Fall der Woche: Doppelbilder quälen einen Informatiker
Der Fall. „Ich war schon bei so vielen Ärzten, wie Sie in den Befunden sehen, aber keiner konnte mir bisher helfen“, schildert Herr T. (25 J., Informatiker) sein Leid. „Die Augenärzte meinten, es komme nicht von den Augen, die Neurologen meinten, mit meinem Kopf sei alles in Ordnung, die Internisten waren mit allen Werten durchaus zufrieden. Selbst eine Physiotherapie habe ich verschrieben bekommen. Aber dauerhaft geholfen hat nichts. Nach ca. 2 Stunden in der Arbeit fangen bei mir diese Kopfschmerzen an. Meine Augen brennen. Aber am schlimmsten sind diese Doppelbilder, diese „tanzenden“ Buchstaben, die immer wieder auftreten. Teilweise kann ich nicht mehr fokussieren. Und dieser Schwindel bis zur Übelkeit. Wenn ich dann nicht aufhöre, am PC zu arbeiten, wird es gar nicht besser. Aber ich bin Informatiker, wie soll das gehen?“ Haben Sie eine Verdachtsdiagnose? Welche Maßnahmen würden Sie einleiten? (ärztemagazin 10/18)
„ Die Symptome deuten auf asthenopische Beschwerden hin“
Assoc. Prof. PD. Dr. Christina Leydolt
Univ.-Klinik für Augenheilkunde, MedUni Wien
Die Symptome des Patienten deuten typischerweise auf asthenopische Beschwerden hin. Diese entstehen durch nicht optimal korrigierte Fehlsichtigkeiten oder Stellungsfehler der Augen und können u.a. Augenbrennen, schnelles Ermüden, Kopfschmerzen, Blendungsgefühl, rote Augen oder Schwindel hervorrufen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Sehfehler über-, unter- oder gar nicht korrigiert wurde. Auch eine Konvergenzschwäche, latentes Schielen oder Störungen in der Fusion können zu asthenopischen Beschwerden führen. Die Angabe des verzögerten Auftretens der Symptome spricht für diese Diagnose. Obwohl der Patient schon augenärztlich abgeklärt wurde, würde ich zunächst einen ausführlichen orthoptischen Status und eine exakte Refraktion in Zykloplegie durchführen. So lässt sich zum Beispiel eine versteckte Hyperopie leicht detektieren.
Aber auch eine Anisometropie, d.h. ein Refraktionsunterschied zwischen beiden Augen, oder höhere Astigmatismen lassen sich in Zykloplegie genauer bestimmen, deshalb gehört für mich bei jungen Patienten die Brillenbestimmung in Zykloplegie zum Standard. Vor dem endgültigen Verschreiben der Brille ist – nach Nachlassen der Wirkung des jeweiligen Zykloplegikums – eine Nachprobe anzuraten. Dabei wird getestet, ob der Patient die ermittelte Refraktion gut verträgt. Mit einer gut angepassten Brille verschwinden die Symptome und der Patient kann wieder beschwerdefrei seiner beruflichen Tätigkeit nachgehen. Konvergenzstörungen und latentes Schielen können mit gezielten Übungen und einer orthoptischen Binokulartherapie durch Orthoptisten trainiert werden. Differenzialdiagnostisch können trockene Augen prinzipiell ähnliche Symptome hervorrufen und bei inkompletter ophthalmologischer Untersuchung auch dafür gehalten werden. Eine Therapie mit Tränenersatzmitteln hilft in diesem Fall natürlich nicht.
„ Aus augenärztlicher Sicht ist die beste Brillen-Korrektur zu verordnen“
Priv.-Doz. Dr. Katharina Kubista
FÄ für Augenheilkunde und Optometrie, Wien www.proeyes.at
Anhand der Anamnese besteht der Verdacht auf eine Asthenopie. Herr T. ist ein klassischer Patient. Er ist jung und arbeitet als Informatiker viel am Computer. Er leidet unter den typischen Symptomen. Nach der Anamneseerhebung würde ich die Refraktion mit einer VisusÜberprüfung, mit und ohne Korrektur, durchführen und versuchen die beste Korrektur sowohl für die Ferne als auch für die Nähe bzw. für die Computerdistanz zu finden. Eine Überprüfung der Bulbusmotilität, des stereoskopischen Sehens, der Konvergenzbewegung sowie ein Auf- und Abdecktest sind dabei unerlässlich. Danach folgt die Untersuchung an der Spaltlampe des vorderen und auch des hinteren Augenabschnittes. Dabei wird auch die Tränen-Aufriss-Zeit, zur Bestimmung der Trockenheit der Augen, gemessen. Es kann auch ein Schirmer-Test ergänzend durchgeführt werden. Danach wird der Fundus in Mydriase begutachtet. Natürlich sollte auch eine neurologische und orthopädische Untersuchung durchgeführt werden, um ein anderes Nervenleiden und/oder ein Zervikalsyndrom auszuschließen.
Bei Verdacht auf Sinusi tis müsste auch noch ein HNOArzt hinzugezogen werden. Falls die Gefäße am Fundus verdächtig aussehen, sollte auch noch ein Internist zum Ausschluss einer arteriellen Hypertonie, Hypercholesterinämie oder eines Diabetes mellitus aufgesucht werden. Aus augenärztlicher Sicht ist in jedem Fall die beste Brillenkorrektur zu verordnen. Bei einer Konvergenzschwäche oder einer Heterophorie sollten auch Prismen-Gläser verordnet werden. Im extremen Fall kann sogar eine Augenmuskel-Operation erforderlich sein. Sehr häufig leiden Bildschirmarbeiter auch an einer Keratokonjunktivitis sicca, sodass hier benetzende Augentropfen mindestens 3-mal täglich unbedingt zu empfehlen sind. Außerdem können Stressreduktion, ausreichend Schlaf sowie Entspannungsübungen mit Bildschirmpausen die Therapie unterstützen.
„Die Untersuchung wird auch eine Kontrolle an der Spaltlampe beinhalten“
Dr. Eva Krammer
FÄ für Augenheilkunde und Optometrie, Wien
Da die Sehbeschwerden mit Doppelbildern und tanzenden Buchstaben nach einer Belastung von ca. 2 Stunden beginnen, liegt der Verdacht schon nahe, dass es sich um ein ophthalmologisches Problem handelt. Es deutet auch seine Schilderung darauf hin, dass die Beschwerden mit Ermüdung der Augen zunehmen. Daher ist eine gründliche augenärztliche Untersuchung jedenfalls angezeigt. Die muss Folgendes beinhalten: Sehtest für die Ferne und auch für die Nähe, weil es auch schon vor dem Eintritt der normalen Altersweitsichtigkeit akkomodationsschwache Menschen gibt. Weiters unbedingt eine Dioptrienbestimmung in Zykloplegie, das heißt mit erweiterten Pupillen, weil man so viel besser auf „versteckte“ Weitsichtigkeit draufkommt. Außerdem muss auf jeden Fall auf latentes oder manifestes Schielen untersucht werden.
Wenn bei diesen Untersuchungen etwas gefunden wird – und in dieser Fallgeschichte bin ich eigentlich davon überzeugt –, verordnet man eine Brille oder zumindest eine Arbeitsbrille, die während der Arbeit am Computer getragen wird. Selbstverständlich wird die Untersuchung auch eine Kontrolle an der Spaltlampe sowie der Netzhaut und Macula beinhalten, ob organische Schäden vorliegen, was aber angesichts der Jugend des Patienten vielleicht nicht so wahrscheinlich ist. Ganz wichtig ist für mich allerdings auch eine orthopädische Begutachtung der Schulter-Nacken-HWS-Region, denn Verspannungen beim stundenlangen Sitzen am Computer können so stark sein, dass Kopfschmerzen und sogar Sehstörungen daraus resultieren.
Nicht zu vergessen ist dann noch das „Sicca-Syndrom“, das bedeutet, dass nach stundenlanger Bildschirm- Arbeit die Hornhautoberfläche austrocknet, weil die Blinzelfrequenz beim konzentrierten Schauen herabgesetzt ist und somit der Tränenfilm nicht konsequent immer wieder erneuert wird. Da empfehle ich das Nachbenetzen mit konservierungsmittelfreien Befeuchtungstropfen. Und von internistischer Seite mache ich bei den Sehstörungen, die in der Fallgeschichte beschrieben werden, oft auch eine Abklärung der Schilddrüse. Auch in der Richtung findet man manchmal Sehbeschwerden, die einen anfänglich gar nicht an dieses Problem denken lassen.