15. Juni 2020Offenes Ohr für Stäbchen und Kokken

Antibiotika bei otologischen Infektionen richtig einsetzen

Bakterien im Ohr können das Gehör, ja sogar das Leben kosten. Dennoch wäre es grundverkehrt, alle Infektionen von der Otitis media bis zum Furunkel im Gehörgang mit einem Antibiotikum zu behandeln. (Medical Tribune 23-24/20)

Zu den häufigsten otogenen Infektionen zählt die akute Mittelohrentzündung. Sie wird meist durch S. pneumoniae und H. influenzae ausgelöst. Aber auch andere Erreger (S. pyogenes, M. catarrhalis und Staph. aureus) kommen in Betracht, heißt es in einer kürzlich überarbeiteten Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie. Eine mikrobiologische Abklärung empfiehlt das Team um Prof. Dr. Pierre Federspil, Homburg/Saar, nur bei Grunderkrankungen, Komplikationen und Neugeborenen. Die Therapie erfolgt primär mit Antiphlogistika oder Analgetika. Bei immunkompetenten Patienten heilt die Entzündung darunter meist von selbst ab, sie benötigen keine Antibiotika.

Amoxicillin bei Otorrhö mit Dauerschmerz oder Fieber

Gebraucht werden die Antiinfektiva z.B. bei der schweren Otitis media. Gleiches gilt für die Erkrankung in den ersten sechs Lebensmonaten und der beidseitigen Otitis in den ersten beiden Lebensjahren. Auch eine Otorrhö mit persistierenden Schmerzen und/oder Fieber erfordert den Antibiotika-Einsatz. Ebenfalls der Behandlung bedürfen Patienten mit Risikofaktoren wie schweren Grunderkrankungen, Immundefizienz, Paukenröhrchen und kranialen Fehlbildungen. Mittel der Wahl ist in diesen Fällen Amoxicillin. Falls Risikopatienten darunter wiederholt rezidivieren, sollte man das Aminopenicillin mit einem Betalaktamase-Inhibitor verstärken, also beispielsweise Amoxicillin/Clavulansäure. Alternativ kommt ein Cephalosporin in Betracht, bei Kindern z.B. intravenöses Ceftriaxon über drei Tage. Außerdem raten die Experten zu untersuchen, ob die Patienten von einer Paukendrainage bzw. (erneuten) Adenotomie profitieren könnten.

Anders sieht die Strategie gegen die chronische Mittelohrentzündung aus, häufig durch Pseudomonas aeruginosa und Staph. aureus bedingt, seltener durch Anaerobier und Schimmelpilze. Liegt ein Trommelfelldefekt mit begleitender Otorrhö vor, plädiert die Leitlinie für einen Erregernachweis. Die Otitis media chronica wird primär lokal behandelt – entweder mit Ciprofloxacin-Ohrentropfen oder mit einem Antiseptikum (z.B. Natriumhypochlorid- Spüllösung 1 % oder 3 %). Eine systemische Antibiotikatherapie z.B. mit Piperacillin/Tazobactam kommt nur bei Komplikationen zur Anwendung. Dann sollte man zudem die Indikation für eine OP prüfen.

Aminoglykoside nur, wenn das Trommelfell ganz ist

Eine bedrohliche Folge der akuten Mittelohrentzündung ist die Mastoiditis. Sie manifestiert sich vor allem bei Infektionen mit Streptococcus pneumoniae, aber auch zahlreiche andere Bakterien bis hin zu den Anaerobiern können dahinterstecken. Die Autoren halten daher die Erregerdiagnostik für obligat. Therapeutisch empfehlen sie primär ein Aminopenicillin plus Betalaktamase- Inhibitor. Kinder mit Pseudomonas-Verdacht (Ohrenlaufen, Alter über zwei Jahre) erhalten zunächst Piperacillin/Tazobactam, evtl. folgt später ein Wechsel nach Antibiogramm, wenn nötig wird operiert.

Neben dem Mittelohr befallen Infektionen häufig den äußeren Gehörgang. Bei der Otitis externa diffusa z.B. findet sich eine Entzündung von Haut und Subkutis. Zu den wichtigsten Erregern gehören Pseudomonas aeruginosa und Staphylokokken, Pilze (Aspergillus, Candida) spielen ebenfalls eine Rolle. Therapeutisch steht die Säuberung des Gehörgangs an erster Stelle, ergänzt durch eine antientzündliche Lokalbehandlung (essigsäurehaltige Ohrentropfen). Manchmal brauchen die Betroffenen ein topisches Antibiotikum (Ciprofloxacin-Ohrentropfen), evtl. kombiniert mit einem Glukokortikoid und der Einlage von Salbenstreifen. Lässt sich ein Trommelfelldefekt nicht ausschließen, dürfen keine Aminoglykoside Verwendung finden. Patienten mit schwerer Otitis externa (Fieber, Ausbreitungstendenz etc.) benötigen eine systemische Antibiotikatherapie z.B. mit Piperacillin/Tazobactam intravenös, alternativ Ceftazidim ggf. plus Clindamycin (Beteiligung von Staph. aureus).

Ein Werk von Pseudomonas aeruginosa ist die Otitis externa maligna. Diese nekrotisierende Entzündung des äußeren Gehörgangs kann auf Knochen und Hirnnerven übergreifen und verlangt immer nach einer mikrobiologischen Abklärung. Die Behandlung startet mit einer Kombination von intravenösem Ceftazidim und Ciprofloxacin (Mindestdauer sechs Wochen). Im Auge haben sollte man eine mögliche Immunsuppression (z.B. Diabetes, Malignom) und den Operationsbedarf. Furunkel im Gehörgang, ausgelöst durch Staph. aureus, zählen ebenfalls zu den klassischen Ohrinfektionen. Die Therapie erfolgt lokal – antiseptisch oder antibiotisch. Auch hier gilt: kein Aminoglykosid bei potenziellem Loch im Trommelfell. Die systemische Therapie bleibt schweren Formen vorbehalten. Eine Stichinzision kann den Furunkel entlasten.

Perichondritis primär lokal antiseptisch behandeln

Als typische Erkrankung der Ohrmuschel nennen die HNO-Ärzte die Perichondritis, bei der sich das den Knorpel umgebende Bindegewebe entzündet. Als Erreger dominieren Pseudomonas aeruginosa und Staph. aureus, E. coli und Enterokokken kommen ebenfalls in Betracht. Therapeutisch steht die aseptische Lokalbehandlung an erster Stelle. Schwere Formen werden systemisch angegangen, Kinder erhalten Piperacillin/Tazobactam, Erwachsene beispielsweise orales Ciprofloxacin, bei Furunkel-Verdacht (mit Staph. aureus) zusätzlich Clindamycin.

S2K-Leitlinie Antibiotika bei HNO-lnfektionen, AWMF-Register-Nr. 017/066

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune