Ein Säugling mit Husten und blauen Lippen
Der Fall. Eine junge Mutter, die erst kürzlich in den Ort gezogen ist, kommt mit ihrem 10 Wochen alten Säugling zu Ihnen in die Ordination. „Der Husten wird immer schlimmer statt besser. Ich habe mir bis gestern nicht viel dabei gedacht, schließlich hat sein Bruder auch diesen Husten aus der Schule mitgebracht. Aber gestern ist mir aufgefallen, dass Tommy immer wieder blaue Lippen bekommt, vor allem in der Nacht. Dann versucht er den zähen Schleim herauszuwürgen. Manchmal erbricht er dann ein bisschen. Ich mach mir jetzt doch Sorgen, nicht dass es was Schlimmes ist.“ Tommy wird voll gestillt und meldet sich alle 3 Stunden zu den Mahlzeiten, dazwischen schläft er viel, soweit der Husten dies zulasse. Kein Fieber, Stuhl und Harn unauff. Klinisch zeigt sich ein wacher Säugling in gutem AZ und mit gutem Tonus. Cor: r, rhy, nf, Pulmo: re deutlich obstruktiv, keine Einziehungen, Rekapzeit < 2 sec. Impfstatus bei beiden Kindern neg. Wie gehen Sie weiter vor? (ärztemagazin 17/18)
„ Eine Zyanose bei Säuglingen ist immer eine spitalswürdige Akutsituation“
Dr. Georg Maiwald
FA für Kinder- und Jugendheilkunde www.kidydoc.at
Ein 10 Wochen alter Säugling mit intermediären Lippenzyanosen bei Hustanfällen gilt immer als „Kindernotfall“ und sollte zügigst begutachtet und behandelt werden. In diesem Fall zeigen sich rechts obstruktive Atemgeräusche, ein negativer Impfstatus und eine positive Familienanamnese bei fehlendem Temperaturanstieg. Als Differenzialdiagnose kommen infektiöse, pulmo/bronchiale Erkrankungen, ein aspirierter Fremdkörper oder kardiale Erkrankungen in Frage. In gut frequentierten Kinderambulanzen sind RSV-Viren/ Respiratory Syncytial Virus einer der häufigsten Schmier- und Tröpfcheninfektionen im Säuglingsalter, die schwere obstruktive Atemgeräusche hervorrufen. Während ältere Kinder nur leichte erkältungsähnliche Symptome entwickeln, kommt es bei Säuglingen durch Inflammation der kleinen Bronchiolen zu schweren Atemwegserkrankungen.
Bei einer negativen Impfanamnese der Familie ist an eine Pertussisinfektion zu denken. Beide Zustandsbilder zeigen schwere Hustanfälle, Zyanosen, zähen Schleim und können auch ohne akutes Fieber ihre Dramatik zeigen. Im Rahmen der Erstuntersuchung würde ich in einer ambulanten, externen Versorgungseinheit nach genauer Anamnese und Untersuchung eine Pulsoxymetrie durchführen. Im Falle einer mangelnden Sauerstoffsättigung O2 zuführen, einen Bronchodilatator mit Maske inhalieren lassen, ein lagerndes Prednisolonsuppositorium verabreichen und unverzüglich den Notarzt rufen. Falls der Patient eine suffiziente Atmung sowie einen stabilen Allgemeinzustand zeigt, würde ich die genannten Untersuchungen durchführen, die Mutter aufklären und das Kind kurzfristig wieder bestellen. Eine adäquate medikamentöse Versorgung mit einem Bronchodilatator (6x täglich inhalieren), eine kurzfristige Prednisolongabe rektal (25mg) sowie eine überlegenswerte Antibiotikagabe wären Grundvoraussetzung.
„ Atemaussetzer und Sauerstoffsättigung indizieren eine stationäre Aufnahme“
PD DDr. Tamás Fazekas
FA für Kinder- und Jugendheilkunde www.gemeinsamwachsen.at
Ich beobachte das Atemmuster des Säuglings und die Atemfrequenz. Dabei fallen mir eine erhöhte Atemfrequenz und Atemaussetzer von bis zu 10 Sekunden auf. Die periphere Sauerstoffsättigung beträgt in meiner Ordination 92–94%. Daher empfehle ich der Mutter, umgehend in ein Spital zu fahren, da eine stationäre Aufnahme indiziert erscheint. Einerseits müssen die Apnoen mit nächtlicher Zyanose monitiert werden, andererseits benötigt der Säugling Sauerstoffinsufflation, parenterale Flüssigkeitszufuhr und wahrscheinlich ein Antibiotikum. Differenzialdiagnostisch ist an Keuchhusten im sogenannten Anfallsstadium zu denken, insbesondere weil der Bruder nicht gegen Pertussis geimpft ist. Hier wären eine Bordatella-Serologie und ein Rachenabstrich zur Sicherung der Diagnose in Betracht zu ziehen und umgehend eine Antibiose mit einem Makrolid einzuleiten. In den ersten Tagen wird zudem eine Isolierung des Kindes empfohlen. Eine Pneumonie könnte auch blaue Lippen und einseitige Atemgeräusche verursachen, jedoch wären hier die Atemaussetzer untypisch.
Ein Thoraxröntgen wird wahrscheinlich erforderlich werden und in weiterer Folge gegebenenfalls ein intravenöses Antibiotikum. Es könnte aber auch beides sein, also eine Sekundärinfektion bei Pertussis. Die RSV-Bronchiolitis könnte ebenfalls zu Tachypnoe und Zyanose führen, man würde sich jedoch ein zumeist beidseitiges Knisterrasseln in der Auskultation erwarten. Eine virologische Untersuchung des Nasensekrets wäre zur Abklärung hilfreich. Schließlich ist an eine obstruktive Bronchitis zu denken, allerdings ist dies bei fehlenden Einziehungen und einseitiger Obstruktion unwahrscheinlich. Wegen der deutlichen Obstruktion kann aber eine intravenöse Steroidtherapie oder eine bronchodilatatorische Inhalationstherapie überlegt werden. Schließlich wird man dringend empfehlen, den Bruder impfen zu lassen und beim Säugling nach überstandener Krankheit laut österreichischem Impfplan zeitgerecht mit den Impfungen zu beginnen. „
Differenzialdiagnostisch kommen vor allem auch RS-Viren in Frage“
Dr. Margarita Wolfsberger
FÄ für Kinder- und Jugendheilkunde FÄ für Päd. Kardiologie www.kinderarztpraxisschumanngasse.at
In diesem Fall denke ich in erster Linie an Pertussis. Dafür sprechen der hartnäckige Husten mit Hervorwürgen von zähem Schleim, die Lippenzyanose und nicht zuletzt der negative Impfstatus beider Kinder. Differenzialdiagnostisch kommen auch andere in diesem Alter häufige Erreger von Atemwegsinfektionen, vor allem RS-Viren, in Frage. Trotz gutem Allgemeinzustand rate ich dringend zur stationären Aufnahme, da Neugeborene und junge Säuglinge das höchste Risiko für schwerwiegende Komplikationen haben und die nächtliche Lippenzyanose auf Apnoen hindeutet. Zum Nachweis der Infektion veranlasse ich PCR und Kultur aus Nasopharyngealsekret. Die Serodiagnostik ist zu Beginn der Erkrankung ungeeignet, da spezifische Antikörper erst 3 Wochen nach Hustenbeginn nachweisbar sind und zudem beim Säugling noch mütterliche Antikörper vorliegen können. Im frühen Stadium der Krankheit können Antibiotika den Krankheitsverlauf beeinflussen; jedenfalls unterbrechen sie die Infektionskette und sind daher sinnvoll, solange das Kind Bordetellen ausscheidet (bei Säuglingen bis zu 6 Wochen nach Beginn des Hustens). Mittel der Wahl sind Clarithromycin oder Azithromycin, alternativ Cotrimoxazol.
Für die Wirksamkeit supportiver Maßnahmen gibt es wenig Evidenz, wiewohl in diesem Fall ein inhalatives Betamimetikum sinnvoll sein könnte. Ausreichende Flüssigkeitszufuhr und häufige, kleine Mahlzeiten sind hilfreich. Eine Monitorüberwachung ist wegen der oft auftretenden Apnoen unbedingt erforderlich. Bei Neugeborenen und kleinen Säuglingen sind schwere Komplikationen wie Apnoen, Pneumonien, zerebrale Krampfanfälle und Enzephalopathien am häufigsten. Fast alle Todesfälle betreffen ungeimpfte Säuglinge <6 Monate. Pertussis ist in dieser Altersgruppe die häufigste infektiöse Todesursache. Die Krankheit kann Wochen bis Monate dauern. Schließlich führe ich mit der Familie ein eingehendes Impfgespräch. Wegen der begrenzten Dauer der Immunität nach Erkrankung und nach vollständiger Impfung kann zwar jeder mehrmals erkranken und es sind Ausbrüche alle 3–5 Jahre zu erwarten; durch frühzeitige Immunisierung der besonders gefährdeten Säuglinge (ab dem 61. Lebenstag!) und Auffrischung im Schul- und Erwachsenenalter – bei Bedarf wird die Impfung sogar Schwangeren im letzten Trimenon empfohlen – werden auch die geschützt, die (noch) nicht geimpft werden dürfen.