12. März 2019

Von Avocados und E-Autos

Was haben Avocados und Elektroautos gemeinsam? Auf den ersten Blick gar nichts. Gedanklich assoziiert man beide mit gesundheits- und umweltbewussten Menschen. Avocados sind ein wahres Superfood, reich an Unmengen von Spurenelementen und Vitaminen. Sie sind wohlschmeckend und aus der innovativen und gehobenen Cuisine sowie der vegetarischen Küche nicht mehr wegzudenken. Ein Wunderfutter, das fast alles kann. Elektroautos sind leise, stinken nicht und puffen keine Schadstoffe in die Luft unserer Städte. Also wunderbare Fortbewegungsmittel.

U wie Umweltbewusstsein

Alles öko, alles grün, alles super. Und der Prinz und die Prinzessin speisten gesund und fuhren Auto glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende. Kolumne aus. Ich könnte mich jetzt zurücklehnen und Sie würden erst kommende Woche wieder von mir lesen. Wenn da nicht ein Haken an der Sache wäre. Die Avocado wird in vielen Ländern kultiviert. Hauptanbaugebiet ist aber immer noch Mexiko. Dort wachsen Avocadoplantagen wie die Schwammerln aus dem Boden. Leider tun sie das nicht ganz freiwillig. Die Dinger brauchen nämlich sehr viel Wasser. Was in Gegenden mit Dürre und Wüste nicht ganz einfach ist. Aber die Böden dürfen auch nicht wegschwimmen, wodurch tropische Regenfälle ebenfalls nicht optimal sind.

Also müssen die Plantagen kontrolliert bewässert werden. Das kostet viel Geld und zieht das dringend benötigte Wasser aus der Umgebung ab. Ganze Dörfer veröden, die Felder vertrocknen und die Bauern und ihre Familien verhungern. Aber mancherorts werden sie auch vertrieben, damit auf ihren Feldern statt irgendwelcher Rüben oder Mais zur Selbstversorgung die Avocados für den Export gezüchtet werden können. Und sind die Dinger erst einmal reif, dann müssen sie um die halbe Welt geschippert werden. Ganz schön schwarzgrau für so ein grünes Zeug. Ich persönlich finde den Gedanken an vertriebene Bauern, hungernde Kinder und gestörte Ökosysteme nicht besonders appetitanregend. Und was haben eiförmige Vitaminspender, die auf fragilen Ästen hängen, nun mit Elektroautos gemeinsam? Das gleiche vordergründige „Wow, super!“, bevor man genauer nachgedacht hat.

Mein Schwiegervater hat ein uraltes Auto, das ordentlich Diesel frisst und mittlerweile über mehr schadhafte Komponenten, die mit Superkleber und Tapeverband zusammengehalten werden, verfügt, als das Pickerl erlaubt. Also hat er endlich ein neues Auto gekauft. Sein altes wird nicht etwa verschrottet. Nein, der Händler gibt ihm sogar noch ein paar hundert Euro dafür. Das Teil wird nämlich sofort weiterverkauft. Natürlich nicht in Mitteleuropa. Ziel der Rostschüssel ist Rumänien oder Bulgarien. „Dort wird sowas noch jahrelang gefahren“, erklärt der Händler zufrieden. Das ist natürlich sehr beruhigend für unsereinen. Die Autos, die viel zu viele Schadstoffe in die Luft blasen, werden einfach außer Landes geschafft und fahren ein paar hundert Kilometer östlich von uns weiter. Weil die dort natürlich eine ganz andere Erdatmosphäre haben, die verdreckt wird. Hauptsache, unsere bleibt sauber. Dass die ganze arme Kugel, auf der wir hocken, von derselben Gasblase umgeben ist, die wir alle atmen müssen, scheint offenbar noch immer unklar zu sein. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Aber nun zum schönen neuen Auto. So ein sauberes und umweltfreundliches Auto benötigt Lithium für seinen Akku und eine Unzahl von seltenen Erden für alle notwendigen und alle überflüssigen elektronischen Komponenten. Lithium wird unter anderem in der Atacama-Wüste gewonnen. Dafür gehen jeden einzelnen Tag über zwanzig Millionen Liter Wasser durch Verdampfung verlustig. Is ja eh wurscht? Is ja nur Wüste? Also erstens leben auch in der Wüste Wesen und zweitens sinkt im ganzen Land der Grundwasserspiegel. Drittens werden indigene Völker vertrieben und viertens trocknen ganze Landstriche aus. Aber gut, dass bei uns Wasser im Überfluss vorhanden und die Luft sauber ist. Der Raubbau an Menschen und Umwelt in Afrika für Kobalt etc. kratzt uns auch nicht wirklich. Es sei denn, die Leute müssen aus ihrer Heimat flüchten. Dann könnten sie versuchen, bis zu uns zu gelangen. Was natürlich sehr lästig ist. Und oft nicht gut in unser schönes, grünes Stadtbild passt. Aber das nur am Rande.

Weg mit dem Problem

So ein sauberes, neues elektroniküberladenes und elektrisch angetriebenes Auto hat normalerweise bereits in seiner Herstellung genügend Umweltsauereien angerichtet. Vielleicht mehr als mein gut gebrauchter Diesel-PKW jetzt verursacht? Aber glücklicherweise halt nicht bei uns. Und deshalb muss der weg und so ein grünes Ding muss her. Oder aber wir lehnen uns alle einmal zurück und finden wirklich ökologische Lösungen. Und bis dahin speisen der Prinz und die Prinzessin Kürbisse und Johannisbeeren und nur saisonal in der Nähe gewachsene Avocados. Sie gehen viel zu Fuß, fahren Rad (nicht E-Bike) und lassen ihr schon altes Auto meist in der Garage stehen. Nur manchmal, wenn es wirklich nötig ist, holen sie es heraus und fahren dann glücklich und zufrieden in den Sonnenuntergang.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune