Alle Jahre wieder fliegen die Pollen

Der Fall. Ihr nächster Patient ist ein junger Student (24 J.). „Ich habe das Gefühl, dass mein  Heuschnupfen jedes Jahr immer schlimmer wird. Außerdem beginnt er jetzt schon im März und nicht mehr erst Ende April. Bis jetzt habe ich es immer vermieden, Medikamente dagegen zu nehmen, aber das geht jetzt nicht mehr. Ich bin nur noch am Niesen und Schneuzen. Können Sie mir bitte etwas verschreiben, das nicht müde und unkonzentriert macht. Ich habe bald Examen  und muss mich konzentrieren können.“ Die Klinik ist bis auf die deutlich gerötete Nase, sowie die leicht geschwollenen, rinnenden Augen unauffällig. Cor: rein, rhythmisch, Pulmo: VA bds, RR 130/83 mmHg, P 78/min, Temp. 36,4°C. Wie beraten Sie den jungen Mann, und was verschreiben Sie ihm? Sollten weitere Maßnahmen eingeleitet werden? (ärztemagazin 08/2017)

„In diesem Fall wäre eine allergologische Austestung nicht verkehrt“

MR Dr. Thomas Wasinger
Arzt f. Allgemeinmedizin, FA für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Wien

Der junge Mann ist offensichtlich allergisch prädisponiert und somit auch empfänglich für eine Ausweitung seines Allergenspektrums. In diesem Fall wäre eine allergologische Austestung hinsichtlich Frühblüher und eventuell auch Hausstaubmilben nicht verkehrt. Eine Indikation zur spezifischen Immuntherapie (SIT) könnte sich daraus ergeben. Diese wäre dann in weiterer Folge zu erwägen. Da Bedenken bezüglich der Einnahme von systemisch wirksamen Antihistaminika bestehen, die sicher eine gute Erfolgschance bezüglich der Symptomatik bieten, kann nur ein In-vivo-Test am Patienten helfen, das sedierende Potenzial in diesem speziellen Fall auszuloten. Meine Lieblingssubstanz in diesem Zusammenhang wäre Levocetirizin 5 mg abends, alternativ natürlich auch Desloratadin 5 mg.

Meiner Erfahrung nach ist das sedierende Potenzial beider Substanzen gering, aber individuell unterschiedlich. Deshalb Erstversuch zu einem Zeitpunk, wo der Patient es „riskieren“ will und kann, weil kein Examen ansteht und der Leidensdruck entsprechend hoch ist. Sollte mein Patient trotz alldem in irgendeiner Form symptombezüglich in seiner Alltagstauglichkeit eingeschränkt sein, würde ich zusätzlich oder gegebenenfalls auch zu Beginn (Patientenwunsch) ersatzweise eine topische Therapie mit Mometason-Nasenspray und beispielsweise Azelastin Augentropfen in die Wege leiten. Eine längerfristige Anwendung von kortikosteroidhaltigen Augentropfen verbietet sich hinsichtlich Augendruck/Glaukomgefahr ohnehin von selbst. Kurzfristig (3–5 Tage) als Überbrückung zur raschen Linderung der Beschwerden aber immerhin eine Option. Die topische Therapie (Azelastin oder Cromoglycin) ist zwar applikativ aufwändiger, aber unter complianten Umständen vergleichbar effektiv. Auf den leicht verzögerten Wirkungseintritt (3–5 Tage) sollte dann aber doch hingewiesen werden.

„Kurzfristig sind abschwellende Nasentropfen sowie Augentropfen sinnvoll“

Dr. Anna Kreil
FÄ f. Innere Medizin, Gastroenterologie & Hepatologie, Wien

Gerade in der geschilderten Situation muss man einerseits eine rasche Symptomlinderung als auch eine langfristige Betreuung anbieten. Zur kurzfristigen Therapie, vor allem in Hinblick auf das Examen, sind abschwellende Nasentropfen (eventuell in Kombination mit Cromoglicin bzw. bei Therapieversagen lokalem Kortison – für maximal 3 Wochen) sowie Augentropfen (Antihistaminika und eventuell kurzfristig vasokonstriktorischer Medikation) sinnvoll. Bei ausgeprägten Beschwerden, die sich mit lokaler Therapie nicht ausreichend behandeln lassen, ist auch eines der neueren systemischen Antihistaminika z.B. Allergodil oder Xyzall möglich, die nicht mehr so eine ausgeprägte Müdigkeit als Nebenwirkung hervorrufen. Eine Karenz bezüglich der Allergene (wenn bekannt bzw. lokalisierbar) – Vermeiden von Aktivitäten in Umgebung mit hoher Belastung etc. – wäre natürlich vorteilhaft.

Nur in ganz schweren und sonst therapierefraktären Fällen wäre auch eine kurzzeitige Cortisontherapie zu überlegen, ich würde Per-os-Medikation Subcutandepots vorziehen. Längerfristig ist einerseits eine allergiologische Abklärung (inkl. Nahrungsmittel, Hausstaubmilbe etc.) bezüglich Ursachen und eventuelle bestehende Kreuzreaktionen sinnvoll, da eventuell eine Hyposensibilisierung möglich und vielversprechend ist. Andererseits ist eine weiterführende pulmologische Abklärung und Weiterbetreuung wichtig (große Lungenfunktion, Provokationstests etc), da es zu einem Etagenwechsel mit allergischen pulmonalen Symptomen und bis hin zu Asthma bronchiale inkl. Status asthmaticus kommen kann. Hier müssen auch in Hinblick auf die Jugend des Patienten Langzeitkomplikationen beachtet und gegebenenfalls frühzeitig mit inhalativer Therapie begonnen werden. Der Verlauf kann von deutlicher Besserung der Symptomatik bei zunehmendem Alter, Besserung der Beschwerden nach Hyposensibilisierung bzw. unter Therapie bis zur Verschlechterung mit Etagenwechsel und pulmonaler Beteiligung sehr unterschiedlich sein – eine diesbezügliche Aufklärung und Observanz ist besonders wichtig.

„ Es gibt inzwischen sehr gute Antihistaminika die nicht müde machen“

MR Dr. Georg Pfau
Arzt f. Allgemeinmedizin, Linz

Die Beschwerden werden durch eine Allergie gegen Blütenpollen von Bäumen verursacht, die im März und April blühen. „Frühblüherallergien“ sind sehr häufig, meist werden sie durch Erlenpollen ausgelöst, aber auch durch Hasel und andere um diese Zeit blühende Sträucher.  Es gibt eine Therapie gegen bereits vorhanden Symptome und eine Behandlung, die darauf abzielt, solche Beschwerden zu verhindern und auch ganz zum Verschwinden zu bringen.  Die allerschlechteste Methode ist allerdings, eine Allergie zu ignorieren. Tatsächlich quälen sich viele Patienten lieber mit Krankheitssymptomen, als sich behandeln zu lassen, wohl aus der falschen Annahme, Medikamente würden eher schaden als helfen. Dies ist aber absolut nicht richtig, nicht behandelte Allergien führen zu einer Ausweitung des Spektrums – die Allergiesaison wird dann wie beim Studenten immer länger – und zu einem „Etagenwechsel“. Dieses Wort beschreibt die Verlagerung von Beschwerden von den oberen Luftwegen (Nase, Rachen, Augen) in tiefere Regionen des Atmungstraktes wie Kehlkopf, Luftröhre oder die Bronchien.

Akute Allergiebeschwerden müssen medikamentös behandelt werden. Welche Medikamente zum Einsatz kommen, kann nur der behandelnde Arzt nach einer entsprechenden Untersuchung festlegen. Es gibt inzwischen sehr gute Antihistaminika, die die Vorbereitung auf ein Examen nicht beeinträchtigen sollten, weil sie nicht müde machen. Je nach Beschwerdebild können noch weitere Medikamente kombiniert werden. Meistens handelt es sich dabei um lokal wirksame Sprays oder Inhalationspräparate, die, weil sie kaum in den Körper gelangen, dort auch nur vernachlässigbare Nebenwirkungen verursachen. Die Behandlung von akuten Beschwerden zielt darauf ab, Patienten möglichst schnell von Krankheitssymptomen zu befreien und ihnen wieder ein normales Alltagsleben zu ermöglichen. Viel besser wäre es, akute Beschwerden überhaupt zu verhindern. Hierzu ist es erforderlich, in der pollenfreien Zeit mit einer Desensiblisierungsbehandlung zu beginnen. Dabei wird nach neuerlicher Testung des Allergiespektrums ein maßgeschneidertes Präparat verabreicht. Manchmal in Form von Injektionen in unterschiedlichen Intervallen, manchmal auch in Form von Tabletten. Welches Präparat in Frage kommt, entscheidet der Arzt.