Nur eine Magen-Darm-Infektion?

Der Fall. Frau K. (33 J.) kommt von ihrem Mann gestützt in Ihre Ordination. „Sie kann vor lauter Schmerzen nicht mehr allein gehen!“, schildert dieser sofort. „Heute Früh hat das Ganze begonnen. Mir war so schlecht und ich musste mich mehrmals übergeben. Ich dachte, ich hab einen Magen-Darm-Infekt. Aber dann krampft es sich plötzlich so zusammen und zieht bis zum Nabel, das dauert ein paar Minuten, dann ist alles vorbei. Kurz darauf geht’s wieder los.“ Frau K. ist total unruhig und legt sich nur widerwillig für die klinische Untersuchung auf die Liege. Sie meint, beim Liegen ist es viel schlimmer. Abdomen: weich, keine Resistenzen, keine Abwehrspannung, keine eindeutigen DG, starker Klopfschmerz links, Harn: Eiweiß und Blut pos., letzte Mens: vor 5 Wochen (immer unregelmäßig), Cor/Pulmo: unauff., Temp: 37,2°C. Welche DD haben Sie und welche ersten Maßnahmen setzen Sie? (ärztemagazin 20/18) 

„Die Schmerzlokalisation gibt Hinweis auf einen mittleren Ureterstein“

Dr. Mehrdad Davoudi
FA für Urologie und Andrologie, Wien
Aufgrund der klinischen Symptomatik kommen als Differenzialdiagnose in Frage: eine akute unkomplizierte Pyelonephritis; Nephrolithiasis bzw. Ureterolithiasis; EUG oder Adnexitis; Colitis. Zur Feststellung bzw. Ausschluss einer Pyelonephritis würde ich zusätzlich zum Urinstreifentest einen Uricult aufstellen, da der alleinige Harnstreifentest wenig sensitiv und wenig spezifisch ist. Der Nachweis von Blut im Harn zeigt eine hohe Sensitivität zur Entdeckung einer HWI, ist jedoch wenig spezifisch. Der Nachweis von Proteinen im Harn hat keine Bedeutung für die Diagnose einer HWI. Auch eine genaue Anamnese bezüglich Dysurie, Pollakisurie und imperativer Harndrang ist für die Diagnose einer HWI hilfreich. Zum Ausschluss von komplizierten Faktoren gilt als primäre bildgebende Diagnostik eine Sonografie der Niere und der Harnwege. Auch eine Blutuntersuchung mit den Parametern CRP, Procalcitonin und Leukozyten würde ich für die ev. Indikation einer Antibiose heranziehen! Wenn der palpatorische Befund der Bauchdecke unauffällig ist, kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit ein akutes Abdomen ausschließen.

Zum Ausschluss einer Colitis sollte neben einer Blutuntersuchung, Stuhlkultur und einem Hämoccult eine chirurgische Vorstellung erfolgen! Bei Feststellung einer Hydronephrose oder eines okkludierenden Nierenbeckensteins würde ich nach Schmerztherapie mit Metamizol als Kurzinfusion oder NSAR rektal ein Nativ-CT-Abdomen anfertigen lassen (Low-Dose-CT). Die Schmerzlokalisation gibt Hinweis auf einen mittleren Ureterstein. Falls die Schmerzen nicht beherrschbar sind und weiterhin Verdacht auf einen Ureterstein besteht, würde ich die Patientin zur weiteren Schmerztherapie bzw. Steintherapie an eine urologische Abteilung zuweisen. Sollten die Untersuchungen keine sicheren Hinweise für eine obere HWI oder Hydronephrose liefern, sind zum Ausschluss eines EUG bzw. Adnexitis weitere gynäkologische KO notwendig. Wichtig ist die Frage nach Schmierblutungen, gynäkologischen Voroperationen und früherer Tubargravidität. Zusätzlich sollte dann ein Schwangerschaftstest (β-HCG in Blut) durchgeführt werden.

„Zuerst sollte eine Sonografie der Nieren durchgeführt werden“

Dr. Georg Ludvik
FA für Urologie, Vizepräsident des bvU, Wien www.urodoc.at
Die Symptomatik entspricht einer klassischen Nierenkolik. Zuerst sollte eine Sonografie der Nieren durchgeführt werden, bei der sich im Idealfall auch eine Hydronephrose darstellen lässt. Danach sollte gleich eine Schmerztherapie einsetzen, z.B. Kurzinfusion mit Metamizol 2,5g, Diclofenac-Zäpfchen etc. Von Butylscopolaminiumbromid/ Buscopan ist eher abzuraten, da dies zu einer signifikanten Reduktion der Darmmotilität (die bei einer Nierenkolik ohnedies reduziert ist) führen würde. Als weitere orale Therapie wären Metamizoltropfen und Diclofenac aufgrund der abschwellenden Wirkung zu empfehlen, wenn keine nephrologische Vorerkrankung besteht. Nach Bestimmung von Blutbild, Nierenparametern und TSH sollte im Idealfall eine Computertomografie der Harnwege durchgeführt werden (die IV-Pyelografie ist hier weitgehend obsolet, da nichtradiopaque Konkremente und andere Pathologien nicht dargestellt werden).

Je nach Steingröße und -lage sowie Ausprägung der Schmerzsymptomatik wird über konservatives Vorgehen oder endoskopische Intervention entschieden. Körperliche Bewegung kann bei der Steinaustreibung unterstützend wirken, höhere Flüssigkeitsmengen sollten nur in schmerzfreien Intervallen zugeführt werden, da sie eine Kolik auslösen bzw. verstärken können. Die eingangs leicht erhöhte Körpertemperatur kann durch den extremen Stress erklärt werden – sollte aber dennoch mehrmals nachkontrolliert werden, da sich ein septisches Geschehen dahinter verbergen könnte, das aufgrund seines oft fulminanten Verlaufs nicht unterschätzt werden darf. In diesem Fall ist eine sofortige Entlastung des betroffenen Nierenhohlraumsystems mittels perkutaner Nephrostomie und i.v.-Antibiose angezeigt. Differenzialdiagnostisch sollte die Möglichkeit eines Aortenaneurysmas nicht außer Acht gelassen werden.

„Auch bei Besserung der Beschwerden ist eine urologische Abklärung ratsam“

Dr. Claudia Wainke
Ärztin für Allgemeinmedizin, Gesundheitszentrum Wien Süd der WGKK
Die von Frau K. beschriebenen Symptome und ihre Klinik lassen eine Urolithiasis vermuten. Ich informiere die Patientin über meine Verdachtsdiagnose und erkläre den etwaigen Grund ihrer Schmerzen. Differenzialdiagnostisch muss jedoch weitergedacht werden. Neben möglichen renalen Komplikationen kommen z.B. eine Appendizitis oder extrauterine Schwangerschaft in Frage. Theoretisch sind alle Ursachen eines akuten Abdomens möglich und zu bedenken. Eine ausführliche Anamnese mit Abfrage der Ernährungs- und Trinkgewohnheiten und ein gründlicher klinischer Status sind somit unerlässlich. Zur weiterführenden Diagnostik und zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen sind ein Urinstatus, eine Blutabnahme inklusive Beta-HCG sowie ein Ultraschall der Nieren und des Abdomens nötig.

Die Sonografie stellt bei meiner Verdachtsdiagnose die bildgebende Diagnostik der ersten Wahl dar. Bei unklarem sonografischem Befund ist an eine Nativ-CT zu denken. Der sonografische Befund bestätigt die Verdachtsdiagnose. Ich beruhige die Patientin, kläre sie über ihr Krankheitsbild, die Schmerzentstehung und die dafür begünstigenden Risikofaktoren wie verminderte Flüssigkeitszufuhr, protein- und fettreiche Nahrung und Bewegungsmangel auf. Da es sich in unserem Fall um einen neu diagnostizierten Harnstein handelt, der eine Größe von 5mm nicht überschreitet und die Patientin zur Niedrigrisiko-Gruppe gehört, kann nach Ausschluss einer Infektion bzw. einer akuten Niereninsuffizienz vorerst eine konservative Behandlung angestrebt und ein Spontanabgang des Steins abgewartet werden. Mittel der ersten Wahl zur Schmerztherapie ist Metamizol, da es, neben der analgetischen, zusätzlich eine spasmolytische und antinozizeptive Wirkung auf den Harnleiter hat.

Eine gute Alternative dazu wäre Diclofenac. Bevor ich die Patientin entlasse, kläre ich sie über mögliche Komplikationen wie eine Harnwegsinfektion mit Gefahr einer Pyelonephritis oder einer Urosepsis sowie über die Möglichkeit einer Harnstauungsniere auf. Bei Fieber, Harnverhalt, Beschwerdepersistenz oder persistierendem Erbrechen ist eine Vorstellung in einer urologischen Notaufnahme angezeigt. Auch bei Besserung der Beschwerden ist eine urologische Begutachtung und Abklärung anzuraten, da Harnsteine eine hohe Rezidivrate aufweisen und durch Entfernung des Harnsteins die Ursache nicht geklärt ist. Bei Erstmanifestation sollte eine Steinanalyse durchgeführt werden.