Was tun bei einem Schlangenbiss?
In Österreich werden laut Statistik rund 40 Menschen pro Jahr von Schlangen gebissen, wobei unklar ist, wie viele Bisse davon auf Giftschlangen zurückgehen. Bei der Behandlung gilt der Leitsatz, dass jeder Schlangenbiss bis zum Beweis des Gegenteils als giftig anzusehen ist. (CliniCum derma 3/19)
Abgesehen von Terrarien und Zoos ist Österreich Heimat von sieben Schlangenarten: die nicht giftige Ringelnatter und Schlingnatter kommen im gesamten Bundesgebiet vor, die Äskulapnatter und die Würfelnatter nur in Ostösterreich. Die drei giftigen Schlangenarten gehören der Familie der Vipern an. Die Kreuzotter tritt in ganz Österreich und in Seehöhen bis zu 2.500 Metern auf. Die sehr giftige Sandotter bevorzugt die trockenen Gebiete in Südösterreich, während die Wiesenotter, die kleinste Giftschlange Europas, vor allem in feuchten Wiesen und Senken anzutreffen ist. Schlangen beißen einerseits, um Beute zu töten, hier wird mit beiden Giftzähnen ein Vollbiss ausgeführt, der immer mit der Injektion von Gift eingeht. Andererseits wird zur Verteidigung und Abwehr von Feinden der sogenannte Abwehrbiss eingesetzt, der nur mit einem Giftzahn ausgeführt wird und mit einer viel geringeren Giftfreisetzung einhergeht, aber nichtsdestotrotz sehr schmerzhaft sein kann.
Eine weitere Variante ist der trockene Biss, ein giftfreier Abwehrbiss, der keine toxische Wirkung entfaltet. Die Giftmixtur jeder Schlange ist individuell und kann innerhalb der Population variieren, sie enthält hauptsächlich Proteine und Polypeptide, die eine enzymatische und toxische Wirkung entfalten. Zu den klassischen Symptomen einer Vergiftung durch Schlangenbiss zählen Zytolyse, Myotoxizität, Hämorrhagien, Kardiotoxizität, Schmerzen, Nekrosen und Muskelschwäche. Weiters können Chemo- und Neurotoxizität mit Lähmungen und Krämpfen, Gerinnungsstörungen und Thrombosen und auch Anaphylaxie auftreten.
Extremitäten niemals abbinden
Nach einem erfolgten Schlangenbiss sollten Ersthelfer vor Ort das Bissopfer aus dem Umfeld der Schlange entfernen und beruhigen, da Aufregung und Panik die Verteilung des Giftes im Körper beschleunigen. Die betroffene Körperstelle muss unbedingt ruhiggestellt bzw. eine Extremität idealerweise geschient werden und bei bestehender Kreislaufsymptomatik sollte eine Schocklagerung durchgeführt werden. Da häufig starke Ödembildung eintritt, sollten einengende Kleidungs- oder Schmuckstücke entfernt werden.
„Betroffene Extremitäten dürfen niemals abgebunden werden, weil dadurch die Konzentration des Giftes im betroffenen Areal steigt und damit auch die Giftwirkung verstärkt wird“, betont Aikaterini Tsiogka von der Universitätsklinik für Dermatologie in Salzburg. „Ebenso dürfen Bisswunden nie ausgesaugt werden.“ Wenn möglich und wenn dadurch keine weitere Gefährdung entsteht, sollte die Schlange vom Ersthelfer fotografiert werden, um die Identifizierung der Art zu erleichtern. Nach einem Schlangenbiss ist professionelle Hilfe immer notwendig und sollte umgehend angefordert werden. Nach Möglichkeit sollte der Patient immobilisiert zur nächsten stationären medizinischen Versorgungseinheit transportiert werden. Der Notarzt sollte jedenfalls einen intravenösen Zugang legen, eine Flüssigkeitstherapie und, falls notwendig, auch eine antiallergische Therapie einleiten. Die Identifizierung der Schlangenart kann sich schwierig gestalten.
„Im Prinzip muss jeder Schlangenbiss bis zum Beweis des Gegenteils als giftig angesehen und auch so behandelt werden“, so Tsiogka. „Die Bisseinstichstellen dürfen nicht zur Identifizierung herangezogen werden, weil sie sehr oft durch das dermale Ödem oder Nekrosen überlagert werden.“ Der Patient sollte die Schlange so gut wie möglich beschreiben, danach sollte das ärztliche Team Kontakt mit der Vergiftungszentrale oder spezialisierten Zoologen aufnehmen.
Bestimmung des Schweregrads
Für die weitere Therapie ist die Bestimmung des Schweregrads der Vergiftung notwendig. Dafür müssen eine klinische Untersuchung inklusive neurologischer Abklärung, eine Echokardiografie und ein komplettes Blutbild inklusive der Bestimmung von Elektrolyten, Gerinnungs- und Nierenfunktionsparametern sowie der Kreatinkinase durchgeführt werden. Aus der Zusammenschau dieser Befunde kann eine Einstufung getroffen werden, wobei auch anamnestisch ungünstige Faktoren wie die Zeitverzögerung bis zur Vorstellung in Krankenhaus, sehr junges Alter oder die Größe der Schlange zu berücksichtigen sind. Wenn nur eine lokale oder keine Ödembildung im Bereich der Bissstelle auftritt und keine auffälligen Laborparameter und Anzeichen einer systemischen Vergiftung vorhanden sind, wird von einer minimalen Vergiftung ausgegangen. Bei einem regionalen Ödem, geringen Intoxikationszeichen und leicht abnormalen Laborwerten ohne klinisch relevante Blutungen spricht man von einer mäßigen Vergiftung.
Schwere systemische Intoxikationszeichen, deutlich abnormale Laborwerte mit oder ohne klinisch relevante Blutungen werden als schwere Vergiftung eingestuft. Die Beurteilung richtet sich immer nach dem schwersten Symptom. Laborsymptome können auch verzögert auftreten, daher sollten die Kontrollen alle drei bis vier Stunden wiederholt werden. Sollten sich keine weiteren Symptome entwickeln, kann die Überwachung nach 24 Stunden beendet werden. „Sollten systemische Symptome sofort auftreten, ist von einer Anaphylaxie auszugehen, da toxische Symptome sich meist erst nach einigen Stunden manifestieren“, erklärt Tsiogka.
Lokal- und Antiserumtherapie
Auf jeden Fall und unabhängig von systemischen Symptomen ist eine Lokaltherapie durchzuführen. Das Ödem um die Bisswunde sollte alle 15 bis 30 Minuten markiert werden; so eine Extremität betroffen ist, macht es Sinn, diese regelmäßig zu vermessen. Die Wunde selbst muss täglich desinfiziert und steril verbunden werden. Inzision oder chirurgische Eingriffe, der Einsatz von Puder, Salben und Naturtherapien sind kontraindiziert. Eine Fasziotomie ist nur in seltenen Fällen notwendig, z.B. bei schweren Durchblutungsstörungen wie beim Kompartment-Syndrom. Massive Ödeme stellen keine diesbezügliche Indikation dar. Entstandene Nekrosen sollen erst nach einigen Tagen chirurgisch abgetragen werden.
Für Patienten mit schweren Vergiftungserscheinungen ist die Antiserum-Gabe die einzige Therapie. In Europa gibt es mittlerweile acht verschiedene, mono- und polyvalente Antiseren für die giftigen heimischen Schlangenarten. Die Österreichische Vergiftungszentrale berät beim Einsatz von Antiseren und informiert über deren aktuelle Verfügbarkeit, denn die Präparate sind teuer und nur begrenzt haltbar und daher nicht immer und überall erhältlich. Als Entscheidungshilfe für die Verabreichung von Antiseren werden von der Vergiftungszentrale die Stockholm-Kriterien (Persson H, Karlsson-Stiber C, Envenomings and their treatments 1996, 281–292) herangezogen, während bei Kindern der frühzeitige Einsatz von Antiserum empfohlen ist. Die absolute Indikation für die Verabreichung von Antiserum ist das Vorhandensein von klinisch relevanten, systemischen Vergiftungssymptomen.
Schwere Komplikationen an der Bisswunde bilden eine relative Indikation, wobei hier eine Risikoabwägung erforderlich ist. Schwangerschaft und Stillzeit stellen keine Kontraindikation dar, wenn eine absolute Indikation zur Antiserumgabe vorliegt. Die Verabreichung erfolgt als intravenöse Infusion gemäß der in der Fachinformation angegebenen Dosierung, wobei keinesfalls unterdosiert werden sollte. Nach 15 bis 30 Minuten wird die Ödematisierung beobachtet und bei weiterer Ausbreitung kann eine zusätzliche Dosis verabreicht werden. Bei verzögerten Vergiftungserscheinungen kann auch noch zwei bis vier Tage nach dem stattgefundenen Biss ein Antiserum gegeben werden. Mit der Antiserumgabe können schwerwiegende Nebenwirkungen einhergehen, dazu gehören allergische Reaktionen vom Soforttyp, aber auch pyrogene Reaktionen mit Fieberschüben, Schüttelfrost und arterieller Hypertension, die nach einigen Stunden auftreten können. Eine der häufigsten Nebenwirkungen ist die Serumkrankheit, die zwischen einer und drei Wochen nach Verabreichung auftreten kann und sich mit Pruritus, Urtikaria, Fieber, Arthralgien und neurologischen Störungen manifestiert.
Ob solche Nebenwirkungen auftreten oder nicht, kann mit einer Vortestung abgeschätzt werden, was allerdings nur bei einer relativen Indikation durchgeführt werden sollte. Dabei wird das Antiserum intrakutan oder in Ausnahmefällen konjunktival verdünnt appliziert und über 15 Minuten beobachtet, ob lokale Reaktionen wie Schwellung, Quaddeln oder Rötung auftreten. Parallel dazu muss zu jeder Vortestung eine Kontrolle mit physiologischer Kochsalzlösung in gleicher Technik und Dosis am anderen Arm oder Auge durchgeführt werden. „Allerdings“, gibt Tsiogka zu bedenken, „schließt ein negatives Ergebnis das Auftreten von Nebenwirkungen nicht aus.“
Symptomatische Therapie
Zusätzlich soll bei Schlangenbissen eine symptomatische Behandlung durchgeführt werden, die u.a. eine Schmerztherapie, eine Tetanusprophylaxe gemäß Impfstatus, aber auch die assistierte Beatmung und die Verabreichung von Blutprodukten beinhalten kann. Antibiotikagaben sind nur bei sekundärer Weichteilinfektion erforderlich. Eine Problematik für sich stellen Züchter und Halter von Giftschlangen dar, diese sind angehalten, das entsprechende Antidot eigenverantwortlich einzulagern, wobei nicht für alle Schlangenarten Antiseren verfügbar sind. In diesen Fällen kann nur eine symptomatische Therapie erfolgen.
Weltweit werden jeden Tag mehr als 7.000 Menschen von einer giftigen Schlange gebissen, und jährlich sterben mehr als rund 138.000 Menschen nach einem Giftschlangenbiss, vor allem in Indien und Afrika. Weitere 400.000 Menschen erleiden bleibende Schäden wie Blindheit, Amputationen und posttraumatische Belastungsstörungen. Im Jahr 2017 wurden Giftschlangenbisse und ihre Folgen von der WHO auf die Liste der vernachlässigten tropischen Erkrankungen gesetzt, mit dem Ziel, die Todesraten bis 2030 zu halbieren. Das soll vor allem durch die Schulung von Ersthelfern und regionalen Heilern, die Produktion von Gegengiften und durch die Information der Bevölkerung gelingen.
„Therapiealgorithmus bei Schlangenbissen“, Vortrag im Rahmen der Jahrestagung der Österreichischen Akademie für Dermatologische Fortbildung (OEADF), Graz, 31.5.19
Stockholm-Kriterien
- Therapieresistente Hypotonie und Kreislaufschock
- Protrahierte schwere gastrointestinale Symptome
- Schleimhautschwellung mit Gefahr der bronchialen Obstruktion
- Rasche Ödemausbreitung auf ganze Extremität und Stamm
- Neurologische Symptome
- In Grenzfällen unterstützen folgende Befunde eine Antiserumanwendung: Leukozytose >15–20x 108/L, Metabolische Azidose, Hämolyse, EKG-Veränderungen, Gerinnungsstörungen