Verschlagene Ohren beim Aufwachen

Herr K. (Student, 24 J.) ist gerade als letzter Patient bei Ihnen in die Ordination geschneit. „Ich habe seit dem Aufwachen heute früh so verschlagene Ohren. Links stärker als rechts und irgendwie höre ich auch links alles viel leiser und dumpfer. Ich dachte, das vergeht sicher im Laufe des Tages, aber bis jetzt hat sich nichts getan. Ein Bekannter meinte, wenn das ein Hörsturz ist, sollte ich sofort zum Arzt. Daher bin ich jetzt hier“, schildert er sein Problem. Ohrgeräusche habe er keine, auch keine Ohrenschmerzen, nur dieses Druckgefühl „wie Watte im Ohr“. Schwindel wird ebenfalls verneint. Er habe in letzter Zeit weder einen Infekt gehabt noch war er sonst irgendwie krank. Der Druckausgleich funktioniere aber nur sehr kurz, dann sei alles wie vorher. Er war weder auf einer Flugreise noch Tauchen. Keine Dauermedikation, keine Vorerkrankungen. Gehörgang bds mit Cerumen verlegt. Stimmt seine Befürchtung? Welche Therapie schlagen Sie vor?

„Die Beschwerden sprechen in erster Linie für ein obturierendes Cerumen“

Prim. a.D. Univ.-Prof. Dr. Klaus Albegger,
Facharzt für HNO-Heilkunde, Gerichtlich zertifizierter u. beeideter Sachverständiger, Graz
Wenn ein Patient mit dem Gefühl eines verschlagenen Ohres beziehungsweise einer plötzlichen Hörverminderung in die Ordination kommt, muss man natürlich immer an einen möglichen Hörsturz denken. Die vorliegenden Beschwerden bei einem 24-jährigen Studenten mit einem plötzlichen beidseitigen Gehörverlust ohne jegliche Vorerkrankungen, mit Druckgefühl in den Ohren, ohne Schwindel oder Ohrgeräusche, sprechen in erster Linie Für das Vorliegen eines obturierenden Cerumens wie im vorliegenden Fall, was in der Regel auch die häufigste Ursache für „verschlagene“ Ohren ist.

Die Therapie besteht in einer Entfernung des Ohrenschmalzes, am einfachsten durch eine Ohrspülung. Man sollte aber – wegen der Infektionsgefahr – vorher immer den Patienten fragen, ob nicht vielleicht eine Trommelfellperforation bestehen könnte. Wenn dieser Verdacht nicht sicher ausgeschlossen werden kann, sollte die Entfernung des Ohrenschmalzes – am sichersten unter dem Ohrmikroskop – instrumentell oder durch eine gezielte Absaugung erfolgen. Dabei sollte man aber bedenken, dass nach Untersuchungen beim Absaugen sehr hohe Lautstärken – bis 130–140 dB – auftreten können, die sogar das Gehör schädigen können.

Wesentlich erleichtert wird die Zerumenentfernung durch das Eintropfen von sog. „zerumenerweichenden“ Ohrentropfen oder -sprays, die in größerer Zahl angeboten werden. Nach der Entfernung des Zerumens gibt der Patient meist schon spontan eine Erleichterung bzw. Hörverbesserung an. Trotzdem sollte nach genauer Inspektion des nunmehr sichtbaren Trommelfells sicherheitshalber zur Orientierung eine sog. klinische Einschätzung des Hörvermögens mit Hörweiten – u. Stimmgabelprüfung erfolgen. Bei Auffälligkeiten sollte die Überweisung zu einem HNO-Spezialisten zur genaueren audiometrischen Untersuchung erfolgen.

„Ein Hörsturz zwar möglich, aber (beidseits!) eher unwahrscheinlich“

Dr. Wilhelm Streinzer,
Facharzt für HNO-Heilkunde, Wien
Die Patientenassoziation „plötzliche Hörverschlechterung = Hörsturz = sofortige Therapie“ entspricht dem Praxisalltag. Ein Hörsturz ist definitionsgemäß eine plötzliche Hörverschlechterung ohne erkennbare Ursache. Damit stellt sich die Frage, welche Therapie bei einem Symptom mit unbekannter Ursache sinnvoll ist. Im gegenständlichen Fall ist ein Hörsturz zwar möglich, aber (beidseits!) eher unwahrscheinlich. Obturierendes Cerumen ist die häufigste Ursache derartiger Beschwerden, und vor der Entfernung muss nach vorbestehenden Ohrkrankheiten, Trommelfellperforationen etc. gefragt werden.

Sind nach der Cerumenentfernung und einer abschließenden mikroskopischen Trommelfellkontrolle die Beschwerden nicht behoben, ist eine weiterführende Diagnostik des Mittel- und Innenohres notwendig. Zur raschen Orientierung sind Untersuchungen mit der Stimmgabel (Weber- und Rinneversuch) von großem Vorteil. Zur Diagnostik eines Mittelohrproblems wie z.B. Tubenbelüftungsstörung, Tubenkatarrh, Mittelohrerguss sind eine Ohrmikroskopie, Tympanometrie und fakultativ eine Audiometrie, zur Beurteilung des Ausmaßes der Hörstörung, anzuschließen.

Finden sich Hinweise auf eine Innenohrschwerhörigkeit, muss eine Audiometrie durchgeführt werden. Zeigt sich eine über eine leichtgradige Innenohrläsion hinausgehende Hörstörung ohne erkennbare Ursache, ist die Verdachtsdiagnose „Hörsturz“ zu stellen und eine weiterführende Diagnostik einzuleiten. Initial wird man, wenn keine Kontraindikationen bestehen, mit Kortikosteroiden behandeln. Die Dosierung und Applikationsform richtet sich nach dem Grad der Schädigung.

Ist bei den beschriebenen subjektiven Beschwerden kein pathologischer HNO-Befund zu erheben, muss nach „allgemeinen“ Ursachen wie z.B. Hypotonie, Anämie, Schilddrüsendysfunktion … gesucht werden. Wenn auch da nichts zu finden ist, haben diese Patienten unter Umständen „nur viel um die Ohren“ und müssen versuchen, dieses Problem selbst zu lösen.