29. Aug. 2018Technik

Roboter singt mit Demenzpatienten

Können Roboter dabei helfen, die Herausforderungen der alternden Gesellschaft zu bewältigen? Auf der „Re:publica“, Europas größter Konferenz über Digitalisierung und Gesellschaft, kam auch der Roboter selbst zu Wort. (Medical Tribune 29-35/18)

Pepper beobachtet das Gewusel im Saal, dreht den Kopf mal nach links, mal nach rechts. Wie überall, wo der Roboter auftritt, wird er schnell zum Publikumsmagneten. Mit einer Höhe von 1,20 Meter und großen, neugierigen Augen wirkt er fast wie ein Kind. Das ist beabsichtigt, denn er soll bei älteren Pflegebedürftigen Vertrauen wecken, um Pflegekräfte zu entlasten.

Besser als ein schlechter menschlicher Pfleger?

Dr. Rainer Wieching von der Universität Siegen (rechts unten im Bild) betreut in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Kiel die Forschungsgruppe „Anwendungsnahe Robotik in der Altenpflege“ (AriA) und berichtet in Berlin auf der „Re:publica“, Europas größter Konferenz über Digitalisierung und Gesellschaft, von seinen Erfahrungen. „Der Erfolg von Pepper steht und fällt mit der Akzeptanz“, sagt er. Wenn der humanoide Roboter vom Band läuft, ist er eine leere Hülle. Erst die Programmierer verleihen ihm spezielle Fähigkeiten. Ein wichtiges Ziel seines Forschungsprojekts besteht darin, diese erlebbar zu machen.

Dass Roboter in Japan bereits gut akzeptiert werden, zeigt ein Video, in dem ein älteres Ehepaar mit Pepper redet, der am häuslichen Esstisch platziert und wie ein Mensch gekleidet ist. „Viele Japaner glauben, dass auch Dinge eine Seele haben. Deshalb behandeln sie Roboter wie Menschen. In Europa wäre das undenkbar“, erklärt Robotik-Forscherin Sarah Cosentino von der Waseda-Universität Tokio. Auch die pflegerische Betreuung durch Roboter ist in Japan nichts Ungewöhnliches. Als die Wochenzeitung „Zeit“ darüber berichtete, reichten die Leserkommentare von „Super Sache“ über „Besser gut von einem Roboter gepflegt als schlecht oder gar nicht von einem Pfleger“ bis zu „Nach Entlasten kommt Ersetzen“. „Die Vorstellung, dass Roboter uns zerstören und die Weltherrschaft übernehmen, ist in Europa eher zu finden als in Japan. Dort werden sie vor allem als Helfer gesehen“, bestätigt Wieching und plädiert für eine realistischere Einordnung. „Der Roboter ist kein gleichberechtigter Partner, aber wir sollten sein Potenzial nutzen.“

Sehen, hören, sprechen, ­Witze machen und tanzen

Alle zwei Wochen ist Pepper für zwei Stunden zu Besuch in einem Siegener Altenpflegeheim. Was er dort macht, erklärt er selbst: „Ich kann sehen, hören, sprechen und Emotio­nen erkennen, Fragen beantworten, Witze machen und tanzen.“ Laut Wieching reagieren die Bewohner meist positiv. Sie können mit Pepper Memory spielen oder Gymnastik machen, die er ihnen vorführt. Mit Demenzpatienten singt er Songs aus den 1950er-Jahren. Auch die anfängliche Skepsis der Pflegekräfte und Befürchtungen, der Roboter könnte ihnen den Job wegnehmen, haben sich im direkten Kontakt gelegt, so Wieching. Er betont, dass es vor allem ihre Vorschläge und Erwartungen sind, die in das Design und die Programmierung des digitalen Assistenten einfließen. Beispielsweise wünschen sie sich, dass er sie bei der Nachtwache unterstützt oder erfasst, ob die Senioren genug getrunken haben. Spezifisch menschliche Pflegetätigkeiten wie Waschen und Anziehen soll er nicht übernehmen.

Breiter gesellschaftlicher Diskurs erforderlich

„In Deutschland stehen wir bei dieser Entwicklung ganz am Anfang. Viele Aspekte sind noch ungeklärt und bedürfen eines breiten gesellschaftlichen Diskurses“, so Wieching. So müsse sichergestellt werden, dass die gewonnene Zeit tatsächlich den Pflegekräften zugutekommt und nicht nur zur Kostenreduktion genutzt wird. Auch der rechtliche Rahmen für die Interaktion von Roboter und Mensch ist noch nicht definiert. Hier stellen sich ähnliche Fragen wie bei autonomen Fahrzeugen: Wer ist verantwortlich, wenn ein Schaden entsteht – etwa durch eine Fehlinformation zur Medikamenteneinnahme? „Der Roboter guckt ständig, hört ständig und interferiert ständig – also werden in einer Cloud sehr viele Daten gesammelt. Deshalb ist der Datenschutz ein wichtiger Aspekt“, so Wieching. Die Auswertung von Daten kann jedoch auch helfen, die Technologie zu verbessern.

Ein Austausch mit Japan wäre daher wünschenswert, sei aber schwierig, meint Cosentino. Interessant wären etwa Erfahrungen aus Fernost, inwieweit ein Roboter auch Aufgaben übernehmen kann, die Empathie voraussetzen. Wie Cosentino erläuterte, kann der An­droid besser interagieren, wenn er in der Lage ist, die Gefühle einer Person zu erkennen. „Nicht wir müssen den Roboter verstehen, sondern er uns“, sagt sie. Auch Wieching sieht noch viel Potenzial für individuelle Anpassungen. So seien in Verbindung mit einem computerbasierten Dia­logsystem, einem Chatbot, spezifische Konversationen über Kultur, Kunst oder Sport möglich. Dies ist jedoch eine Frage von Algorithmen. „Wenn wir über Erkennung von Gefühlen sprechen, geht es letztlich um Mathematik. Ein Roboter hat keine Empathie.“

Video von der Re:publica 2018:
„Do Robots and Digitisation really fit the demands of an ageing society?“

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune