterien die Ursache waren. Die Ätiologie ist nach wie vor nicht geklärt, es wird ein Zusammenhang mit einer vorangegangenen Epstein-Barr-Virusinfektion vermutet. Ebenso können Kleinkinder und Säuglinge betroffen sein.

Die narbenfreie Spontanheilung ist sehr wahrscheinlich, jedoch können Rezidive auftreten. Ganz selten sind die Ulcera so tiefgreifend, dass die Labien perforieren und vernarben. Die Patientin erhält eine Lokaltherapie mit anästhesierenden Salben und desinfizierenden Lösungen. Systemisch werden Analgetika, selten (bei Superinfektionen) Antibiotika und Glucokortikoide verabreicht. Frau B. ist 2 Wochen später wieder vollkommen beschwerdefrei.