Mit tränenden Augen zum Fußballtraining
Hanna kommt mit stark geröteten und tränenden Augen in Ihre Sprechstunde. „Ich halte das nicht mehr aus! Meine Augen jucken so stark, sie rinnen in einer Tour, und ich muss jeden Tag so oft niesen. Meine Nase ist nur noch verstopft, und nachts werde ich dadurch ständig munter. Ich hatte bis jetzt nie Heuschnupfen!“, erklärt sie Ihnen sichtlich leidend. Sie ist 16 Jahre alt und Ihnen gut bekannt. Sie wissen von früher, dass sie als Kleinkind unter einer milden Form der Neurodermitis litt, die mit ca. zehn Jahren spontan sistierte. Ansonsten ist sie gesund und fit. „Wir trainieren jetzt wieder viel draußen, und ich brauch etwas, damit ich mitmachen kann. So geht das einfach nicht. Ich muss ständig unterbrechen, um mich zu schnäuzen und Luft krieg ich auch nicht so gut!“, berichtet Hanna weiter, die neben der Schule in einem Fußballverein trainiert. „Eine Freundin von mir macht so eine Hyposensibilisierung, aber gibt es da nicht auch was anderes?“ Was antworten Sie Hanna, und wie können Sie ihr helfen?
„Die Anamnese weist in erster Linie auf ein allergisches Geschehen hin“
Univ.-Prof. Dr. Andreas Temmel
FA f. HNO, Kopf- und Halschirurgie, Perchtoldsdorf
Die Anamnese weist in erster Linie auf ein allergisches Geschehen hin. Die Symptomatik Niesreiz, behinderte Nasenatmung, seröse Sekretion und die Augenbeteiligung sind typisch für eine allergische Rhinokonjunktivitis. Die Symptome einer Neurodermitis als Kleinkind machen ein allergisches Geschehen wahrscheinlich. Als erster Schritt der Diagnostik wird nach der Anamnese ein Status localis, mit Rhinoskopie, Abschwellversuch und Nasenendoskopie, sowie zum Screening eine „kleine“ Lungenfunktion erhoben. Der typische Befund bei der allergischen Rhinitis ist eine ödematöse, blass livide Nasenschleimhaut und wässrige Sekretion. Im Gegensatz würde bei der akuten infektiösen Rhinitis die Schleimhaut stark hyperämisch sein und das Sekret meist zähflüssig. Die infektiöse Rhinitis würde sich auch entweder auf eine Rhinopharyngitis oder Rhinosinusitis ausweiten, wodurch die Symptome Halsschmerz bzw. Gesichtsschmerz hinzukämen, welche Hanna in der Anamnese angegeben hätte. Die Abklärung eines allergischen Geschehens erfolgt nach dem Standardschema, Pricktest, Blutabnahme für RAST und Prist. Bei positivem Pricktest ist die Wahrscheinlichkeit einer allergischen Ursache sehr hoch, sodass in Abhängigkeit des Befundes eine Therapie eingeleitet werden kann. Liegt nur eine allergische Rhinokonjunktivitis vor, so kann eine Therapie mit einem topischen Corticosteroid (bzw. der Kombination mit einem topischen Antiallergikum) als erster Schritt eingeleitet werden, ist der Effekt zu gering, wird ein systemisches Antiallergikum zusätzlich verabreicht. Beim Hinweis einer Beteiligung der Lunge würde ich Hanna zu einem Pulmologen für die Therapie der obstruktiven Bronchitis schicken.
Nach Eintreffen der Ergebnisse der Blutuntersuchung kann bei positivem RAST eine Hyposensibilisierung eingeleitet werden. Die Optionen einer präsaisonalen Impfkur und einer sublingualen Therapie, welche mit Tropfen, Tabletten und einem Spray verabreicht werden kann, werden Hanna dargelegt. Der Vorteil einer Hyposensibilisierung, welche einen Effekt von Reduktion bis Sistieren der allergischen Symptome in 80 Prozent bewirkt, sollte sie überzeugen. Wenn die Lunge im Rahmen des allergischen Geschehens nicht betroffen ist, so kann ein Etagenwechsel verhindert werden.
„Im Moment ist nur eine symptomatische Behandlung möglich“
Dr. Heike Sommer
FÄ. f. HNO, Ärztin f. Allgemeinmedizin, Wien
Bei Hannas Fall handelt es sich um eine allergische Rhinokonjunktivitis. Wegen der Möglichkeit eines Etagenwechsels zum allergischen Asthma besteht ein akuter Handlungsbedarf. Wegen der momentan akuten Belastung würde ich einen H1-Rezeptorantagonisten (Cetirizin, Desloratadin) verordnen. Für die lokale endonasale Medikation empfehle ich eine Steroidmedikation (Beclomethason, Fluticason) und gegen die konjunktivalen Symptome Ketotifen oder Azelastinaugentropfen. Eine Kontrolluntersuchung würde ich eine Woche später anberaumen. Haben sich die Beschwerden deutlich gebessert, könnte ein Absetzen des oralen Antihistaminikums in Erwägung gezogen werden.
Ich würde Hanna erklären, dass im Moment nur eine symptomatische Behandlung möglich ist. Erst im Herbst sollte ein Allergietest (Gesamt-IgE-Prick, RAST) durchgeführt werden. Bis dahin wäre es sinnvoll, einen Beschwerdekalender zu führen, da dieser in der Zusammenschau mit dem Allergietestresultat maßgeblich für die weitere Therapieplanung ist. In Anbetracht der angesprochenen Luftnot sehe ich eine Konsultation beim Lungenfacharzt als Notwendigkeit an. Ein Drittel der Patienten mit allerigscher Rhinitis entwickelt ohne spezielle Behandlung nach Jahren ein allergisches Asthma.Weiters empfehle ich Hanna eine histaminarme Ernährung sowie auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr zu achten und weise sie auf die mögliche Nahrungsmittelsensibilisierung bei Inhalationsallergenen hin.
Aus schulmedizinischer Sicht ist die spezifische Immuntherapie (Hyposensibilisierung) die einzige kausal orientierte Therapiemodalität bei Allergien vom Soforttyp (TypI) der Atemwege. Derzeit stehen zwei Formen der Applikation zur Verfügung: die subkutane Immuntherapie (SCIT) und die sublinguale Immuntherapie (SLIT). Da der Wunsch nach komplementärmedizinischen Maßnahmen in den letzten Jahren immer mehr in den Vordergrund tritt und die Hyposensibilisierung bezüglich der möglichen Nebenwirkungen (Schockreaktion bzw. das Auftreten von Nahrungsmittelallergien) nicht ganz unkritisch zu beurteilen ist, würde ich diese in meinem Gespräch nicht unerwähnt lassen. In meiner Praxis zeigt sich eine deutliche allergische Symptomreduktion durch Akupunkturbehandlungen. Auch die Injektionen von homöopathischen Ampullen auf Basis der orthomolekularen Medizin zeigen eine große Wirksamkeit. Weiters steht mit der Traganthwurzel ein Phytotherapeutikum mit einem guten therapeutischen Effekt zur Verfügung.
„Nach anatomischer Abklärung ist ein Allergietest angezeigt“
Dr. Sandra Weißenbäck
FÄ. f. HNO, Wien
Als Fachärztin für HNO würde ich nach einer ausführlichen Anamnese, wobei auf jeden Fall geklärt werden muss, ob diese Beschwerden im Frühjahr oder im Sommer auftreten, eine HNO-Untersuchung der jungen Patientin durchführen. Nach Abklärung der Anatomie von Nasenscheidewand und Nasenmuscheln ist ein Allergietest angezeigt. Dieser kann durch herkömliche Art und Weise mittels Pricktest (Hauttest) und Blutabnahme (IgE-Bestimmung mit CAP, RAST) oder auch durch die neue Mikrochipmethode auf 112 Allergene in einem Durchgang erfolgen.
Ab sofort würde Hanna von mir mit einem Antihistaminikum, antiallergischen Augentropfen und Nasenspray versorgt. Bei nächtlicher bzw. Belastungsatemnot sollte auch ein Lungenfacharzt Hanna untersuchen.
Nach positivem Allergietest sollte die optimale Therapie für Hanna mit der Patientin und den Eltern besprochen werden. Im Prinzip ob Frühblüher (Birke, Erle, Hasel, Esche) oder Gräser sind zwei Arten von Therapie möglich. Sublingual in Tabletten- bzw. Tropfenform oder subkutan in Spritzenform. Egal für welche Verabreichungsform sich die junge Patientin entscheidet, das Wesentliche ist die Therapie, um eine optimale Asthmaprävention und Beschwerdefreiheit der jungen Sportlerin zu erzielen. Bei negativem Allergietest wäre ein viraler Infekt sehr naheliegend, dieser wird symptomatisch behandelt und bei gutem Immunsystem bald überstanden.