Starkes Stechen im Brustkorb
Der 18-jährige Paul kommt diesen Morgen zu Ihnen mit folgendem Problem: „Ich bin heut Nacht plötzlich wegen diesem starken Stechen hier im Brustkorb aufgewacht“ und zeigt auf seinen linken Thorax. „Erst habe ich mir nichts dabei gedacht, weil ich öfter mal ein Stechen im Brustkorb habe, aber dieses Mal war das irgendwie anders und außerdem fällt mir das Atmen schwerer als sonst. Es wird auch immer schlimmer.“ Paul ist ca. 180 cm groß und nur 70 kg schwer und er zeigt eine deutliche Dyspnoe. Cor: rhythmisch und regelrecht, Pulmo: hypersonorer Klopfschall, fehlendes Atemgeräusch links. EKG: unauffällig. RR 125/90 mmHg, P 99, Temp. 37,0°C. Wie lautet Ihre Diagnose? Und was ist zu tun? (ärztemagazin 22/2016)
„Rauchen und niedriges Körpergewicht erhöhen das Pneumothorax-Risiko“
OA Priv.-Doz. Dr. Ivan Tancevski,
Univ.-Klinik für Innere Medizin VI, MedUni Innsbruck
Es handelt sich hierbei um einen akuten Pneumothorax links. Ähnlich zum Fallbeispiel tritt der primäre spontane Pneumothorax wesentlich häufiger bei jüngeren Männern (m:w 6,2:1) auf (20-30a, Inzidenz 7,4 – 37 pro 100.000/Jahr), wesentliche Risikofaktoren hierfür sind eine hohe Statur, niedriges Körpergewicht und Rauchen. Letzteres verursacht eine chronische Inflammation mit fortschreitender Destruktion der kleinen Atemwege, welche für die Entwicklung eines Pneumothorax prädisponiert.
Interessant ist, dass das Risiko für einen primären spontanen Pneumothorax direkt mit der Anzahl gerauchter Zigaretten pro Tag korreliert, wobei schwere Raucher ein bis zu 100-fach erhöhtes Risiko aufweisen. Neben dem primären spontanen gibt es den sekundären spontanen Pneumothorax. Dieser tritt vorwiegend in späteren Lebensjahren auf (60-65a; m:w 3,2:1). Bei diesen führt meist eine zugrunde liegende Lungenpathologie zum Pneumothorax. Bei einem jungen Mann wäre hierbei differentialdiagnostisch beispielsweise an eine Pneumonie, an eine vorbestehende zystische Fibrose, seltener an eine Langerhans-Zell-Histiozytose oder an eine Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie bei zugrunde liegender Immundefizienz zu denken.
Zur Diagnosesicherung wird bei dem Patienten ein Thorax-Röntgen durchgeführt. Bei zunehmender Dyspnoe und bereits grenzwertiger tachykarder Herzfrequenz wird er umgehend unter hämodynamischem Monitoring und ausreichender Sauerstoffzufuhr an die Chirurgie transferiert. Dort wird der Pneumothorax mittels Bülaudrainage entlastet.
Im Falle einer raschen hämodynamischen Verschlechterung mit beginnendem Mediastinalshift würden wir den Pneumothorax akut vor Ort entlasten. Hierbei wird ein 14-G-Venflon (oranger Venenverweilkatheter) – bei einem am Rücken liegenden Patienten – im 2. oder 3. Interkostalraum in der Medioklavikularlinie in den Pleuraspalt eingeführt. Der Sekundärtransport an die Chirurgie erfolgt nach hämodynamischer Stabilisierung.
„Der Patient sollte mit der Rettung mit O2-Insufflation transportiert werden“
Dr. Thomas Hafner,
FA für Innere Medizin (Kardiologie), Wien
Die erste Verdachtsdiagnose ist ein Pneumothorax, da von keinem Trauma berichtet wird im Sinn eines Spontanpneumothorax, hinweisend sind neben der typischen Klinik mit stechendem Thoraxschmerz und Atemnot der ipsilateral hypersonore Klopfschall sowie die ipsilateral fehlenden Atemgeräusche. Wichtig zu wissen wäre noch, ob der Patient bereits einmal einen Spontanpneumothorax gehabt hat und ob eine bekannte Lungenerkrankung vorliegt.
Das junge Alter des Patienten spricht für einen primären Spontanpneumothorax, d.h. einen Spontanpneumothorax ohne (bekannte) Lungenerkrankung – zu den häufigsten Ursache eines sekundären Spontanpneumothorax, d.h. eines Spontanpneumothorax mit bekannter Lungenerkrankung gehören neben der COPD die in dem jungen Alter des Patienten durchaus mögliche zystische Fibrose, der schlanke Habitus des Patienten lässt auch an ein Marfan-Syndrom als mögliche Ursache denken.
Wäre ich Pulmologe, könnte ich Diagnose und Risikostratifizierung gleich in der Ordination mit Hilfe der Durchleuchtung sichern. Aus der Sicht des niedergelassenen Internisten ist v.a. relevant, wie und wohin der Patient transportiert wird – da sich aus dem Lungenröntgen sowie dem klinischen Verlauf die Notwendigkeit einer Drainage ergeben kann, sollte dieses in einem Spital durchgeführt werden.
Der Patient klagt über zunehmende Atemnot, ist aber hämodynamisch stabil – er sollte mit der Rettung mit O2-Insufflation, aber vorerst ohne Drainage transportiert werden, angesichts des zunehmenden Charakters der Atemnot wäre mir aber wohler, wenn ein Notarzt dabei ist; v.a. wenn es sich bei dem Spontanpneumothorax um ein Rezidiv handelt oder eine Lungenerkrankung vorliegt, wäre ein Spital mit Thorax-chirurgischer Abteilung anzustreben, da dort die in diesem Fall notwendige Video-assistierte Thorakoskopie VATS durchgeführt werden könnte. Rezidive sind auch bei einem primären Spontanpneumothorax häufig und die Wahrscheinlichkeit eines neuerlichen Rezidivs kann durch eine VATS gesenkt werden.
„Es ist anzunehmen, dass eine einfache Nadelaspiration nicht ausreicht“
OÄ Univ.-Prof. Dr. Judith Löffler-Ragg,
Univ.-Klinik für Innere Medizin VI, Pneumol. Ambulanz mit SP für seltene Erkrankungen, MedUni Innsbruck
Akut aufgetretene, stechende linksthorakale Schmerzen mit zunehmender Luftnot sind ein Alarmsignal für eine lebensbedrohliche Erkrankung. Hämodynamisch wirkt der Patient unauffällig, der klinische Lungenbefund mit hypersonorem Klopfschall und fehlendem Atemgeräusch links ist schnell wegweisend für das Vorliegen eines Pneumothorax. Klinische Anzeichen für einen Spannungspneumothorax gibt es bei fehlender Tachykardie und normalem RR noch nicht. Die Sättigung könnte bereits reduziert sein, jedenfalls würden sofort 3l/min 02 verabreicht werden (hat auch Vorteile für die Resorption der Luft im Pleuraspalt) und sollte zügig ein Thorax-Röntgen im Stehen in Expiration zur Bestätigung der Verdachtsdiagnose und Bestimmung des Ausmaßes erfolgen.
In Anbetracht der deutlichen Klinik ist anzunehmen, dass eine Thoraxdrainage mit Saugung anzulegen und eine einfache Nadelaspiration nicht ausreichend ist. Die Anamnese spricht für einen Spontanpneumothorax (SPTX, ohne Trauma). Hierbei ist ein primärer SPTX von einer sekundären Form mit prädisponierender Lungenerkrankung zu unterscheiden. Das hier angegebene Alter und der leptosome Habitus wären typisch für einen PSPTX (Altersgipfel 15-34 Jahre, Risikofaktor: große und schlanke Männer, Rauchen von Zigaretten oder Haschisch). Hierbei findet man bei ansonsten gesunder Lunge ganz oberflächliche Luftbläschen (subpleurale Lufthohlräume mit Neomembranen, sogenannte Blebs oder „emphysema-like changes“), die rupturieren.
Davon zu differenzieren wäre der sekundäre SPTX mit einem Altersgipfel von über 55 Jahren und meist zu Grunde liegenden Bullae (Lufthöhlen im Lungengewebe), wie Emphysembullae (obstruktive Lungenerkrankungen) oder Traktionsbullae bei Tumoren, entzündlichen Lungenerkrankungen wie TBC, Abszess, CF, Fibrose oder Langerhans-Zell-Histiozytose. Insbesondere Letztere kann auch einmal im jungen Erwachsenenalter als Pneumothorax manifestieren. Daher sind Anamnese, Vorbefunde und Detailaspekte des Röntgen (Hinweis für zystische Strukturen? Infiltrate?) wichtiger Bestandteil zur richtigen Einschätzung der Grunderkrankung, um bei jungen Patienten bei Verdacht auf eine seltene Differentialdiagnose ggf. ein Thorax-CT zur weiteren Abklärung zu veranlassen.