Verdacht auf gebrochenes Kahnbein
Der Fall. Frau H. kommt mit ihrem Mann (68 J., Rentner) in Ihre Sprechstunde, weil dieser heute Vormittag gestürzt ist, und schildert Ihnen sogleich die Problematik: „Ich musste Franz regelrecht herschleppen, damit Sie sich seine Hand mal anschauen. Er ist heute beim Busaussteigen irgendwie gestolpert und dann auf die ausgestreckte Hand gefallen. Er meinte zwar, es sei nicht so schlimm, aber da ist sicher was gebrochen, er kann ja noch nicht mal mehr ein Glas halten!“ Herr H. hat sehr starke Abschürfungen am Thenar der rechten Hand sowie eine deutliche Schwellung im Handgelenksbereich mit Bewegungseinschränkung. Starke Schmerzen bei der Palpation des Daumens. Keine Fehlstellung, keine Ekchymose, DMS seitengleich intakt. VE: Hypertonie, Impfstatus unbekannt. Welche Verdachtsdiagnose haben Sie und welche Maßnahmen setzen Sie? (ärztemagazin 18/18)
„ Ich verwende anschließend eine dosierte Hochenergie- Lasertherapie“
Univ.-Lektor Dr. MSc Wolfgang Gruther
FA f. Phys. Med. und allg. Rehabilitation, Praxis Dr. Gruther – healthPi, medical center
AUFGRUND DES Unfallhergangs sowie der Beschwerdelokalisation ist, neben der bereits ersichtlichen Kontusion, am ehesten eine mögliche Skaphoid- bzw. Basis-Fraktur des MCP I auszuschließen. Ich desinfiziere die Abschürfung und verbinde sie mit einer sterilen Wundauflage. Da sich das nächste Röntgeninstitut in Gehweite befindet, ordne ich ein Röntgen des rechten Handgelenks mit Kahnbeinserie an. 30 Minuten später wird Herr J. mit den angeordneten Röntgenbildern und Befund wieder vorstellig. Es gibt keine Anzeichen für eine rezente Fraktur. Als Nebenbefund zeigt sich eine mäßiggradige Rhizarthrose rechts, sowie eine rarefizierte Knochenstruktur. Herr H. wird mit einer Bandage für Daumen und Handgelenk versorgt und es wird Schonung und Kühlung empfohlen. Schmerzmittel lehnt er aufgrund eines „sensiblen Magens“ ab. Da Herr H. schon länger keinen Impfpass mehr besitzt und die letzte Impfung nicht erinnerlich ist, erhält er eine Verordnung für eine Tetanusimpfung, welche ihm bei der morgigen Wundkontrolle verabreicht wird.
Am nächsten Tag zeigt sich das Hautareal verkrustet, aber ohne Anzeichen einer Entzündung. Neben der Schwellung hat sich zusätzlich ein mäßiggradiges Hämatom über dem Thenar gebildet. Ich beginne mit einer dosierten Hochenergie-Lasertherapie. Innerhalb der nächsten drei Tage ist die Schwellung abgeklungen, das Hämatom vollständig resorbiert und Herr H. hat fast keine Schmerzen mehr. Bei Weiterbestehen der Beschwerden wäre eine weitere Abklärung über eine Unfallchirurgie oder ein zeitnahes CT angezeigt gewesen, da rezente Skaphoidfrakturen mitunter schwer im Röntgen zu diagnostizieren sind. Aufgrund des Verdachts einer generalisierten Osteoporose durch das Röntgen werden eine weitere Abklärung mittels Labor zur Bestimmung der Knochenstoffwechselparameter sowie eine Knochendichtemessung in die Wege geleitet.
„ Es wird von einer Verletzung des Kahnbeins ausgegangen “
Univ.-Prof. Dr. Ronald Dorotka
FA f. Orthopädie und orthop. Chirurgie ( Sportorthopädie, Rheumatologie), Orthopädie-Zentrum Innere Stadt Wien
AUS DER STURZANAMNESE und aufgrund der Angaben muss eine Fraktur am distalen Unterarm bzw. an den Handwurzelknochen vermutet werden. Es folgt eine eingehende klinische Untersuchung, die den gesamten Unterarm und auch das Ellbogengelenk umfasst. Die Prüfung der distalen Durchblutung, Sensibilität und Motorik ist unauffällig. Es wird auch die Exkoriation inspiziert. Hier zeigt sich eine oberflächliche Verletzung, die noch desinfiziert und verbunden wird. Eine Tetanusauffrischung erscheint sinnvoll. Da bei der Palpation vor allem Beschwerden im Daumenbereich bestehen und das Handgelenk geschwollen ist, wird von einer Verletzung des Kahnbeins ausgegangen. Typisch ist hier der Druckschmerz in der sogenannten Tabatiere am radialen Handgelenk. Bei dieser Verdachtsdiagnose werden nicht nur Handgelenksröntgen in zwei Ebenen, sondern gleich eine Kahnbeinserie angeordnet. Trotz Kahnbeinserie sind Frakturen des Naviculare oft unmittelbar nach dem Trauma nicht zu erkennen. Eine weiterführende Abklärung mittels MRT sollte angeschlossen werden. Ist diese nicht zeitnah möglich, muss bei dringendem Frakturverdacht das Handgelenk sofort ruhiggestellt werden.
Bestätigt sich der anfängliche Verdacht oder ist schon in der primären Röntgenserie die Fraktur bewiesen, kann zur genaueren Beurteilung der Fraktur noch eine Computertomografie überlegt werden. Bei frischen, unverschobenen Brüchen muss die Ruhigstellung für mindestens acht Wochen fortgesetzt werden. Trotzdem können auch bei korrekter Ruhigstellung verzögerte Knochenheilungen bis hin zur Entwicklung von Pseudarthrosen folgen. Alternativ besteht die Möglichkeit, unverschobene Frakturen mittels minimalinvasiver Eingriffe osteosynthetisch stabil zu versorgen. Verschobene, instabile Frakturen sollten, wenn möglich, operiert werden. Die Gefahren bei Kahnbeinfrakturen sind die Entwicklung einer Pseudarthrose oder Kahnbeinnekrose trotz korrekter konservativer oder operativer Therapie oder bei primär übersehenen Frakturen. Unbehandelt können diese Komplikationen zum Kollaps der Handwurzel führen (= SNACWrist; Scaphoid Nonunion Advanced Collapse). In diesen Fällen sind meist weitere Eingriffe bis hin zu Arthrodesen notwendig.
„ Nicht zögern, rechtzeitig eine CT-Untersuchung durchzuführen“
Dr. Axel Köllesberger
FA f. Orthopädie und Traumatologie, www.orthodoc.pro Wien
SOLLTEN SIE BEI EINEM Ihrer Patienten nach Sturz auf die Hand eine Kahnbeinfraktur suspizieren, dann folgen Sie einem klaren Untersuchungsschema. Erfragen Sie zuerst, wie der Patient zu Sturz kam. Hatte er Zeit, die Hände nach vorne zu bringen, war es ein Schlittersturz oder eine vertikale axiale Stauchung oder war mit dem Sturz eine Überstreckung des Handgelenks gegeben. Im letzteren Fall ist der Verdacht auf eine Scaphoidbeteiligung am größten. In die sonst übliche Untersuchungstechnik am Handgelenk integrieren Sie den axialen Stauchungsschmerz des Daumens, der in direktem Kontakt mit der radialen Handwurzelgruppe steht, wie auch den Druckschmerztest in der Tabatiere. Diesen führen Sie in zwei Richtungen aus. Die erste Druckrichtung geht nach proximal, dort testen Sie den distalen Radius. Druck nach distal tangiert das gewünschte Scaphoid. Achten Sie darauf, dass erst der Seitenvergleich eine druckschmerzhafte Tabatiere positiv befundet. Sehr empfindliche Patienten haben auch bei intakten Handgelenken deutliche Schmerzen in diesem Bereich. Beim Sturz auf die Hand können Kettenverletzungen erfolgen.
Überprüfen Sie den Unterarm mit Supination und Pronation, mit speziellem Augenmerk auf den Ellbogen-Radiuskopf, wie auch die Schulter mit dem Schnelltest mittels Nacken- und Schürzengriff. Im nächsten Schritt darf bei der Diagnostik die Kahnbeinserie, auch Naviculares Quartett genannt, nicht fehlen. Diese besteht aus vier Aufnahmen des Handgelenks in d.p. (dorso-palmar), seitlich und mit zwei jeweils mit 45° schräg verlaufenden Strahlengängen. So kommt das Scaphoid bestens zur Darstellung und das Finden einer Fissurlinie wird erleichtert. In gewissen Fällen werden Sie Zweifel am Röntgen haben, speziell dann, wenn die Klinik Scaphoid positiv ist. Zögern Sie nicht, eine CT-Untersuchung durchführen zu lassen, denn eine übersehene Kahnbeinfraktur schmerzt über einen sehr langen Zeitraum und die Heilungschancen sind drastisch verschlechtert. Bei Beweis einer Fraktur: Wenn bei frischen Querfrakturen eine Diastase von über 2mm vorhanden ist, so muss eine operative Sanierung mit einer Kompressionsschraube erfolgen. Unverschobene und nicht klaffende Bruchstücke können mit einem Unterarmgips mit Daumeneinschluss für 8 bis zu 12 Wochen versorgt werden. Regelmäßige Röntgenkontrollen in Woche 1 – 3 – 6 – 8 und, wenn nötig, 10 und 12 zeigen Ihnen die voranschreitende Knochenheilung.