Fall der Woche: Ein Student kann kaum noch essen
Ihr nächster Patient an diesem Morgen ist ein junger Student, Anfang 20. „Ich habe seit drei Tagen diese Aphten im Mund. Die Schmerzen werden immer schlimmer, und ich kann kaum mehr was essen! Können Sie mir bitte etwas verschreiben, was die Schmerzen nimmt, damit ich wieder essen kann?“ schildert er sein Problem. Er hat sich gerade erst von einem starken grippalen Infekt mit Husten und Fieber erholt. Klinisch zeigen sich mehrere (4–5) ca. 1 cm große, linsenförmige Schleimhautdefekte mit Fibrinbelägen und entzündlichem Saum entlang des Zahnfleisches. Die Halslymphknoten sind noch ein wenig geschwollen, ansonsten zeigen sich keine weiteren klinischen Symptome. Medikamentenanamnese neg., RR 125/80, P 65, Temp. 36,5°C. Wie helfen Sie Ihrem Patienten, und welche DD sollten Sie nicht außer Acht lassen?
“Aphtöse Läsionen treten häufig und in allen Schweregraden auf”
OA Dr. Gregor Fischer
HNO-Abt. Landesklinikum Krems
Der vorliegende Fall imponiert als eine Stomatitis aphthosa mit starkem Krankeitsgefühl und Nahrungsverweigerung aufgrund der Schmerzsituation. Zu Beginn erfolgt eine genaue Anamnese über Dauer, Beschwerden und Begleiterkrankungen. Anschließend muss ein kompletter HNO-Status erhoben werden inklusive Endoskopie von Larynx und Hypopharynx, um die Ausdehnung des Befalles zu dokumentieren.
Aphtöse Läsionen sind ein häufiges Krankheitsbild, das alle Schweregrade beinhalten kann (von der isolierten fast asymptomatischen aphthösen Läsion bis zum schweren Krankheitsverlauf mit Gewichtsabnahme). Ein weiteres Glied in der Differenzialdiagnostik ist die genaue Beschreibung der Aphten. Liegen einzelne oder multiple Läsionen vor? Wie sehen diese aus? Ist dies der erste Befall oder kommt es zu rezidivierenden aphthösen Läsionen? Die beschriebenen bis zu 1cm große Läsionen mit entzündlichem Saum könnten chr. rez. Aphthen vom Minor-Typ (Bläschen <1cm) entsprechen. Da der Patient auch z.n. einen grippalen Infekt mit Fieber angibt, muss man auch an eine Gingivostomatitits herpetica (eine Erstinfektion mit Herpes-simplex-Virus) denken. Dafür spricht auch die Anordnung der aphthösen Läsionen am Zahnfleisch. Symptome in anderen Regionen (wie Genitalbereich und Augen) könnten auch auf einen M. Behçet hinweisen. Weiters sind eine Herpangina, Lues, HIV und Autoimmunerkrankungen wie Pemphigus vulgaris oder ein bullöses Pemphigoid auszuschließen.
Eine Laborkontrolle gibt einen Hinweis auf erhöhte Entzündungsparameter und Blutbildanomalien. Falls es zu keinem Abheilen kommt, ist eine Probeexcison indiziert. Wenn eine Nahrungsaufnahme nicht möglich ist und daher auch schon eine Gewichtsreduktion vorliegt, sollte man den Patienten stationär aufnehmen und eine parenterale Flüssigkeitstherapie einleiten. Weiters sollte man eine symptomatische Schmerztherapie mit NSAR einleiten. Zur Abschirmung von bakteriellen Superinfektionen kann eine Antibiose eingeleitet werden. Die medikamentöse Therapie kann durch die Gabe von gekühlten Getränken (auch gekühlte Speisen) ergänzt werden. Eine Therapie mit dem Aciclovir oder andernen Virostatika kann in Einzelfällen den Heilerfolg beschleunigen.
“Gegen wiederkehrende Aphten gibt es zur Zeit keine klar wirksame Therapie”
Dr. Bela Büki
HNO-Abt. Landesklinikum Krems, Wahlarzt, Amstetten
Da es sich hier offensichtlich um eine Erstmanifestation handelt, besteht am ehesten eine aphtöse Entzündung der Mundschleimhaut. Diese wird meistens durch Herpessimplex- Viren ausgelöst, mit denen wir meistens schon im Kindesalter infiziert werden. Dann bleiben die Viren in unserem Körper und verursachen einzelne Ausbrüche, häufig nach viralen oder bakteriellen Erkrankungen.
In leichten Fällen ist meistens nur eine symptomatische lokale Schmerztherapie notwendig. Bei stärkeren Beschwerden können auch schmerzstillende Tabletten verabreicht werden. Eine Erstmanifestation heilt in der Regel von selber nach 8–10 Tagen vollständig ab. Anders die wiederkehrenden Aphten, die können für die Patienten erhebliche Probleme bereiten. Es gibt Patienten, die zum Beispiel über einen längeren Zeitraum monatlich für zwei Wochen über schmerzhafte Läsionen klagen. Bei diesen Patienten stehen manchmal systemische Krankheiten im Hintergrund (entzündliche Darmerkrankungen, Zöliakie, Immunkrankheiten, Eisenmangel, B1, B6, B12 Hypovitaminose usw.), in anderen Fällen stellt sich nie eine Ursache heraus. Der Pathomechanismus ist nicht klar, man nimmt eine genetische Neigung an.
Gegen die wiederkehrenden Aphten gibt es zurzeit auch keine eindeutig wirksame Therapie. Man versucht eher die Behandlung mit lokal wirkenden Steroidpräparaten, statt Tabletten zu geben, die eventuell starke Nebenwirkungen haben können. Da Schleimhautreize und Mundinfektionen einen Ausbruch beschleunigen können, ist es empfohlen, auf die Mundhygiene zu achten, z.B. eigenes Glas und Besteck zu verwenden. Oft kann Stress die Neigung, Aphten zu entwickeln, erhöhen.
“Ich gehe von einer viral bedingten benignen oralen Aphtose aus”
Assoc.-Prof. PD Dr. Christoph Arnoldner
Oberarzt der HNO Univ.-Klinik Wien
Primär gehe ich bei diesem Patienten von der (häufigen) benignen oralen Aphtose aus (Aphten typisch <1cm), welche meist viraler Genese ist. Trotz des manchmal auch wenig eindrücklichen Befundes leiden die betroffenen PatientInnen massiv unter den Schmerzen, und eine Nahrungs- bzw. Flüssigkeitsaufnahme wird oft unmöglich.
Ich verschreibe ein NSAR, welches gut zu schlucken ist (z.B. Diclofenac dispers), sowie eventuell zusätzlich Novalgin- (Metamizol)-Tropfen. Lokal können verschiedene Adstringenzien (z.B Pyralvex Lösung) und Steroide (Volon A Haftsalbe) angewandt werden. Sehr bewährt haben sich gelförmige Lokalanästhetika (z.B. Xylocain Gel). Sollte dies nicht ausreichen, können auch orale Opioide (z.B. Oxycontin) verschrieben werden, in den meisten Fällen ist dann auch eine stationäre Aufnahme indiziert.
Differenzialdiagnostisch muss bei Auftreten von Fieber und schlechtem AZ auch an eine Herpes-simplex-Primärinfektion gedacht werden (Gingivostomatitis herpetica), wenngleich diese meist bereits im Kindesalter erfolgt. Eine Reaktivierung des Herpes-Virus würde eher kleinere Aphten am mukokutanen Übergang an den Lippen zeigen. Die Diagnose kann mittels Abstrich und PCR bestätigt werden, eine virostatische Therapie wäre zu erwägen.
Der Patient sollte unbedingt hinsichtlich rezidivierenden Aphten, aphtösen Genitalulzera und Augenproblemen (Hypopyonirits) im Rahmen eines Morbus Behcet befragt werden. Neben symptomatischer Therapie kommen hier auch Glukokortikoide oder Zytostatika zum Einsatz.
Hat der Patient auch Bläschen an Händen bzw. Füßen, handelt es sich um eine Hand-Fuß-Mund-Erkrankung, welche durch Coxsackie-Viren ausgelöst wird. Die Therapie der Wahl ist eine symptomatische Therapie. Eine weitere durch diese Viren ausgelöste Erkrankung ist die Herpangina. Hier zeigen die Patienten jedoch auch deutliche Allgemeinsymptome und Effloreszenzen insbesondere im Bereich der vorderen Gaumenbögen und Uvula.
Bei Persistenz einer Aphte über mehrere Wochen ist eine Biopsie und histologische Abklärung indiziert.