Die geheimen Helden der Skirennen
Im Zentrum des Medienrummels rund um Ski-WM und Hahnenkammrennen stehen meist die Athleten. Doch ohne gut organisierte medizinische Versorgung wären die sportlichen Großereignisse nicht durchführbar. (Medical Tribune 6/2017)
Elf Rennen, 600 Sportler aus 70 Ländern, 140.000 Fans vor Ort und mehrere hundert Millionen vor den TV-Bildschirmen weltweit – die Alpine Ski Weltmeisterschaft in St. Moritz (6.–19. Februar) ist ein frühes Mega-Event im Sportjahr 2017. Im Rampenlicht stehen natürlich Stars wie Marcel Hirscher oder Lindsey Vonn. Doch auch im Hintergrund, teils abseits der Pisten, wird Großes geleistet. Nicht zuletzt von Medizinern.
MT wollte wissen, was für ein medizinischer Aufwand hinter so einem Großereignis steckt und wie die Schweizer Veranstalter die Versorgung organisiert haben. Dazu nahmen wir Kontakt auf mit jenem Mann, der dafür verantwortlich zeichnet: Dr. Andreas „Andi“ Grünenfelder. Der ehemalige Schweizer Skilangläufer ist als medizinischer Leiter des straßengebundenen Rettungsdienstes und einer der leitenden Notärzte im Kanton Graubünden seit bald 15 Jahren für die rettungsdienstliche Abdeckung fast aller Events im Oberengadin zuständig.
„Die größte Herausforderung ist das Unerwartete. Man muss sich im Vorfeld möglichst viele Szenarien ausdenken und durchzuspielen“, sagt Grünenfelder und weiß ganz genau: „Alles kann man leider nicht abdecken.“ In St. Moritz gebe es eine Klinik, in einem Nachbarort noch ein kleineres Spital – in Summe könne man etwa 400 Patienten unterbringen. „Alles andere ist dann jenseits der Berge“, erklärt Grünenfelder.
Das erste Mal war er bei der Alpinen WM 2003 ebenfalls in St. Moritz im Einsatz. Da sich die geopolitische Lage in den letzten Jahren stark verändert hat, arbeiten die Organisatoren für diese WM eng mit der Polizei (Schweizer Sicherheitsdienst), der REGA (Schweizer Rettungsflugwacht) und dem Schweizer Militär zusammen. Das Militär stellt zwei Sanitätskompanien und zwei MSE2 (Militärische Sanitätseinheit). Ein Hubschrauber muss immer vor Ort sein.
„Wir haben alles unter einem Hut, also die Versorgung der Athleten wie auch jene der Zuschauer“, erklärt Grünenfelder. Genau genommen habe das Sanitätskonzept vier Dispositiven: die Abdeckung der Piste, die Abdeckung des Zielraums, die Abdeckung des Dorfes St. Moritz und das „Tagesgeschäft im Tal“. Dafür stehen 130 Leute zur Verfügung, 35 davon sind Ärzte (zu etwa 90 Prozent Notärzte), die eigens engagiert und vom Veranstalter bezahlt werden. Noch einmal so viele Mediziner sind in der Gegend niedergelassene Ärzte, die mit einbezogen werden. „Urlaub ist in dieser Zeit verboten,“ sagt Grünenfelder, der mit seinem Team fast zweieinhalb Jahre an der Organisation der WM gearbeitet hat.
2015 zeichnete er für das Weltcup-Event in St. Moritz verantwortlich. Damals waren 3500 Fans bei den einzelnen Rennen vor Ort live dabei und es gab zwischen vier und 40 Einsätze. Was sind die häufigsten Vorfälle im Zuschauerraum?, will MT wissen. „Das ist bunt gemischt, reicht von der Blase am Fuß bis zum Herzinfarkt“, berichtet der Mediziner. Die Weltmeisterschaft ist freilich ein anderes Kaliber: Grünenfelder erwartet bei den Speed-Bewerben bis zu 45.000 Fans vor Ort. Insgesamt geht er bei der WM von rund 500 Patientenkontakten aus.
Nervös ist er trotz aller Routine immer noch. Sein Wunsch: „Schönes Wetter! Und dass man uns gar nicht bemerkt.“ Denn das hieße, dass nichts Schlimmes passiert.
Hahnenkammrennen
In Kitzbühel kann das Rote Kreuz nach dem Hahnenkammrennen schon Bilanz ziehen. Insgesamt mussten etwa 100 Besucher medizinisch versorgt werden. „Meist handelte es sich um kleinere Verletzungen oder internistische Notfälle“, berichtet Florian Feix von der Bezirksstelle Kitzbühel des Österreichischen Roten Kreuzes. Dank des schönes Wetters und der guten Schneelage wurden heuer weniger Stürze als im Vorjahr verzeichnet, freut sich Feix.
Das Österreichische Rote Kreuz Tirol, Bezirksstelle Kitzbühel, stellt traditionell die medizinische Versorgung beim Hahnenkammrennen. Alleine könnten die Kitzbühler den Personalaufwand allerdings nicht bewältigen – Unterstützung kommt aus anderen Tiroler Bezirken, von verschiedenen Landesverbänden des Österreichischen Roten Kreuzes und vom Bundesheer. „Mehr als 130 Sanitäter sowie sieben Notärzte standen über alle drei Veranstaltungstage verteilt im Einsatz“, erzählt Feix.
Um bei den hohen Besucherzahlen den Überblick zu bewahren, zählt gute Organisation. Ein eigens errichteter Containerbau im Besucherbereich beherbergt eine Sanitätshilfestelle sowie die Einsatzzentrale. In der Sanitätshilfestelle wird jeder Patient registriert, erhält eine Nummer und wird einem Notfallsanitäter zugewiesen, der gemeinsam mit den Notärzten die Behandlung durchführt. Neben der kompletten Ausstattung eines Notarzt-Einsatzfahrzeuges stehen im Behandlungsraum Medikamente und Wundschlussmaterial zur Verfügung. Zur Erstversorgung von Akutpatienten ist ein Schockraum eingerichtet. Nach der Erstversorgung bringen Rettungswägen die Patienten wenn nötig in das Bezirkskrankenhaus St. Johann.
Während des Rahmenprogramms sind auch in der Kitzbühler Innenstadt Sanitätsteams im Einsatz und die Volksschule wird während der Renntage um Patientenablageplatz umfunktioniert. An der Rennstrecke sind sieben Notärzte positioniert – „neuralgische Stellen“ wie Mausefalle und Hausbergkante sind teilweise sogar doppelt besetzt. Leitender Rennarzt ist seit 1987 der Kitzbühler Allgemeinmediziner Dr. Helmuth Obermoser. Mit seinem Sohn teilt er sich nicht nur die gemeinsame Arztpraxis und den Namen, sondern auch die Begeisterung für den Skisport. So kam es, dass auch Dr. Helmuth Obermoser junior seit 2014 als Streckenarzt auf der Streif mit dabei ist. „Während der Rennwoche bleibt die Ordination geschlossen. Die genauen Startzeiten werden oft wetterbedingt sehr kurzfristig bekannt gegeben, sodass ein paralleler Ordinationsbetrieb nur schwer planbar wäre.“ Wie die Obermosers zu dieser besonderen Aufgabe gekommen ist? „Der Skiklub Kitzbühel hat angefragt.“