Sandra ist immer müde und erschöpft
Der Fall. Sandra K. (19 J.) kommt wegen zunehmender Müdigkeit zu Ihnen. „Ich fühl mich seit 2 Monaten so müde und erschöpft, kann mich schlecht konzentrieren und ich hab viel häufiger Kopfweh als früher. Ach ja und dieser Juckreiz immer wieder, ohne Ausschlag, ist echt komisch. Natürlich war viel los in den letzten Monaten mit Umzug und Studiumsbeginn und bei all den Terminen, Vorlesungen und Seminaren kommt der Schlaf immer wieder mal zu kurz. Aber dass sich das so schlimm auswirkt, kann ich mir auch nicht vorstellen.“ Bei der klinischen Untersuchung gibt es außer brüchigen Nägeln keine Auffälligkeiten. RR 120/80mmHg, P 72/min, Temp: 36,4°C Labor: Ferritin erniedrigt, Hb, MCV und MCH normal. Wie können Sie Ihrer Patientin am effektivsten helfen und welche Maßnahmen setzen Sie noch? (ärztemagazin 22/18)
„ Die Erniedrigung von Ferritin lässt auf einen Eisenmangel schließen“
Ass.-Prof. Dr. Irene Kührer
FÄ für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie, Wien
DIE DIAGNOSTISCHE Schwierigkeit bei diesem Fall ist die Erniedrigung von Ferritin, die auf Eisenmangel schließen lässt. Ein sehr häufiger Mangel, der besonders bei jungen Frauen bei Menstruationsunregelmäßigkeiten auftritt. Mit diesem Eisenmangel geht aber immer eine Abnahme des MCV einher. Hier findet sich aber keine mikrocytäre Anämie. Der weitere diagnostische Schritt liegt in der Abklärung einer pseudonormocytären Anämie, wie sie bei zusätzlichem B12-Mangel zu finden ist. Gerade das beschrie bene stressige Leben könnte die Ursache für eine Gastritis und damit verbunden einen Intrinsic- Factor-Mangel sein. Es ist ein Transportprotein aus dem Magen, das benötigt wird, um Vitamin B12 aus der Nahrung verwerten zu können.
B12 und Folsäure sind wichtig in der Abklärung der Anämie. Auch der Juckreiz würde gut zum B12-Mangel passen. Eine weitere Blutabnahme, die aber dann auch Zink, Elektrolyten und einen Östrogenstatus enthalten sollte, wird das Zustandsbild klären. Alles passt zu Eisenmangel in Kombination mit B12-Mangel. Bei nachgewiesenem B12-Mangel ist eine ergänzende Gastroskopie unumgänglich. Mit den vorliegenden Befunden ist dann eine Evaluierung der Ernährungsgewohnheiten, eventuell vegan oder zu viele Fertigprodukte, vorzunehmen. B12 und Eisen können oral als Medikamente zugeführt werden. Im Abstand von acht Wochen sollten sich die Werte normalisiert und das Wohlbefinden sich wieder eingestellt haben.
„ Das einzige Symptom, das nicht zum Eisenmangel passt, ist der Juckreiz“
Univ.-Prof. Dr. Renate Heinz
FÄ für Innere Medizin; Zusatzfächer Hämatoonkologie, Blutgruppenserologie und Transfusionsmedizin, Humangenetik, Wien www.renateheinz.at
BEI MIR STEHT noch immer die ausführliche Anamnese am Beginn einer therapeutischen Beziehung: Die geschilderten Symptome entsprechen – bis auf den Juckreiz – denjenigen des klassischen Eisenmangels. Die Fragen bei Frauen sind: Häufigkeit und Stärke der Regelblutung, Ernährung: vegan, vegetarisch? Veränderungen bei Stuhl (schwarz, Blutauflagerung) und Harn (Hämaturie – Achtung bei starken Regelblutungen natürlich nicht während der Regel!). Haare, Nägel und Haut können von Eisenmangel betroffen sein: Rhagaden, brüchige Nägel, Frisuren halten nicht, Haarausfall. Das einzige Symptom, das für mich nicht ganz dazu passt, ist der Juckreiz: Daher die Fragen nach Nachtschweiß, Gewichtsverlust. Sollte bei der Befragung Nachtschweiß und Gewichtsverlust (B-Symptome) positiv beantwortet werden, ändere ich die Verdachtsdiagnose von latentem Eisenmangel auf malignes Lymphom – vorzugsweise M. Hodgkin.
Bei der klinischen Untersuchung inspiziere ich Haut und Schleimhäute (Konjunktiven!)und mache einen kompletten Lymphknotenstatus, taste nach Leber und Milz. Moderne Internisten-Ordinationen haben sicher ein Ultraschallgerät – ich würde es sicherheitshalber einsetzen. Ich möchte die junge Frau mit Thorax-Röntgen und Sonografie von Abdomen und Retroperitoneum kurzfristig wiedersehen, außer ich finde palpable Lymphknoten – dann ist die rasche Probeexzision angezeigt. Werden keine B-Symptome erhoben und keine Lymphome getastet, würde ich wegen des Leidensdrucks zum Rezeptblock greifen und ein orales Eisenpräparat verschreiben, denn auch latente Eisenmangelzustände (noch keine Anämie) können durchaus Symptome verursachen, die bei Eisensubstitution verschwinden. Bei entsprechender Aufklärung vertragen die meisten Patienten orales Eisen. Eine IV-Eisentherapie ist nicht indiziert, wohl aber eine hämatologische Kontrolle – ich will wissen, ob der Juckreiz verschwindet!
„ Den Auslöser des Eisenmangels zu finden ist bei jeder Behandlung wichtig“
Dr. Theresa Kapral
FÄ für Innere Medizin/ Rheumatologie & Geriatrie, Wien www.rheuma-kapral.at, www.mza.at
BEI EINER JUNGEN Frau mit dieser Symptomatik denke ich primär an einen Eisenmangel. In Mitteleuropa leiden fünf Prozent der Männer und 15 bis 20 Prozent der Frauen zwischen 15 und 65 Jahren darunter. Der Verlauf der Beschwerden variiert, in manchen Fällen leben Betroffene jahrelang weitgehend beschwerdefrei, in anderen Fällen zeigen sich Beschwerden deutlich und früh. Je schleichender der Prozess vor sich geht, desto mehr gewöhnen sich Betroffene an die Symptome und „schleppen“ sich buchstäblich durchs Leben. Oft werden die Beschwerden mit einfachen Erklärungen wie „Stress im Job“, „viel um die Ohren“ usw. abgetan. Eisenmangel entsteht bei erhöhtem Bedarf (Schwangerschaft, Wachstum, Sport), bei hohem Blutverlust (Blutungen, Operationen, starke Regelblutungen), mangelnder Aufnahme aus der Nahrung (vegetarische Ernährung, Verdauungsstörungen) oder bei chronischen Erkrankungen. Symptome des Eisenmangels treten häufig lange vor der Anämie auf, denn primär werden die Speicher, also das Ferritin, geleert. Die Anämie ist erst in einem späten Stadium der Erkrankung nachzuweisen.
Die Symptome sind oft sehr unspezifisch, wie etwa Müdigkeit, Kopfschmerzen, depressive Verstimmungen, Konzentrationsprobleme, Leistungsknick, Haarausfall, brüchige Nägel, Juckreiz und Schwindel. Besteht der Verdacht, sollten Ferritin, Transferrin, die Tranferrinsättigung und ev. die löslichen Transferrinrezeptoren bestimmt wer den. Zusätzlich muss immer ein Blutbild gemacht werden. Als Behandlung ist eine Ernährungsumstellung zu empfehlen, zusätzlich ist oft eine medikamentöse Therapie notwendig. Die orale Therapie mit Tabletten, Kapseln, Säften usw. ist bei Eisenmangel ohne Anämie und mit milder Anämie anzuwenden und ist eine Langzeittherapie, da nur ca. ein Zehntel der geschluckten Eisenmenge im Dünndarm resorbiert wird. Um die Eisenspeicher nachhaltig zu füllen, muss man die Tabletten oft viele Monate schlucken. Leider kommt es häufig zu gastrointestinalen Nebenwirkungen mit Übelkeit, Völlegefühl, Verstopfung. Die intravenöse Eisensubstitution ist grundsätzlich nur beim schweren Eisenmangel (Hb ≤10g/dl und Ferritin <30μg/l) und bei Unverträglichkeit oder Wirkungslosigkeit einer oralen Therapie indiziert. Bei jeder Behandlung des Eisenmangels ist es wichtig, den Auslöser zu finden und so rasch wie möglich zu beheben. Eine Abklärung mit einem auf Eisenmangel spezialisierten Facharzt wird daher unbedingt empfohlen.