7. März 2019Epidermolysis bullosa & Co

Genetische Hauterkrankungen: Was die Gentherapie bringt

Foto: vchal/GettyImages
Foto: vchal/GettyImages

Erbkrankheiten galten bis vor Kurzem als unheilbar, jedoch wurden durch die Gentherapie mittlerweile Methoden und Wege gefunden, die das „Unmögliche“ möglich machen könnten, wie zum Beispiel auf dem Gebiet der Hämophilie-Behandlung. Die Molekularbiologin und Leiterin der Epidermolysis bullosa (EB) Forschungseinheit am EB-Haus in Salzburg, Dr. Julia Reichelt, gab auf der ÖGDV-Tagung einen Überblick über den Entwicklungsstand der Gentherapie bei Genodermatosen. (CliniCum derma 1/19)

Derzeit wird EB hauptsächlich symptomatisch behandelt, also mit Wund- und Schmerztherapie. Bei schweren Formen wünschen sich Patienten und Angehörige eine Gentherapie, und diese ist durch die CRISPR/ Cas9-Technik in greifbare Nähe gerückt. Für die junktionale EB haben die Spezialisten in Salzburg gemeinsam mit ihren Partnern in Modena und Bochum eine Ersatz-Gentherapie entwickelt, bei der Haut-Stammzellen des Patienten entnommen, im Labor genkorrigiert und anschließend expandiert und auf betroffene Hautareale transplantiert werden, um diese dauerhaft zu regenerieren. Mittlerweile wurden drei Patienten, die unter ähnlichen Genmutationen im LAMB3-Gen litten, mit dieser Art der Therapie erfolgreich behandelt. Der spektakulärste Fall war wohl der eines siebenjährigen Jungen mit junktionaler EB und großflächigen Infektionen, bei dem 80 Prozent der Epidermis erfolgreich durch transgene Transplantate ersetzt wurde.

Ersatz-Gentherapien bei rezessiven Formen der EB

„Die ursprünglich entnommenen Hautbiopsien enthalten Stammzellen, aber auch Tochterzellen und differenzierte Zellen, die durch ein rekombinantes Virus, das die gesunde cDNA des bei diesen Patienten mutierten Gens enthält, transfiziert werden, das heißt, das Virus schleust die cDNA in diese Zellen ein“, erklärt Reichelt. Diese cDNA integriert an einer oder mehreren Stellen im Genom, und zwar bei jeder getroffenen Zelle an unterschiedlichen Stellen, wodurch jede Zelle ein einzigartiges, unverwechselbares Barcoding enthält. Jede der transfizierten Zellen gibt die in der cDNA enthaltene Information an ihre Nachkommen-Zellen weiter. Nach der Expansion werden daraus epidermale Äquivalente hergestellt, die re-transplantiert werden.

„Während bei gesunder Haut sehr viele Stammzellen in einer Biopsie enthalten sind, sind bei junktionalen EB-Patienten in den betroffenen Arealen nur sehr wenige zu finden. Das ist eine der Schwierigkeiten dieser Therapie, aber ohne Stammzellen, die wir korrigieren können, wäre der Erfolg begrenzt, weil die anderen korrigierten Zellen über die Zeit absterben. Durch das spezielle Barcoding, das sich aus dem cDNA Integrationsmuster bei der Ersatz-Gentherapie ergibt, wird jede Zelle so markiert, dass ihre Nachkommen aufgefunden werden können. Unsere Untersuchungen nach vier und acht Monaten zeigen, dass die Töchter der ursprünglich transplantierten Stammzellen nun den Großteil des Transplantats ausmachen, während alle differenzierten Zellen im Lauf der Zeit verloren gegangen sind. Nur Stammzellen sind über lange Zeit in der Lage, die Epidermis zu regenerieren.

Nach einigen Monaten entsteht stabile Haut, die auch zwischen zwei Fingern hochgehoben werden kann“, so Reichelt. In Salzburg werden derzeit weitere Ersatz-Gentherapien für Kollagen-17-Mutationen bei funktionaler EB und Kollagen-7-Mutationen bei dystropher EB in klinischen Studien getestet. Bei den Ersatz- oder Replacement-Gentherapien bleibt das ursprüngliche, mutierte und nicht funktionsfähige Gen erhalten. Diese Form der Gentherapie funktioniert v.a. bei rezessiven Formen der EB, bei denen beide Gene stillgelegt sind; hier kann ein additives Gen, das den Defekt ausgleicht, eingebracht werden.

„Gene Editing“ bei dominanten Formen der EB

Bei dominanten Mutationen, wie z.B. bei Keratinmutationen bei der EB simplex, muss das mutierte aktive Gen stillgelegt werden. Hier kommt eine zweite Generation der Gentherapien zum Einsatz, das „Gene Editing“, bei dem das mutierte Gen im Idealfall direkt und spurenlos repariert oder stillgelegt wird. Dafür werden im Labor ein DNA-Abschnitt, der dem zu reparierenden Genort entspricht, und eine spezielle Nuklease generiert. Dank der entwickelten CRISPR/Cas9-Technologie können diese relativ einfach und schnell hergestellt werden. Die Nuklease führt an vordefinierten Orten einen Doppelstrangbruch herbei. Mit der vorab im Labor erzeugten DNA-Sequenz als Vorlage kann dieser Strangbruch repariert und die Mutation somit entfernt werden (Homology-Directed Repair).

Ein weiterer normaler Reparaturmechanismus der Zelle, den sich die Gentherapie zunutze macht, ist das „Non-Homologous End-Joining“, bei dem nach einem Doppelstrangbruch die beiden DNA-Fragmente ohne eine homologe Vorlage wieder zusammengefügt werden. Bei diesem Mechanismus wird der Doppelstrangbruch ebenso repariert, aber es entstehen häufiger Insertionen und Deletionen, und wenn dadurch das Leseraster verschoben wird, kann es auch zur Stilllegung von Genen kommen. „Das ist daher eine sehr attraktive Methode zur Behandlung von Keratinmutationen“, erläutert Reichelt. „In unseren Labors versetzen wir Zellen aus Hautbiopsien von EB-Patienten mit Designernukleasen, die Doppelstrangbrüche an von uns vorgegebenen Genorten herbeiführen. Diese werden durch die vorher beschriebenen natürlichen Zellmechanismen wieder repariert. Die Designernukleasen werden nach wenigen Tagen wieder abgebaut. Danach werden die Zellen einzeln kultiviert und expandiert.

Wir überprüfen, welche Modifikationen erreicht wurden und, wenn diese unseren Erwartungen entsprechen, führen wir mit diesen Klonen biochemische Analysen durch, um zu überprüfen, ob die genetische Korrektur auch wirklich zu einer Korrektur des Gendefektes führt.“ In Salzburg werden Laborversuche mit „Gene Editing“ unter von TALEN- und einer weiterentwickelter CRISPR/ Cas9-Methoden an den Keratingenen 5 und 14 (EB simplex) und an den Genen, die für Kollagen 7 (dystrophe EB) und Kollagen 17 (junktionale EB) codieren, durchgeführt. „Wir können mittlerweile erreichen, dass durch die Stilllegung des defekten Allels in den Patientenzellen stabile Keratinfilamente entstehen, die mechanischen Belastungen standhalten.“ Ein weiteres erfolgreich korrigiertes Zielgen ist Keratin 1, das – wenn mutiert – die epidermolytische Ichthyose auslösen kann. Als nächster Schritt sollen diese Experimente in vivo wiederholt und überprüft werden.

EB bedarf einer systemischen Therapie

EB ist nicht nur eine Erkrankung der Haut und bedarf daher einer systemischen Therapie, weil z.B. ebenso andere Organe wie Augen, Zähne oder Ösophagus betroffen sein können. Zusätzlich besteht eine höhere Prävalenz für Krebserkrankungen. Die Patienten wünschen sich eine systemische Anwendung und setzen große Hoffnungen in die Gentherapie. Hier wächst verständlicherweise der Druck, verschiedene Therapien zuzulassen.

„Stammzellen zur Therapie von Genodermatosen“, Vortrag im Rahmen der ÖGDV-Tagung, Innsbruck, 29.11.–1.12.18

Grundprinzip der CRISPR/Cas9-Technologie

Bei den CRISPR-DNA-Sequenzen handelt es sich um kurze sich wiederholende DNA-Abschnitte, die im Genom von Bakterien vorkommen und der Bekämpfung von Bakteriophagen dienen. Bakterien bauen bei Kontakt kurze Bakteriophagen-DNA-Stücke in ihr Erbgut zwischen den CRISPR-Sequenzen ein, die quasi als Gedächtnis bei weiteren Virus-Infektionen fungieren. Bei einer erneuten Infektion wird eine RNA-Kopie der CRISPR und der dazwischen eingebauten Bakteriophagen-DNA-Sequenz hergestellt und an das Protein Cas9 gekoppelt. Dieser CRISPR/Cas9-Komplex liest die vorhandene DNA z.B eines Bakteriophagen ab und schneidet diese, sobald die Basenabfolge übereinstimmt.

Dieses Prinzip wurde von den Wissenschaftlerinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna und ihren Teams aufgegriffen und weiterentwickelt. Damit entstand eine sehr effiziente und kostengünstige „Genschere“, die mittlerweile von vielen Labors eingesetzt wird und zahlreiche neue Möglichkeiten eröffnet. Neben zahlreichen bereits erhaltenen Wissenschaftspreisen werden die beiden Wissenschaftlerinnen für diese Entdeckung immer wieder als Kandidatinnen für den Nobelpreis gehandelt. Nahezu parallel wurde die CRISPR/Cas9-Technologie bzw. CRISPR und andere Proteine auch in einer Kooperation zwischen Feng Zhang und George Church (Broad Institute MIT und University of Harvard) an Eukaryonten angewandt. Die diesbezüglichen Patentstreitigkeiten dürften in den USA geklärt sein und resultierten in einer Zuerkennung von Patentrechten an beide Parteien. In Europa ist die endgültige Entscheidung noch nicht gefallen. Für akademische Forschungsprojekte darf die CRISPR-Technologie kostenfrei verwendet werden.

Ethische Grenzen der Gentherapie

Bis Ende 2018 wurden insgesamt rund 3700 klinische Gentherapiestudien genehmigt, wobei „Gene Editing“ eine steigende Tendenz zeigt. Wo die ethischen Grenzen der Gentherapie liegen, bedarf einer umfangreichen Diskussion in der Gesellschaft, wie ein aktueller Fall aus China zeigt, als Forscher ein Tabu brachen und erstmals in die Keimbahn zweier Babys eingegriffen, indem sie bei der In-vitro-Fertilisation durch „Gene Editing“ ein Gen stilllegten, um eine Infektion durch das HIV-positive väterliche Sperma zu verhindern. (The Guardian, 26.11.18: „World’s first gene-edited babies created in China, claims scientist“, die wissenschaftliche Publikation dazu steht noch aus).

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin CliniCum derma