“Gelebte Hospitalität” – 400 Jahre KH der Barmherzigen Brüder

WIEN – „Gutes tun und es gut tun“ – mit diesem Leitsatz wollen die Barmherzigen Brüder Wien an die Herausforderungen der Medizin und Pflege im 21. Jahrhundert herangehen. Bei einem Jubiläumskongress im Mai stehen nebst Rückblicken auf die Herkunft vorrangig zukunftsorientierte Themen am Programm. Allgemeinmedizinerin Dr. Katharina Reich, seit 1. November 2013 ärztliche Direktorin des größten Ordensspitals Wiens und damit an der Spitze von 200 Medizinern, im MT-Interview.

MT: Frau Dr. Reich, was bedeutet es für Sie als junge Allgemeinmedizinerin, die ärztliche Leiterin eines 400 Jahre alten – zwar sehr modernen, aber natürlich auch traditionsverbundenen – christlichen Hauses zu sein?

Dr. Reich: Vorweg möchte ich sagen: Ich bin dem Haus bereits seit fast 17 Jahren verbunden, habe hier schon vor und während meines Medizinstudiums Praktika gemacht und dann auch den Turnus. Danach begann ich als Stationsärztin zu arbeiten, später als hygienebeauftragte Ärztin und zuletzt als Stabstelle der ärztlichen Direktion für Patientensicherheit und klinisches Risikomanagement. Über die Jahre habe ich natürlich einerseits viel Verständnis für die Historie und das Selbstverständnis des Hauses entwickelt sowie andererseits – dank der Tätigkeit in unterschiedlichen Bereichen – ein gutes Gespür für die Bedeutung der Zusammenarbeit aller Berufsgruppen.

Als dann der Vertrag meines Vorgängers Dr. Mario Veitl auslief und er keine Verlängerung anstrebte, fragte man mich, ob ich Interesse hätte, die ärztliche Leitung zu übernehmen. Mich zu fragen mag – von meiner Vita und meinem Alter her – ungewöhnlich gewesen sein. Aber die Barmherzigen Brüder sind für innovative und mitunter unkonventionelle Entscheidungen bekannt. Essenziell war, dass jemand die Verantwortung übernimmt, der die Strukturen und Abläufe des Hauses bis tief in die Wurzeln kennt!

MT: Ein Rückblick auf die Herkunft, die Geschichte ist natürlich auch bei den 400-Jahr-Jubiläumsveranstaltungen Thema. Beim Jubiläumskongress im Mai dominieren allerdings Zukunftsthemen: „Herausforderungen der Pflege im 21. Jahrhundert“, „Management: Das Krankenhaus der Zukunft“ sowie Subkongresse zu innovativen medizinischen Themen. Warum?

Dr. Reich: Wir sind das größte Ordenskrankenhaus und die Barmherzigen Brüder der größte private Gesundheitsanbieter in Österreich. Und wir wollen ja noch lange fortbestehen und an vorderer Front mitspielen. Daher müssen wir uns weiterentwickeln. Wir können es uns nicht leisten, stehen zu bleiben! Unser Selbstverständnis, allen voran die Werte der Hospitalität, bleibt davon aber unangetastet.

MT: Welche Themen finden Sie persönlich besonders spannend beim Jubiläumskongress?

Dr. Reich: Der onkologische und der neurologische Schwerpunkt sind sehr interessant und wichtig – wir arbeiten im Haus in beiden Bereichen am höchsten Stand der medizinischen Wissenschaft. Unsere große neurologische Abteilung mit Stroke Unit nimmt eine wichtige Rolle in der Versorgung u.a. von Schlaganfallpatienten ein. Der onkologischen Behandlung von Patienten widmen sich neben der allgemeinen internistischonkologischen Abteilung gleich drei operative Abteilungen: Chirurgie, Urologie und Gynäkologie. Nun haben sowohl onkologische Patienten als auch von einem Insult Betroffene immer auch ganz spezielle Bedürfnisse abseits der medizinischen Versorgung.

Ebenso wichtig wie die State-of-the-Art-Behandlung ist uns daher, ihnen eine Wohlfühlatmosphäre zu bieten. Gemäß dem Ordensauftrag kümmern wir uns nicht nur um den Leib der Patienten, sondern ebenso um ihre Seele. Gerne und oft beziehen wir die Angehörigen mit ein, auch im Sinne der christlichen Gastfreundschaft. Wir leben Hospitalität!

MT: Werden die Mitarbeiter diesbezüglich geschult?

Dr. Reich: Ja. Uns ist natürlich bewusst, dass Ärzte und Pflegekräfte bei uns mehr leisten müssen als in anderen Häusern. Die „Schule der Hospitalität“ ist für jeden Mitarbeiter von Ordensseite ein wichtiges Instrument zur Vermittlung der Werte. Unser Personalmanagement ist ein Zentrum für Ethikberatung. Wir bieten unseren Mitarbeitern zusätzlich Ethikberatungen und Fallbesprechungen bei schwierigen Fragestellungen, Schulungen, Supervision, Coachings …

MT: Beim Pflegekongress wird ein spannendes Thema sein: Ökonomisierung – ein Widerspruch zur Patientenorientierung? Wie sehen Sie das?

Dr. Reich: Sparen zulasten der Patienten ist grundfalsch. Sparen an sich steht jedoch keinesfalls im Widerspruch zum patientenorientierten Handeln. Die Barmherzigen Brüder sind als Sparmeister bekannt. Wenn z.B. Sachgüter effizient und effektiv eingekauft und eingesetzt werden, bleibt mehr Geld für die Patientenorientierung übrig. Zu meinen Zielen als ärztliche Leiterin zählt u.a., die richtigen Prozesse und Strukturen auch im Sinne eines effizienten Haushalts aufzusetzen, um unser Krankenhaus fit für kommende Herausforderungen zu machen.

MT: In Ihrem Krankenhaus werden auch Unversicherte und mittellose Kranke behandelt. Wie ist da das Vorgehen?

Dr. Reich: In der Allgemeinambulanz machen unversicherte Patienten einen großen Anteil aus. Es kommen nicht nur die klassischen Obdachlosen und „Illegalen“ zu uns, sondern ebenso „normale“ Bürger in prekärer privater Situation wie alleinerziehende Mütter oder Firmengründer, die knapp bei Geld und nicht versichert sind. Auch diesen Menschen zu helfen ist unser Ordensauftrag! Sie sagen bei der Anmeldung dazu, dass sie unversichert sind, nehmen dann wie alle anderen Patienten im Wartebereich Platz und werden aufgerufen. Der behandelnde Arzt weiß oft gar nicht, dass sie unversichert sind.

MT: Arbeitet Ihr Haus auch mit niedergelassenen Ärzten zusammen?

Dr. Reich: Eine gute Vernetzung ist uns wichtig, ja. So ist etwa die Übermittlung von elektronischen Arztbriefen an die Zuweise eine Selbstverständlichkeit für uns. Einmal im Jahr findet die Bezirksärztesitzung, mit anschließendem gemütlichen Zusammensein, in unserem Haus statt. Einzelne Abteilungen laden unter dem Jahr zu Journal Clubs zu Spezialthemen in kleinerem Rahmen.

MT: Ihr Haus ist Lehrkrankenhaus der MedUni Wien und Pflegewissenschaftliches Ausbildungskrankenhaus der UMIT in Hall/Tirol. Was ist Ihnen diesbezüglich wichtig?

Dr. Reich: Wir sind verantwortlich dafür, den jungen Kollegen gute Rahmenbedingungen, Qualität in Medizin und Pflege, anzubieten. Zusätzlich erleben sie bei uns Hospitalität im täglichen Umgang miteinander. Wir begegnen ihnen mit christlicher Gastfreundschaft. Gleichzeitig erwarten wir von ihnen, dass sie die Tradition der Hospitalität aufnehmen, annehmen und weitertragen!

Interview: Mag. Karin Martin

Jubiläumsveranstaltungen

Sonderausstellung im Bezirksmuseum Leopoldstadt „400 Jahre Barmherzige Brüder in Wien“ bis 22. Oktober (Karmelitergasse 9, 1020 Wien) Jubiläumskongress am 12. und 13. Mai im Raiffeisen Forum Wien (Friedrich- Wilhelm-Raiffeisen Platz 1, 1020 Wien)

  • Pflegekongress „Herausforderungen der Pflege im 21. Jahrhundert“
  • Interdisziplinäre Schmerztherapie inkl. Osteoporose
  • Special Lecture: Von der Zahnambulanz zum High-Tech-Zentrum
  • Augenchirurgie: BEST-Meeting der Augenabteilung
  • Managementkongress „Krankenhaus der Zukunft“
  • Medizinischer Fachkongress Neurologie
  • Interdisziplinäre Onkologie.

Festmesse im Stephansdom und Festakt im Wiener Rathaus am 2. Juni „Hoffest“ am Krankenhausareal (Johannes von Gott-Platz 1 1020 Wien) am 6. September
Jubiläumswebsite: www.bbwien.at/400

Damals & heute

Seit 1614 ist der Orden der Barmherzigen Brüder mit einem Krankenhaus in Wien ansässig. Gegründet wurde es von Frater Gabriel Ferrara OH, der als einer der berühmtesten Chirurgen seiner Zeit gilt. Das Krankenhaus hatte bei der Gründung zwölf Betten, in Anlehnung an die zwölf Apostel. Heute zählt das Schwerpunktkrankenhaus der Barmherzigen Brüder – mit 411 Betten, neun Fachabteilungen, zwei Instituten und einer öffentlichen Apotheke – zu den modernsten Spitälern Wiens. Gleichzeitig ist es nach wie vor für die Behandlung nichtversicherter oder mittelloser Patienten bekannt – entsprechend der Intention des Ordensgründers, des Hl. Johannes von Gott: Armen und Kranken helfen, ohne nach Religion, Alter, Herkunft oder Weltanschauung zu fragen.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune