15. Feb. 2017

Dr. Stelzl: Zach, zacher, am zachersten!

Bis diese Kolumne mit der Medical Tribune in Ihr Postkästchen flattert, wird noch ein wenig Zeit vergangen sein. Während ich hier in meine Tastatur hacke, schreiben wir Ende Jänner, das neue Jahr ist also gerade mal vier Wochen alt, und ich war schon dreieinhalb davon krank. Das ist selbst für meine Verhältnisse eine Leistung. Dementsprechend zaaach ist das Arbeiten, und irgendwie sehne ich mich nach Ich-weiß-eigentlich-gar-nicht-was. Mir fehlt sogar schon die Phantasie dafür vor lauter zaaach.

Das neue Jahr begann mit Niesanfällen statt mit einem Feuerwerk und mit Erkältungsbad statt Silvesterwanderung. Zum Donauwalzer gab’s Hustensaft statt Champagner. Die darauffolgenden Tage waren die, die von fast allen Menschen als Weihnachtsferien bezeichnet werden. Außer man hat selbst die Ordination geöffnet. Dann sind es nämlich die Tage des abnormalen Praxiswahnsinns. Alle sind krank, wer nach der Weihnachtsgans noch keine Gallenkolik hatte, kriegt sie sicher nach den Silvesterbrötchen und die meisten Kollegen sind intelligenterweise noch im Urlaub.

Zu den echt Kranken und Verstopften kommen noch die, die jetzt endlich mal die Zeit finden, ihren Knie­röntgenbefund vom August durchzubesprechen. Und die natürlich Fremdpatienten sind und es absolut nicht verstehen, warum man keinen Zugriff auf einen Befund hat, von dessen Existenz man nicht einmal wusste. Und weder Zeit noch Lust hat, selbigen auszuheben, während im Wartezimmer der Aufstand der Grippekranken ausbricht.

Na ja, irgendwie ist diese Phase auch vorübergegangen und in der Woche darauf wurde dann dank Antibiotika, Hustensäften, Asthmasprays und Vitamintabletten der eigene Infekt langsam besser. Der Schnupfen blieb noch weitere zehn Tag treu an mir kleben. Dann kamen drei beschwerdefreie Tage, und ich war voll der Euphorie. „Jetzt geht’s bergauf, das Wetter ist saukalt, aber schön, ich will raus, will langlaufen, Ski fahren. Will leben!“

K wie Krankengeschichte

Der nächste Tag brachte dröhnende Kopfschmerzen. Ich schlich durch die verdunkelte Praxis und selbst der Klang der eigenen Stimme schmerzte. Ganz zu schweigen von allen anderen akustischen und olfaktorischen Reizen. Am Abend bemerkte ich dann etwas Unschönes im Gesicht. Zwischen Nasenrücken und Augenwinkel hatte sich eine pochende, geschwollene Rötung breitgemacht und die Brille wollte nicht mehr so recht auf der Nase hocken bleiben. Jetzt gibt es nicht mehr allzu viel aus der topo­graphischen Anatomie, das meine Erinnerung noch belastet. Etwas ist aber geblieben. Der Horror, den mir der hochehrwürdige Professor damals eingeflößt hatte, vor Läsionen und Eiterungen in diesem Gebiet. Alles ginge direkt ins Hirn, und dann kamen grauenhafte Geschichten von Hirnabszessen, Sinusvenenthrombosen und Grabsteinen. Da hat man zirka 1,8 Quadratmeter Körperoberfläche und dann ausgerechnet diese drei Quadratzentimeter! Kann ich denn nicht ganz einfach ein Wimmerl am A… kriegen? Nein, konnte ich nicht.

cartoon_vertretung

Also wieder Antibiotika. Ich optierte für ein Makrolid, suboptimal, vom Spektrum aber besser verträglich für mich. Ohne permanente Übelkeit und Antibiotika-induzierten Imperativ. So weit, so gut. Schlecht und schwindlig war mir trotzdem, der Kopf dröhnte und das Arbeiten wurde noch zaaacher. Am Samstagmorgen, drei Tage Therapie waren vergangen und ich voller Hoffnung, dass ES nun endlich verschwunden wäre und ich an einem strahlend schönen und saukalten Wintertag raus auf die Berge könnte, wachte ich auf. Schon bevor sich mir der erste Spiegel in den Weg stellte, bemerkte ich eine eigenartige Gesichtsfeldeinschränkung. Der Spiegel erklärte dann auch gleich wieso: Das rechte Auge war fast nicht mehr vorhanden und im Übrigen sah ich aus wie ein Goldhamster mit Schlaganfall. Panik!

Ins Krankenhaus zu müssen macht mir fast genauso viel Angst wie der Friedhof. Also beschloss ich, Ersteres zu vermeiden, und hoffte, Zweiteres zu verhindern. Ich griff also widerwillig zum altbewährten Gift in der leuchtend violetten Packung, dazu gab’s massig NSAR und immer wieder mal ein Gläschen in pisswarmem Wasser aufgelöstes Probiotikum. Das Wochenende verging ohne Krankenhaus und glücklicherweise auch ohne Friedhof, und am Montag stehe ich ganz brav wieder auf der Matte.

Jetzt sehe ich nur mehr wie ein Goldhamster aus. Mimik habe ich schon wieder. Die Brille geht gar nicht, ich behandle meine Patienten also relativ blind. Gut, dass alle schöne Venen haben und der Bildschirm ein riesiges Schriftbild. Die paar Muttermale und unleserlichen alten Impfpässe, die man mir unter die Nase hält, werden entschuldigend vertagt. Aber es ist zaaach. Wie ist da eigentlich die Steigerung? Zaaaacher, am zaaaaachersten? Na ja, jedenfalls genau dort bin ich angelangt, als ein kraft- und energiestrotzender Patient zur Tür hereinkommt. Er ist seit Sommer im Krankenstand. Burnout. Die Auszeit tut ihm sichtlich gut. Wir sind ungefähr gleich alt und ich weiß nicht, ob ich in den letzten zwanzig Jahren jemals so gesund und relaxt ausgesehen habe. Sein Krankenstand geht auf unbestimmte Zeit weiter. Ich möchte weinen.

Als Nächstes kommt einer, der ist Ende fünfzig, hat zugegebenermaßen viel gearbeitet und viel geleistet in seinem Leben und präsentiert mir sein Anliegen. Ich soll ihm helfen, bald in Pension zu gehen … Ich verstehe sie ja beide. Aber ich bin auch nur ein Mensch. Ich hocke da ganz ohne Krankenstand und werde mit achtzig noch nicht in Pension gehen können. Gott, gib mir Gelassenheit. Bitte. Und einen Sandsack!

 

 

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune