25. Nov. 2018

Pneumokokken-Schutz in Österreich suboptimal

Das Gratis-Kinderimpfprogramm enthält nur den 10-valenten Impfstoff.

Pneumokokken können besonders bei Säuglingen und Kleinkindern schwere, mitunter tödliche Erkrankungen auslösen. Umso wichtiger ist ein guter Impfschutz, der in Österreich aber nur teilweise kostengedeckt ist. (Medical Tribune 47/18)

Von 2011 bis 2020 sollen weltweit rund 1,5 Millionen Menschen vor einem Tod durch invasiv verlaufende Infektionen mit Pneumokokken (Streptococcus pneumoniae) gerettet werden. Das geht aus einem aktuellen Review italienischer Wissenschaftler hervor.1 In Österreich zeigte sich in den letzten Jahren dagegen ein Anstieg dieser Erkrankungen mit einem Gipfel von über 500 Fällen im Vorjahr.2

Obsoleter Impfstoff

Univ.-Prof Dr. Ursula Kunze vom Zentrum für Public Health der MedUni Wien, Generalsekretärin des Vereins zur Förderung der Impfaufklärung, sieht einen Grund für diesen Verlauf mitunter in der Wahl des Impfstoffs für das Gratis-Kinderimpfprogramm: „Aus heutiger Sicht kann der 10-valente Wirkstoff seine Wirkung nicht mehr entfalten, weil jetzt andere Serotypen die Erkrankungen verursachen“, so die Sozialmedizinerin. Weltweit konnten bisher über 90 Serotypen (definiert durch abweichende Kapselanteile) dieser grampositiven Diplokokken nachgewiesen werden. 23 davon sind für über 90 Prozent der Erkrankungen verantwortlich. Die derzeit verfügbaren Impfstoffe decken diese 23 Serotypen unterschiedlich gut ab. In Österreich ist die Impfung seit 2012 im Gratis-Kinderimpfprogramm enthalten. Allerdings wird weiterhin nur der 10-valente Impfstoff (PCV 10) finanziert. In den meisten Ländern der Welt wird mittlerweile hingegen der 13-valente Impfstoff (PCV 13) für Kinder verwendet; er ist großteils auch in den nationalen Impfprogrammen enthalten.

PCV 13 beinhaltet neben den zehn Serotypen in PCV 10 zusätzlich die Serotypen 3, 6A und 19A. In den USA konnte mit der Aufnahme von PCV 13 in das nationale Impfprogramm ein 90-prozentiger Rückgang der Erkrankungsfälle durch diese drei zusätzlichen Serotypen erzielt werden.3 Auch in Großbritannien und Norwegen wurde mit der Einführung von PCV 13 eine drastische Senkung der Erkrankungen durch diese Stämme erreicht.4,5 Anders in Österreich: 2008–2017 verzeichneten die schweren invasiven Erkrankungen durch diese drei Serotypen bei Kindern unter fünf Jahren einen deutlichen Anstieg.2 2017 konnte bei 15 der insgesamt 28 schwer erkrankten Kinder der Serotyp bestimmt werden. Zehn der Kinder waren mit einem der Serotypen infiziert, die zwar in PCV 13, nicht jedoch in PCV 10 enthalten sind. Besonders der für aggressive Verläufe bekannte Serotyp 19A ist ein wachsendes Problem in Österreich. „Es wäre eigentlich dringend an der Zeit, den Impfstoff zu verwenden, der auch vor diesem Serotyp schützt“, so Kunze.

Stiller Träger & schneller Tod

Pneumokokken werden durch Tröpfcheninfektion übertragen; zu Beginn kommt es fast immer zu einer Besiedelung des Nasen-Rachen-Raumes, von dort kann dann die Ausbreitung auf andere Regionen des Körpers erfolgen. Allerdings ist ein großer Teil – etwa 60 Prozent – der Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr Pneumokokken-besiedelt, ohne dass es zum Krankheitsausbruch kommt. „Diese Kinder sind ganz besonders oft Krankheitsüberträger und gefährden dadurch auch Personen in ihrem Umfeld, wie Großeltern oder Geschwister, die vielleicht weniger robust sind“, so Kunze. Grundsätzlich lassen sich bei der Erkrankung zwei Verlaufsformen unterscheiden: Die häufigen lokalen Erkrankungen, wie Otitis media, Sinusitis oder Pneumonie einerseits, und die seltenen, aber schweren invasiven Verläufe, wie bakteriämische Pneumonie, Meningitis oder Sepsis andererseits.

„Hier ist es so, dass jede Minute zählt. Das kann so einen rasanten Verlauf nehmen, dass die Antibiotika gar nicht mehr greifen“, warnt Kunze. In den ersten beiden Lebensjahren sind Kinder besonders anfällig für invasiv verlaufende Pneumokokken-Infektionen, da das Immunsystem noch nicht ausgereift ist. Auch Erwachsene ab 50 Jahren haben ein erhöhtes Risiko für invasive Erkrankungen. Weitere Risikofaktoren für invasive Pneumokokken-Erkrankungen sind u.a. chronische Erkrankungen (z.B. Diabetes mellitus, chronische Herz- und Lungenerkrankungen), angeborene oder erworbene Immundefekte (z.B. durch HIV, Asplenie, Hypogammaglobulinämie) oder immunsuppressive Therapie. Männer zeigen darüber hinaus ein erhöhtes Krankheitsrisiko.

Referenzen:
1 Principi N et al., Curr Infect Dis Rep. 2018; 20(1): 1
2 Nationale Referenzzentrale fur Pneumokokken, Jahresberichte 2008–2017
3 Moore MR et al., Lancet Infect Dis 2015; 15(3): 301–309
4 Steens A et al., Vaccine 2013; 31(52): 6232–6238
5 Waight PA et al., Lancet Infect Dis. 2015 May; 15(5): 535–43

Extra-Impfschutz

Impfmöglichkeiten für die Jüngsten:

  • Gratis-Dreifachimpfung im 3., 5. und 12. Lebensmonat mit PCV 10
  • Kostenpflichtige Dreifachimpfung mit PCV 13 (deckt zusätzlich Serotypen 3, 6A und 19A ab)
  • Gratis-PCV-10-Impfung und einmalige zusätzliche Impfung mit PCV 13 im Alter zwischen zwei und fünf Jahren

Zusätzlicher Schutz ab 50:
Für Personen ab dem vollendeten 50. Lebensjahr ohne vorangegangene Pneumokokken- Impfung und ohne erhöhtes Risiko empfiehlt das Gesundheitsministerium folgende Vorgehensweise:

  • Grundimmunisierung mit PCV 13
  • Impfung mit dem 23-valenten Polysaccharidimpfstoff ein Jahr danach

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune