20. Juni 2017

Myelomtherapie zu Hause

Das wäre theoretisch möglich: Ressourcen sparen, die Lebensqualität der Patienten verbessern und dabei optimale Therapiestandards sicherstellen. Praktisch sind die tirol kliniken mit Amgen die „Multiple Myeloma Companion“ eingegangen, um zu prüfen, ob die Rechnung aufgeht. (krebs:hilfe! 6/2017)

Knochenmarkausstrich bei multiplem Myelom.
Knochenmarkausstrich bei multiplem Myelom.

 

Dass Patienten mit Krebserkrankungen wie dem multiplen Myelom heute deutlich länger leben, ist nicht zuletzt neuen Therapien zu verdanken. Aber ihre Situation ist trotzdem nicht einfach, gab Univ.-Prof. Dr. Günther Gastl auf der Amgen.Press. Academy zu bedenken: „Die Abläufe in den Krankenhäusern sind mehr auf die Dienstpläne als auf den Patienten ausgerichtet. Lange Wartezeiten, aber auch weite Anfahrtswege zur Klinik stellen eine Belastung für Patienten und Angehörige dar.“

Win-Win-Situation

Zusammen mit der Pharmafirma Amgen wurde daher bei den tirol kliniken ein Homecare-Pilotprojekt entworfen, das „Multiple Myeloma Companion“. Warum dieser Partner? Zum einen, weil die Pharmafirma innovative Lösungen im Sinn einer wertorientierten Gesundheitsversorgung entwickeln möchte. Ein Homecare-Projekt erfüllt die Anforderungen. Es lässt eine Kostenreduktion im stationären System erwarten und eine höhere Compliance des Patienten, was dafür sorgt, dass Ressourcen auch sinnvoll eingesetzt werden. Zum anderen gab es einen aktuellen Anlass: die Einführung von Carfilzomib, einem Proteasom- Inhibitor, für die Therapie bei Patienten mit multiplem Myelom, die mindestens eine vorherige Therapie erhalten haben.

Gastl: „Die Patienten werden gut unterstützt und sind per Tablet und eine Hotline an die Klinik angebunden.“
Gastl: „Die Patienten werden gut unterstützt und sind per Tablet und eine Hotline an die Klinik angebunden.“

Das Medikament wird über eine halbe Stunde lang infundiert an den Tagen 1 und 2 über einen Zeitraum von drei Wochen, wöchentlich (also Tag 1, 2, 8, 9, 15 und 16). Es folgt eine zwölftägige Ruhepause (Tag 17–28). Die gesamten 28 Tage sind ein Behandlungszyklus. Hinsichtlich der Anzahl der Zyklen wird bis zur Progression oder bis inakzeptable Toxizitäten auftreten bzw. bis der 18. Zyklus erreicht wird. Ab dem 13. Zyklus wird nur mehr an den Tagen 1, 2 und 8, 9 therapiert. Die Carfilzomib-Gaben verlangen eine Prämedikation mit Dexamethason. Selbst im besten Fall – bei spitalsnaher Heimatadresse – ist ein Myelompatient also sechs Halbtage pro Monat mit seiner Therapie beschäftigt. Bei längerer Anreise werden es durchaus ganze Tage, die der Patient auf Achse ist.

Optimale Sicherheit

Gestartet wurde mit der Entwicklung des Projekts im Oktober 2016, als acht Patienten unter laufender tagesklinischer Therapie mit Carfilzomib standen. „Recht blauäugig“, wie Gastl rückblickend berichtet. Mit den vielen folgenden Meetings und der Ausweitung des einbezogenen Personenkreises hätte er nicht gerechnet. Aber jetzt startet das ambitionierte Projekt, das vorsieht, Myelompatienten ab dem zweiten Zyklus Carfilzomib zu Hause zu behandeln. Die Einschulung der Homecare- Nurses erfolgt gerade. Die GMP-konforme Zubereitung und Bereitstellung der Medikation erfolgt dabei durch die Anstaltsapotheke, sodass es keinen Qualitätsverlust gegenüber der stationären Therapie gibt. Durch die Verabreichung durch eigens geschultes Personal wird dem Patienten die Anreise erspart, bei höchstmöglicher Sicherheit. Diese wird nicht nur durch die Nurse vor Ort gewährleistet, sondern zusätzlich durch ein Behandlungsportal, das zum einen dem Patienten Informationen über Therapie und Behandlungszeiten gibt, zum anderen den Arzt über die Patienten auf dem Laufenden hält. Zusätzlich gibt es eine telefonische Anlaufstelle, die MM-Care-Line, an die sich Patienten und Angehörige jederzeit wenden können. Der Patient ist „an der elektronischen Leine“, sagt Gastl.

Kostenübernahme bei Erfolg

Für die nächsten zwei Jahre konnte eine Einigung für Tirol erzielt werden: Der Tiroler Gesundheitsfonds übernimmt die Kosten für Medikation und Zubereitung, tirol kliniken das Leihauto, und Amgen kommt für die mobile Pflegekraft, Kilometergeld, IT-System und Patienten-Tablets auf. Wie es danach weitergeht, wird von den Ergebnissen der projektbegleitenden Forschung abhängen. Ob dieses Projekt auch für Rest-Österreich etabliert werden kann? Ja, man habe schon erste Gespräche mit dem AKH Wien geführt, heißt es bei Amgen. Das Problem: Man fange wieder bei null an. Andere Gesprächspartner, andere Abläufe und neue Herausforderungen. Auf die Frage, wie viel Prozent der Onko-Therapien zu Hause durchgeführt werden könnten, antwortet Gastl: „Ich schätze, dass man insgesamt etwa ein Drittel aller Therapien ambulant durchführen könnte.“

Kernstücke und Meilensteine des Projekts

  • GMP-konforme Zubereitung der Medikation in der Krankenhaus-Apotheke
  • Home-Infusion, Beobachtung und Dokumentation durch geschultes Personal und Dateneingabe mittels Home Visit App
  • Telefonische Unterstützung durch eine ausgebildete onkologische Pflegeperson als zentraler Ansprechpartnerin (MM-Care-Line)
  • Digitale Kommunikation mittels Patienten- und Ärzteportal (Monitoring, Online- Fragebögen)
  • Begleitforschung: Lebensqualitäts- und Kosten-Nutzen-Analyse

„Neue Wege in der Betreuung onkologischer Patienten“, Vortrag im Rahmen der Amgen. Press.Academy, Wien, 25.4.17