Fall der Woche: Ein folgenschwerer Tag im Bad

„Gestern Nachmittag war ich am See zum baden. Leider bin ich dann in der Sonne eingeschlafen. Ich hab mir dadurch einen ordentlichen Sonnenbrand eingefangen, aber was mich wirklich beunruhigt, ist dass mir so wahnsinnig schlecht ist seit heute Nacht. Ich hab mich schon 5x übergeben und hab fürchterliche Kopfschmerzen“, berichtet die sichtlich erschöpfte Frau W. (32J.), die heute Ihre erste Patientin ist. Bei der klinischen Untersuchung zeigt sich eine ausgedehnte Rötung am Rücken, den Schultern und dem Nacken, allerdings ohne Blasenbildung. Zusätzlich leidet die junge Frau unter starkem Schwindel seit den frühen Morgenstunden, Bewusstlosigkeit oder Bewusstseinstrübungen werden verneint. Es bestehen keine Vorerkrankungen und keine regelmäßige Dauermedikation außer der Pille. Allergie: Nickel, RR 100/70, P 85, Temp: 37,0°C, Cor und Pulmo oB, Abdomen: weich, kein Druckschmerz, keine Abwehrspannung. Wie können Sie Frau W. rasch helfen, und worunter leidet sie am wahrscheinlichsten?

„Die Rötung am Rücken weist auf eine zu lange Sonnenexposition hin“


Dr. Barbara Vockner
Ärztin f. Allgemeinmedizin, ÖÄK Dipl. Homöopathie, Akupunktur, Manuelle Medizin, psychosm. u. psychoterap. Medizin, Saalfelden
Frau W. kommt mit Symptomen von Übelkeit und Erbrechen in die Praxis. Anamnestisch ist eine zu lange und ungeschützte Sonnenexposition am Vortag eruierbar. Zu intensive und lange Sonnenbestrahlung kann einerseits zu Symptomen des Sonnenbrandes mit Hautrötung durch die UV-Strahlung führen und andererseits durch Hyperthermie zu Reizsymptomen der Meningen führen. Diese Symptome können durchaus mit einer gewissen Latenzzeit zur Sonnenexposition auftreten.
Ich untersuche die Patientin klinisch: es liegt weder ein Meningismus noch ein Nys tagmus vor, die Hirnnervenaustrittspunkte sind unauffällig, die Pupillen regelrecht. Die Patientin ist zeitlich und örtlich orientiert und macht einen neurologisch unauffälligen Eindruck.
Die Vitalparameter und die Körpertemperatur sind unauffällig, die Anamnese bezüglich Migräne in der Vergangenheit ist bland. Die ausgedehnte Rötung am Rücken weist auf eine zu lange thermische Sonnenexposition hin, was vermutlich zu einer Reizung der Hirnhäute mit den beschriebenen Symptomen geführt hat. Zum Ausschluss einer bakteriellen Erkrankung und nicht zuletzt zur Beruhigung der Patientin nehmen wir ein Entzündungslabor ab, den intravenösen Zugang lasse ich gleich liegen.
Nachdem CRP und die Leukozytenzahl unauffällig sind, erhält Frau W. 500ml Ringerlösung als Infusion. (Bei sehr starker Beeinträchtigung durch Kopfschmerzen würde ich nicht scheuen, 4mg Fortecortin und 75mg Diclofenac per Infusionem zu verabreichen.) Für die Kopfschmerzen verschreibe ich Paracetamol 500mg 3-mal täglich bis zum Abklingen der Symptomatik. Gegen die Übelkeit verordne ich Cephalis Ipecahuana C12 alle 2 Stunden 5 Globuli, da Metoclopramid (Paspertin) nicht erhältlich ist. Alternativ könnte ich Frau W. bei anhaltender Übelkeit Vertirosan Tropfen 3-mal 20 gtt verordnen. Gegen den Sonnenbrand rezeptiere ich Advantan-Milch zur lokalen Anwendung.
Frau W. wird für 2 Tage arbeitsunfähig geschrieben, sie sollte auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr und entsprechende Ruhe in einem abgedunkelten Raum achten. Ich kläre die Patienten über die vorübergehende Natur der Symptome auf und gebe ihr am nächsten Tag einen kurzen Kontrolltermin. ( DD: Meningitis, Vestibularausfall).

„Es gilt, auch noch ernstere Ursachen für die Symptomatik auszuschließen“


Dr. Karl Watschinger
Arzt f. Allgemeinmedizn und Sprengelarzt, Kaprun
Aus der Anamnese vermute ich, dass es sich um eine Reaktion auf zu starke Sonnenexposition handelt, einen sogenannten Sonnenstich. Bei den erhobenen – prinzipiell beachtenswerten – Symptomen gilt es, schnell auch noch ernstere Ursachen für die Symptomatik auszuschließen. Ich messe den Blutdruck, mache einen Blick in den Pharynx und prüfe die Temperatur. Den Menigismustest mache ich gründlich und beurteile dabei auch die HWS. Eine Frenzel Brille hilft zur Schwindeleinschätzung.
Wenn keine weiteren Verdachtsmomente aufkommen, dann verabreiche ich eine Infusion mit Novalgin und Paspertin sowie in Anbetracht des Schwindels eventuell auch mit Dibondrin, welches den Schwindel dämpfen kann und auch antiemetisch wirkt. Parallel läuft ein Blutbild und ein CRP. Somit helfe ich schnell und gewinne wichtige Zeit, die ich zur Beobachtung des Verlaufes benötige.
Bei sonst blanden Befunden und gutem Bauchgefühl kläre ich die Patientin über alle Eventualitäten auf und entlasse sie nach Hause und versichere mich, dass Sie dort nicht alleine ist. Die infundierten Medikamente rezeptiere ich zur weiteren Einnahme, für den Sonnenbrand gibt es kortisonhaltige Milch und Salbe.
Interessanterweise beobachte ich diese Symptomatik häufiger beim Frühjahrsschilauf am Gletscher am Kitzsteinhorn als beim klassischen Sonnenliegen. Neben den Schäden durch die UV-Strahlung (eindrucksvolle Sonnenbrände und Schneeblindheit) wird wohl auch hier die Kombination aus steiler und kräftiger Sonne mit Reflexionen, Höhenexposition bis 3000m und körperlicher Anstrengung eine Rolle spielen, so meine subjektive Beobachtung und Einschätzung. Bisher schienen mir derartige Fälle meistens gut in der Praxis behandelbar.

„Die Symptome der jungen Frau passen am ehesten zu einem Sonnenstich“


Dr. Susanne Wohlgenannt
FÄ f. Innere Medizin, Hohenems
Die Symptome dieser jungen Frau passen am ehesten zu einem Sonnenstich – ausgelöst durch die lange und intensive Sonnenbestrahlung. Dabei kann es zu einer Reizung der Hirnhäute kommen, die Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen und Schwindel auslösen können. In schweren Fällen kann es sogar zu Bewusstseinsstörungen bis hin zu Bewusstlosigkeit kommen. Die Symptome können oft erst Stunden nach dem Aufenthalt in der Sonne auftreten.
Wichtig bei Kopfschmerzen, Schwindel und Erbrechen ist eine genaue neurologische Untersuchung, um einen Meningismus oder auch ein neurologisches Defizit auszuschließen.
Bei Unauffälligkeit dieser klinischen Untersuchung empfehle ich der Patientin, den Kopf mit feuchten Tüchern zu kühlen und ausreichend zu trinken. Gegen die Kopfschmerzen hilft Paracetamol, Acetylsalicylsäure oder Ibuprofen. Zudem würde ich der Patientin Bettruhe in einem kühlen Raum – bevorzugt mit leicht erhöhtem Oberkörper – empfehlen. Bei starkem Erbrechen oder Verschlechterung der Bewusstseinslage ist ein stationärer Aufenthalt im Krankenhaus indiziert.
Differenzialdiagnostisch und unabhängig von der Tatsache der starken Sonneneinstrahlung ist natürlich auch das Auftreten einer Meningitis oder einer Subarachnoidalblutung in Erwägung zu ziehen. Aktuell besteht keine erhöhte Temperatur, sodass eine infektiöse Ursache eher unwahrscheinlich ist. Bei Unsicherheit kann die Bestimmung von Blutbild und CRP hilfreich sein.
Die Patientin muss zudem informiert werden, dass bei fehlender Besserung auf die oben genannten Maßnahmen bzw. Verschlechterung der Symptome eine neuerliche Kontrolle erfolgen muss, um eine neurologische Ursache – wie z.B. Blutung – mit weiterführender Diagnostik ausschließen zu können.

Autoren: Dr. Barbara Vockner, Dr. Karl Watschinger, Dr. Susanne Wohlgenannt