Wenn die Fieberwelle wieder rollt
Der Fall. Ihre Ordination ist an diesem Montagmorgen im Dezember bereits brechend voll, als Sie ankommen. „Mir geht’s gar nicht gut. Seit Samstag hab ich über 40°C Fieber, mir tut alles weh, ich kann mich kaum rühren!“, schildert Ihnen Ihre erste Patientin Frau W. (65 J.). „Ich bin nur noch am Husten, hab Schnupfen und diese furchtbaren Kopfschmerzen. Ich bin schon total erschöpft und seit heute Früh ist mir immer wieder schwindlig!“ Klinisch zeigt sich eine sehr erschöpfte, abgeschlagene Frau mit einer starken beidseitigen Konjunktivitis sowie deutlich geschwollenen Lymphknoten cervikal. Cor/Pulmo: unauffällig, RR: 100/70mmHg, P 100/Min, Temp. 39,9°C, HNO: stark geröteter Rachen, Uvulaödem, restliche Klinik unauffällig. VE: Hypercholesterinämie, Dauermedikation: dzt. keine. Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose, welche Schritte leiten Sie ein? (ärztemagazin 11/19)
„Stationäre Patienten profitieren von einer spezifischen Therapie“
Univ.-Prof. Dr. Florian Thalhammer
FA für Innere Medizin, www.infektiologie.wien
DIE GRIPPESAISON ist seit Wochen offiziell ausgerufen. Das heißt, die wichtigste Differentialdiagnose ist Grippe. Zur Absicherung kann ein tiefer Nasen-Rachen-Abstrich für einen PCR-basierter Influenzaschnelltest veranlasst werden, der innerhalb von etwa 15 bis 30 Minuten die klinische Verdachtsdiagnose bestätigen wird. Innerhalb der ersten 48 Stunden sollten die ambulanten Patienten einen Neuroaminidasehemmer verschrieben bekommen, bei einer längeren Anamnesedauer – wie hier bei unserer Patientin – wird die Gabe nicht mehr empfohlen, da der Benefit – eine verkürzte Erkrankungsdauer – nicht mehr gegeben ist. Muss die Patientin wegen der hypotonen Kreislaufsituation, Tachykardie und hohem Fieber stationär aufgenommen werden, würde sie bei positivem Grippetest trotz der verlängerten Anamnesezeit eine spezifische Grippetherapie erhalten. Metaanalysen zeigten, dass stationäre Patienten mit entsprechender Komorbidität einen Überlebensvorteil haben.
Da die Patientin schon länger als 48 Stunden krank und das aktuelle Lungenröntgen unauffällig ist, erscheint eine Lungenentzündung ausgeschlossen. Auch die Atemfrequenz (tachypnoeisch?) ist zu erheben. Unabhängig davon ist die Bestimmung von Entzündungsparametern, Serumkreatinin sowie einer Kreatinkinase sinnvoll. Letzter Parameter ist bei einer schweren Grippe ebenso häufig erhöht wie das C-reaktive Protein. Die Differentialdiagnose für die beschriebenen cervikalen Lymphknoten sind breit, reichen von einer verspäteten CMV-Infektion bis zu einem Malignom. Letzteres soll nur abgeklärt werden, wenn die wahrscheinlichste Diagnose ausgeschlossen ist und die Lymphknoten persistieren. Bleibt die Frage, ob die Patientin den Impfempfehlungen gefolgt war und sich gegen Grippe hat impfen lassen. Es soll auch erhoben werden, ob die Patientin gegen Pneumokokken geimpft wurde.
„Hospitalisierung würde die Erregerdiagnostik vereinfachen“
OA Dr. Marton Széll
FA für Infektiologie und Tropenmedizin www.dietropenordination.at
DIE PATIENTIN zeigt klinisch ausgeprägte Zeichen einer wahrscheinlich viralen Infektion: Es sind sowohl die oberen Atemwege als auch die Konjunktiva betroffen. Zusätzlich ist ihr Blutdruck grenzwertig hypoton und die Patientin zeichnet diesbezüglich klinisch mit dem Symptom „Schwindel“. Bezüglich der Ursache kommen prinzipiell mehrere Viren in Frage, die Differentialdiagnose ist breit. Eine Influenza wäre theoretisch möglich, jedoch gibt es Anfang Dezember meist nur sporadi- sche Fälle in Österreich und auch die Klinik der Patientin (ausgeprägte Konjunktivitis) ist mit einer Influenza nicht ganz kompatibel. Klinisch würde das Bild aber sehr gut zu einer Masernerkrankung passen. Da es sich erst um den dritten Krankheitstag handelt, ist noch mit keinem Exanthem zu rechnen. Dieses tritt typischerweise erst am fünften Tag auf.
Das Alter der Patientin spricht allerdings eher gegen die Diagnose einer Maserninfektion, grundsätzlich ist bei Patienten, die vor 1968 geboren sind, mit einer Immunität durch eine bereits durchgemachte Infektion zu rechnen. Es gab allerdings in den letzten Jahren mehrere Fälle von Masern bei älteren Patienten in Österreich. Bezüglich des akuten Managements dieser Patientin in der Ordination würde ich, falls dies überhaupt möglich ist, die Patientin isolieren und ihr neben Paracetamol intravenös auch 1.000ml kristalloide Infusionslösung geben. Je nach klinischem Zustand könnte die Patientin danach wieder heimgeschickt werden.
Angesichts ihrer Symptome und des Blutdrucks wäre es aber auch erwägenswert, die Patientin gleich zu hospitalisieren. In einer Notfallambulanz kann die Patientin leichter isoliert werden und auch die Einleitung einer symptomatischen Therapie ist einfacher. Der zusätzliche Vorteil einer Hospitalisierung ist auch die einfachere Einleitung einer Erregerdiagnostik. Eine „Point of care“-PCR auf Influenza ist inzwischen Standard in den meisten Notfallambulanzen in Österreich. Ebenfalls sind verschiedene PCR-Systeme auf respiratorische Viren möglich. Leider sind diese modernen Tests im niedergelassenen Bereich aus Kostengründen kaum möglich.
„Propagation der Impfung ist eine Bringschuld für die Ärzte“
o. Univ.-Prof. em. Dr. W. Waldhäusl
FA für Innere Medizin/Endokrinologie & Diabetologie
DIE INDEXPATIENTIN zeigt die klassischen Symptome einer schweren Influenzainfektion, dominiert von Tracheitis und allgemeiner Schwäche. Die Diagnose ist meist einfach. Differentialdiagnostische Schwierigkeiten treten im Allgemeinen nur bei sporadisch, außerhalb der Epidemiezeit auftretenden Fällen auf, da zahlreiche virale und bakterielle Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik einhergehen können. Entgegen landläufiger Meinung (‚I hab a Gripp‘) ist die Influenza eine schwere Erkrankung, die mit einer beträchtlichen Übersterblichkeit (weltweit 0,5–1,0 Millionen/a) einhergeht. Basis dafür sind Pneumonien, Myokarditiden, Encephalitiden, allgemeine Schwäche und die Möglichkeit des Auftretens eines Reye-Syndroms (Spätenzephalitis und -hepatitis) bei mit Azetylsalizylsäure behandelten Kindern. Virusquellen sind Kranke bzw. subklinisch infizierte Menschen, vorzugsweise Kinder und Jugendliche. Als Zwischenwirt und Virusreservoir im Intervall zwischen zwei Epi-/Pandemien dienen vor allem Vögel und Schweine. Die Therapie mit Virostatika (Neuraminidasehemmer: Zanamivir/Spray; Oseltamivir/oral) sollte frühzeitig, <36h nach dem Auftreten der ersten Symptome, beginnen.
Sie mitigiert den Verlauf der Erkrankung. Zudem kann Amantadin bei pandemischer Influenza zur Prophylaxe eingesetzt werden. Das Problem periodisch auftretender Influenza-Epidemien (Typ A und B) und ihrer Folgen könnte jedoch um mindestens 50 Prozent reduziert werden, wenn die von den Impfbehörden und dem CDC (Center of Disease Control) empfohlene Indikationsimpfung nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Personen mit chronischen Erkrankungen und erhöhter Infektanfälligkeit, wie Diabetiker und über 60-jährige Personen, aber auch für besonders gefährdete Berufsgruppen, flächendeckend umgesetzt würde und die Prävalenz der Impfung nicht wie z.B. für Diabetiker in Österreich bei läppischen 9% (T2D) bzw. 16% (T1D) läge. Der verwendete Totimpfstoff enthält Hüllmaterial der Influenzaviren A und B und schützt ½ Jahr. Da die Zusammensetzung der Oberflächenantigene des Influenzavirus von Jahr zu Jahr variiert (Antigendrift), ist es allerdings notwendig, die Impfung jährlich zu erneuern. Die Propagation von Impfnotwendigkeit und -freudigkeit ist somit eine dringende Bringschuld für Ärzte und eine Holschuld für Patienten.