30. Okt. 2014

Fall der Woche: Nach dem Pilzgericht „neben der Spur“

Frau U. kommt sehr aufgeregt am frühen Nachmittag mit ihrem Mann (Mitte 60 J.) in die Ordination: „Kurt ist seit ca. 2 Stunden so komisch. Er scheint total betrunken zu sein, dabei hat er den ganzen Tag außer Wasser nichts getrunken. Noch nicht mal ein Glas Wein zum Essen, dabei hab ich heut die selbst gesammelten Pilze von ihm zubereitet, die er gestern gebracht hat. Ich versteh das überhaupt nicht. Er lallt richtig und wankt beim Gehen, ich musste ihn richtig stützen vom Auto hierher.“ Herr U. wirkt tatsächlich etwas neben der Spur. Er versucht Ihre Fragen zu beantworten, schweift dabei immer wieder ab, kann sich nicht richtig konzentrieren und wirkt sehr verwirrt und etwas depressiv. Bei genauerem Nachfragen gibt Frau U. an, dass Sie selbst die Pilze nicht gegessen hat. Was ist Ihre Verdachtsdiagnose? Welche Maßnahmen leiten Sie ein, und ist Ihr Patient ernsthaft in Gefahr?

Symptome und Anamnese sprechen für eine Pilzvergiftung


OÄ Dr. Eva Geberth
FÄ f. Innere Medizin und Geriatrie, 2. Int. Abt. KH Göttlicher Heiland, Wahlarztpraxis, Wien
Ich würde den Patienten unverzüglich – nach Erhebung der Vitalparameter inklusive Blutzuckermessung (Hypo-Ausschluss), des Status präsens (auch grob neurologisch) sowie der Medikamentenanamnese (Opiodtherapie? Sedativa?) – zur Beobachtung in eine Klinik einweisen, und ihm vorher noch Aktivkohle und Laevolac verabreichen.
Die Symptome sprechen in Zusammenschau mit der Anamnese für eine Pilzvergiftung, am ehesten ein Pantherina-Syndrom. Das rasche Auftreten der in diesem Fall berauschenden Wirkung (innerhalb von bis zu 4-6 Stunden) nach der Pilzmahlzeit ist insofern ein gutes Zeichen, als es sich wahrscheinlich um ein Neurotoxin handelt, das keine dauerhaften Organschädigungen verursacht. Es kann in Folge allerdings bis zum Koma führen. Todesfälle durch Atemstillstand kommen im Einzelfall vor.
Mein Interesse würde auch der Pilzart gelten, die der Patient glaubt gesammelt zu haben, um die in Frage kommenden Verwechslungen eingrenzen zu können. Möglich ist in diesem fall eine stattgehabte Verwechslung eines Parasols mit einem Pantherpilz. Letzterer enthält die schwach neurotoxische Ibutensäure. Durch die längere Lagerung (Pilze sollten unbedingt frisch am selben Tag verzehrt werden, im vorliegenden Fall wurden sie einen Tag gelagert) kann durch Decarboxilierung das Delirantium Muscimol entstehen, das die geschilderten Beschwerden typischerweise verursacht.
Da dem Patienten aber aufgrund der suspizierten Vergiftung unterstellt werden muss, bei der Pilzbestimmung nicht sicher zu sein, ist nicht auszuschließen, dass sich auch noch andersartige, giftigere Pilze in der Speise befanden. Sollte es noch Reste des Pilzgerichtes geben (auch Putzreste im Müll sind für diesen Zweck zu bergen), so müssten sie bei länger anhaltenden oder zusätzlichen Beschwerden zur Pilzbestimmung – nach vorheriger telefonischer Ankündigung – zum jeweils zuständigen Marktamt gebracht werden.
Bei Unklarheiten empfiehlt sich in jedem fall ein Anruf bei der Vergiftungszentrale.

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