28. Aug. 2019

IARC: Nachtarbeit ist „wahrscheinlich karzinogen“

Zwei Nachtschicht-Bauarbeiter sitzen und unterhalten sich während der Mitternachtsarbeitspause der Männer. Speicherplatz kopieren.
(c) Gettyimages/Willowpix

Arbeiten, wenn andere schlafen: Krankenpfleger, Fließbandarbeiter oder Flugbegleiter machen beruflich regelmäßig die Nacht durch. Für den Körper ist das nicht nur aufgrund der Müdigkeit besonders belastend. Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) bestätigte jüngst auf Basis neuer Studien ihre frühere Einschätzung, dass Nachtarbeit wahrscheinlich krebserregend ist. Allerdings sind dazu noch viele Fragen offen.

Weltweit arbeitet eine von fünf Arbeitskräften in der Nacht, die meisten Nachtarbeiter sind im Gesundheits-, Produktions-, Transport-, Einzelhandels- oder Dienstleistungssektor tätig. Bei der Arbeit, die während der Stunden stattfindet, in denen die normale Bevölkerung schläft, gerät der Tag-Nacht-Rhythmus der Betroffenen aus dem Ruder.

Neubewertung der IARC dank verbesserter Datenlage

Bereits im Jahr 2007 wurde die Nachtschichtarbeit von der IARC auf Basis einer ausreichenden Evidenz in Tierexperimenten und eingeschränkter klinischer Evidenz beim Brustkrebs in die Gruppe 2A – wahrscheinlich karzinogen – eingestuft. In derselben Kategorie rangieren auch beispielsweise der umstrittene Pflanzenschutz-Wirkstoff Glyphosat und der Verzehr von rotem Fleisch. Nun hat die IARC dies anlässlich einer neuerlichen Evaluation auf Basis einer größeren Datenlage, unter anderem mit qualitativ hochwertigen epidemiologischen Studien, bestätigt.1

Die Neubewertung nahm eine Arbeitsgruppe aus 27 Wissenschaftlern aus 16 Ländern vor; die Experten analysierten dafür die wissenschaftliche Literatur und Studien unter Berücksichtigung der Studienqualität. Ein größeres Gewicht wurde dabei den aussagekräftigsten Humanstudien beigemessen, die Faktoren wie eine große Stichprobe, eine gute Einschätzung des Umfangs der Nachtarbeit und adäquate Kontrolle von Störfaktoren aufwiesen. Die meisten Studien beschäftigten sich mit der Häufigkeit von Brust-, Prostata- und Kolorektalkarzinomen, nur wenige untersuchten auch andere Krebsarten. Während einige Studien tatsächlich einen Zusammenhang dokumentierten, trat dieser in anderen nicht zutage.

Rückschlüsse auf Krebsrisiko schwierig

Wie die Agentur mit Sitz in Lyon erklärt, gebe es somit „eingeschränkte Nachweise“, dass Nachtarbeit zu Tumoren der untersuchten Gruppen führen könne. Die Einstufung gilt aber nicht als Risikobewertung, wie die IARC betont.

Denn Aussagen über die Wahrscheinlichkeit, mit der Nachtarbeit Krebs auslöst, sind schwierig. Die Bewertung der Experten könne lediglich die Frage klären, ob es einen Zusammenhang zwischen nächtlicher Schichtarbeit und dem Krebsrisiko gibt, sagt der an der IARC-Einstufung beteiligte Hajo Zeeb, Leiter der Abteilung Prävention und Evaluation am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen. „Wie groß der Einfluss der Nachtarbeit auf das Krebsrisiko ist, lässt sich mit dieser Einschätzung nicht klären. Dazu bräuchte es eine sogenannte Risikobewertung.“ Außerdem würden individuelle Aspekte einer einzelnen Person in Schichtarbeit bei der Bewertung nicht berücksichtigt, sagt Zeeb. Bedingt durch die Studiendesigns ließen sich auch andere Erklärungen für Krebserkrankungen nicht völlig ausschließen. Die Einschätzung der Expertengruppe erschien schon im Juli in der Fachzeitschrift The Lancet Oncology.

„Es war eine in weiten Teilen durchaus kontrovers geführte Diskussion der wissenschaftlichen Daten zum Thema“, so Zeeb, der Teil dieser Expertenkommission war. „Einige neuere Studien fanden keinen Zusammenhang zwischen Nachtschichtarbeit und Krebs, andere wiederum zeigten überzeugend Risiken auf. Und die Einordnung der biologischen Befunde ist teils hochkompliziert.“

Referenz

IARC Monographs Vol 124 group. Carcinogenicity of night shift work. Lancet Oncol 2019; published online July 4. http://dx.doi.org/10.1016/S1470-2045(19)30455-3.

Quelle

APAMED vom 23.08.2019