Wenn die Füße nicht mehr wollen

Der Fall. „Diese Fußschmerzen hindern mich am Laufen. Meist beginnen sie nach ca. 5-6km und werden immer schlimmer, bis ich schließlich aufhören muss. So kann ich nicht für den nächsten Marathon trainieren.“ Herr N. (38 J., athletische Statur) schildert Ihnen sein Problem. „Diese Schmerzen fingen langsam an, so vor ca. 1 Jahr. Da war es nur hin und wieder mal. Aber jetzt ist es ständig. Ich hab schon alles Mögliche von Massagen bis Dehnübungen versucht, aber nichts hilft.“ Die Schmerzen befinden sich am linken Vorfuß zwischen dem 3. und 4. Zeh. „Es beginnt mit einem Kribbeln, so einem Ameisenlaufen, bis es dann zu stechenden und brennenden Schmerzen wird, die auch in die Zehen ausstrahlen. Dann besteht oft auch noch ein Taubheitsgefühl. Es wird erst besser, wenn ich die Schuhe ausziehe. Da muss man doch irgendwas tun können, oder?“ Was antworten Sie Ihrem Patienten? Welche Therapiemöglichkeiten gibt es für ihn? (ärztemagazin 11/2017)

 

„Bei Herrn N. besteht der Verdacht auf ein Morton-Neurom“

Univ.-Prof. Dr. Ronald Dorotka,
FA für Orthopädie und orthopädische Chirurgie (Sportorthopädie, Rheumatologie), Orthopädie-Zentrum Innere Stadt, Wien
Schon mit der Anamnese alleine besteht bei Herrn N. der Verdacht auf ein Morton-Neurom. Es folgt eine klinische Untersuchung, bei der sich inspektorisch vermutlich zumindest ein Spreizfuß zeigen wird. Die Untersuchung wird im Stehen und auch bei hängendem Fuß durchgeführt. Schmerzpunkte werden palpiert, wobei hier typischerweise zwischen 3. und 4. Zehengrundgelenk Schmerzen auszulösen sind. Das Fehlen eines Druckschmerzes an den Metatarsaldiaphysen würde gegen das Vorliegen einer Stressreaktion/Stressfraktur sprechen, die jedoch unbedingt in die differenzialdiagnostischen Überlegungen miteinzubeziehen ist. Der Verdacht auf ein Morton-Neurom würde auch durch das Auslösen eines typischen Kompressionsschmerzes am Vorfuß evtl. mit spürbarem Verschieben der Nervenverdickung (Mulder-Zeichen) bekräftigt werden.

Der Vollständigkeit halber sollten, wenn auch unwahrscheinlich, noch lumbale Ursachen in die Überlegungen miteinbezogen werden. Wegen der sportlichen Aktivität wird ein Röntgen des Vorfußes d.p. und schräg durchgeführt. Kann aufgrund der klinischen Untersuchung und der Anamnese das Vorliegen einer Stressreaktion nicht gänzlich ausgeschlossen werden, müsste noch eine MRT angeschlossen werden. Bis zum Vorliegen des Befundes wäre hier allerdings eine Laufpause und auch das Verwenden einer Sandale mit dicker Sohle anzuraten.

Es kann jedoch wegen des angegebenen eindeutigen Befundes und der Anamnese von einem Morton-Neurom ausgegangen werden. Nach Aufklärung des Patienten über sein Problem folgt eine Sportschuhberatung und die Verordnung orthopädischer Einlagen mit einem flach ansteigenden ­Metapolster zur Entlastung des betroffenen Interdigitalnervs. Die lokale Infiltration eines Lokal­anästhetikums mit einem niedrig dosierten Corticoid wird ebenfalls vorgeschlagen. Hier wäre zu prüfen, ob Herr N. hinsichtlich seiner Lauftätigkeit Dopingkontrollen unter­liegt. Als letzte Möglichkeit käme auch noch die operative Exstirpation des Mortonknotens in Frage.

„Betroffen sind hier meist der dritte und zweite Zehenzwischenraum“

MR Dr. Bernhard Gisinger
FA für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, Orthopädie Donau Zentrum, Wien
Viele Menschen, die ihre Lauf­leistung steigern, klagen über Schmerzen in den Beinen oder Füßen. Neben allgemeiner Fehl- oder Überbelastung finden sich immer wieder auch fassbare Erkrankungen. Bei den geschilderten Beschwerden ist an eine „Morton-Neuralgie“ zu denken, bei der es zu einer schmerzhaften Verdickung der Nerven zwischen den Mittelfußknochen kommt. Es lässt sich dann oft ein lokaler Druckschmerz oder auch ein starker Schmerz beim seitlichen Zusammendrücken des Vorfußes („Mulder-Zeichen“) auslösen. Betroffen sind hier meist der dritte und zweite Zehenzwischenraum. Als Ursache kommt eine mechanische Reizung der Plantarnerven durch zu enge Schuhe oder auch zu hohe Absätze in Frage.

Häufig sind die Symptome aber nicht so eindeutig und deuten eher auf eine Spreizfuß-Metatarsalgie hin. Weiters muss auch an die Möglichkeit eines Morbus Köhler II (aseptische Metatarsalköpfchennekrose) oder eines Knochenmark­ödems bis hin zum Ermüdungsbruch gedacht werden. Deshalb ist bei nicht ganz eindeutiger Symptomatik eine Röntgenuntersuchung indiziert. Die Morton-Neuralgie kann durch eine Ultraschall- oder Magnetresonanzuntersuchung nachgewiesen werden (Fibrosierung des Nervenknötchens).

Bei gesicherter „Morton-Neuralgie“ sind folgende Therapien möglich: Einlagenversorgung (Metapolster und allenfalls Ballenweichbettung), NSAR lokal, Infiltration mit kristallinem Kortison (von dorsal intermetatarsal), physikalische Therapien, Softlaser, Stoßwellentherapie, operative Entfernung des Nervenknötchens.

„Da häufig der Spreizfuß ursächlich ist, werden wir noch ein Röntgen machen“

OÄ Dr. Magdalena Materzok-Weinstabl,
FÄ für Unfallchirurgie, LKH Neunkirchen, Ordination Wiener Privatklinik
Lieber Herr N., ich denke, dass Sie unter einem sogenannten „Morton-Neurinom“ bzw. -Neuralgie leiden. Dabei kommt es zu einer Einengung des gemeinsamen Zehennervens meistens für die 3. und 4. Zehe, der für das Hautgefühl verantwortlich ist. Dies passiert durch Überbelastung, begünstigt durch Ihren Spreizfuß, da beim Abrollen ein viel größerer Druck auf den Nerv ausgeübt wird. Durch diese dauernde Reizung entzündet sich der Nerv und schwillt an. Typisch sind die belastungsabhängigen elektrisierenden Beschwerden, brennende Schmerzen, eventuell mit Kribbeln und die Besserung bei Entlastung oder Ausziehen der Schuhe. Wenig gepolsterte Schuhe oder harter Laufuntergrund fördern die Schmerzen. Frauen sind üblicherweise häufiger betroffen. Begünstigend wirken weiters enge Schuhe, Bindegewebsschwäche und Übergewicht.

Zur genauen Diagnosesicherung sollten wir noch eine MRT-Untersuchung und Röntgenbilder des Vorfußes im Stehen durchführen lassen. Ich kann den Nerv auch mit einem Lokalanästhetikum umspritzen. Wenn die Beschwerden für kurze Zeit verschwinden, ist die Diagnose ziemlich sicher. Am MRT sehen wir, wie groß die Nervenauftreibung ist. Sollte das Neurom klein sein, würde ich eine Neurolyse, d.h. Freilegung des Nervs und Entfernung einklemmender Strukturen empfehlen. Den Schnitt würde ich von der Streckseite des Fußes setzen, um eine störende Narbe zu vermeiden. Ist die Nervenverdickung größer als 8mm, muss dieser mit dem Nervengeschwulst entfernt werden. Dies führt jedoch dazu, dass die einander zugewandten Zehenflächen danach taub bleiben. Nach Wundheilung nach etwa 2 Wochen kann die volle sportliche Belastung wieder aufgenommen werden.

Nachdem die Beschwerden schon ein Jahr bestehen, erwarte ich eher keine Besserung auf konservative Maßnahmen. Da häufig der Spreizfuß ursächlich ist, werden wir noch ein Röntgen machen und ich würde Ihnen eine Gang­analyse mit Druckmessung und eventuell Einlagenversorgung empfehlen bzw. die Laufschuhe optimieren. Im Vordergrund stehen hier Maßnahmen, die das Quergewölbe unterstützen und den Druck vom Nerv nehmen. Ist der Spreizfuß ausgeprägt und therapie­resistent, kann er theoretisch auch operiert werden.