Das Knie „verdreht“
„Gestern beim Fußballspielen habe ich mir das Knie verdreht“, begrüßt Sie Herr H. schon beim Empfang. „Im vollen Lauf wollte ich die Richtung nach rechts ändern, als es mir plötzlich mein linkes Knie verdreht hat. Erst habe ich weitergespielt, aber nach einigen Minuten habe ich mich doch auswechseln lassen, da die Schmerzen zu groß wurden. Heute früh war das Knie extrem geschwollen, daher sitz ich nun hier. Wir haben in 2 Wochen ein wichtiges Turnier, bis dahin ist das doch sicher wieder in Ordnung, oder?“ Bei der klinischen Untersuchung zeigt sich das linke Knie wie „aufgeblasen“, palpatorisch ist eine „tanzende Patella“ nachweisbar, keine Überwärmung. Aufgrund der Schmerzen des Patienten ist eine ausführliche Knieuntersuchung nicht möglich. Keine Vorerkrankungen, keine Dauermedikation. Was antworten Sie Herrn H. und welche weiteren Untersuchungen führen Sie durch?
„Die Notwendigkeit einer arthroskopischen Operation ist wahrscheinlich“
Univ.-Prof. Dr. Catharina Chiari, MSc,
FÄ für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, Sportorthopädie; Leiterin des Kinderorthopädie Teams und der Knorpelambulanz, Univ.-Klinik f. Orthopädie, AKH Wien
Schon bei der Erzählung des Patienten fällt ein klarer Verletzungsmechanismus auf. Es fand eine Außenrotation des Unterschenkels gegenüber dem Oberschenkel unter Belastung statt. Die rasch auftretenden Schmerzen und der Erguss, der sich in der Schwellung und dem typischen Zeichen einer tanzenden Patella manifestiert, sprechen für die Verletzung einer Kniebinnenstruktur. Differenzialdiagnostisch sind in diesem konkreten Fall ein Meniskusriss und möglicherweise auch eine Bandverletzung (vorderes Kreuzband und / oder inneres Seitenband) möglich.
Als Akutmaßnahme punktiere ich das Kniegelenk – einerseits zur Erleichterung der Beschwerden, andererseits gibt der Erguss selbst erste Hinweise – blutige Ergüsse eventuell mit Fettaugen können bei Bandrupturen mit knöchernen Ausrissen auftreten, rein bernsteinfarbene Ergüsse sind eher durch einen Reizzustand verursacht. Die Untersuchungsbedingungen sind durch die Schmerzen und Schwellung häufig eingeschränkt, sodass die typischen Provokations- oder Stabilitätstests oft nicht aussagekräftig sind.
Eine Ruhigstellung des Gelenks mit einer abnehmbaren Schiene und die Entlastung mit Unterarmstützkrücken sind bis zur endgültigen Diagnosestellung Teil der symptomatischen Therapie. Zur Abschwellung verordne ich NSAR und Kryotherapie, auch auf die Antikoagulation mit einem niedermolekularen Heparin darf nicht vergessen werden. Die weitere Abklärung erfolgt bildgebend, ein Röntgen ap und seitlich dient zur Abklärung der ossären Strukturen (Impressionsfrakturen, knöcherne Bandausrisse), aber ein MRT ist in diesem Fall unumgänglich.
Die Notwendigkeit einer arthroskopischen Operation ist wahrscheinlich, wobei die Art der Verletzung den Zeitpunkt vorgibt. Sollte beispielsweise eine Meniskusruptur vorliegen, die sich für eine Naht eignet, ist rasches Handeln gefragt. Eine vordere Kreuzbandruptur kann oft besser im Intervall, nach Abklingen der Schwellung und vorangegangener Physiotherapie versorgt werden.
„Oft kommt es zur ,Unhappy Triad‘ – der Kombination von drei Verletzungen“
Dr. Stefan Dittrich,
FA für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, Gelenk-Zentrum Hietzing, Wien
Aufgrund der massiven Schwellung, offensichtlich verursacht durch einen ausgeprägten intraartikulären Erguss, ist von einer Verletzung einer durchbluteten Struktur im Kniegelenk – in den meisten Fällen das vordere Kreuzband – auszugehen. Oft kommt es auch zu einer Kombination von drei Verletzungen – Ruptur des vorderen Kreuzbandes, Läsion des Innenmeniskus und Ruptur des inneren Seitenbandes, der sogenannten „Unhappy Triad“. Selten, aber doch sind diese Verletzungen mit Impressionsfrakturen im Bereich des Tibia-Plateaus vergesellschaftet.
Das weitere diagnostische Vorgehen:
1) Punktion des Kniegelenkes – ein blutiger Erguss gibt einen Hinweis auf eine mögliche Ruptur des vorderen Kreuzbandes, sollten sich eventuell sogar „Fettaugen“ in dem Punktat befinden, wäre dies ein Hinweis auf eine Verletzung des Knochens oder des Knorpels (in diesem Fall wäre auch ein Röntgen zu empfehlen)
2) Magnetresonanztomografie (MRT)
Bis zum notwendigen MRT-Termin verordne ich eine Kniegelenksorthese (z.B. DonJoy-Schiene) mit einer Einschränkung auf 0-30°, Schonung, Kryotherapie und Hochlagerung der verletzten Extremität. Eine medikamentöse Therapie mit NSAR (z.B. Naproxen 500 mg 1-0-1) zur Schmerzstillung, Entzündungshemmung und Abschwellung ist dringend zu empfehlen. Zum Kupieren von Schmerzspitzen empfehle ich Novalgin Filmtabletten 1-1-1 (bis zu 4x täglich 2 Stück). Bei kurzfristiger Gabe von NSAR, wie in diesem Fall, empfehle ich auch prophylaktisch einen Protonenpumpenhemmer (z.B. Pantip 20mg 1-0-0).
Da es sich bei Herrn H. offensichtlich um einen ambitionierten Fußballer handelt, wird nach Verifizierung einer Meniskus- und Kreuzbandverletzung eine operative Versorgung des Kreuzbandes (VKB-Plastik) und des Meniskus (evtl. Meniskusnaht) zu empfehlen sein.
„Es besteht der dringende Verdacht auf eine gröbere intraartikuläre Verletzung“
Univ.-Prof. Dr. Ronald Dorotka,
FA für Orthopädie und orthopädische Chirurgie (Sportorthopädie, Rheumatologie), Orthopädie-Zentrum Innere Stadt, Wien
Es besteht der dringende Verdacht auf eine gröbere intraartikuläre Verletzung. Differenzialdiagnosen des Ergusses wie Infekt oder reaktive Arthritis können aufgrund der Anamnese ausgeschlossen werden. Herr H. wird liegend untersucht, dabei werden äußere Verletzungszeichen dokumentiert und das Ausmaß des Gelenkergusses mittels „tanzender Patella“ abgeschätzt. Schmerzabhängig können auch die Seitenbandstabilität und eine Instabilität des vorderen Kreuzbandes mit dem Lachmann-Test geprüft werden.
Weiterführende klinische Tests wie Pivot-shift, Schubladentests oder Meniskusprovokationstests sind wegen der vorliegenden Situation wenig sinnvoll. Als logische Verdachtsdiagnosen kommen Kreuzband-, Seitenband-, Knorpel- oder Meniskusläsionen in Betracht, möglicherweise auch Kombinationsverletzungen (z.B. „Unhappy Triad“).
Nach Aufklärung über den Verdacht und die weitere Vorgangsweise erfolgt die Punktion des Kniegelenkes. Ein Hämarthros wäre hier richtungsweisend für eine strukturelle Verletzung, die Druckentlastung wird in jedem Fall die Beschwerden erleichtern. Als nächster Schritte wird ein Nativröntgen (sofortiger Ausschluss begleitender knöcherner Verletzungen mit evtl. OP-Konsequenz) durchgeführt und eine Überweisung zur MRT ausgestellt. Die Akuttherapie schließt Schmerzmedikamente und Eis ein. Bei Belastungsschmerzen werden Krücken verordnet. Herr H. erhält auf jeden Fall eine Knieorthese anfangs in Streckung oder 0°-30° gesperrt mit entsprechender Thromboseprophylaxe.
Eine endgültige Therapieentscheidung kann erst nach Vorliegen der MRT-Bilder erfolgen. Erwarten würde ich mir bei Herrn H. eine kombinierte VKB- und Innenmeniskusläsion, die aufgrund der sportlichen Aktivität sinnvollerweise operativ zu versorgen wäre. Nur im Falle einer harmloseren Verletzung (z.B. Teilruptur mediales Seitenband) wäre ein konservatives Vorgehen gerechtfertigt. Aufgrund des extremen Gelenksergusses würde ich aber in jedem Fall vom erwähnten Turnier abraten.