Schwindel: Ein Taxler braucht Hilfe

Der Fall. „Jetzt passiert das schon zum 2. Mal“, begrüßt Sie Herr B., ein 43-jähriger Taxifahrer, verzweifelt. „Dieses Mal ist es viel schlimmer. Mir ist plötzlich so schwindlig geworden, dass ich nicht mehr weiterfahren konnte. Außerdem pfeift es so im Ohr und ich hab fast nichts mehr gehört und mir ist so schlecht. Ich musste mich schon zweimal übergeben.“ Vor 1 Woche hatte Herr B. bereits eine Phase mit plötzlichem Drehschwindel, Schwerhörigkeit und Tinnitus sowie starker Übelkeit. Da alles nach ca. 1 Stunde wieder von selbst verschwunden ist, hat er sich nicht viel dabei gedacht. Heute sei es viel schlimmer und obwohl der Schwindel inzwischen verschwunden ist, dauert es schon über 2 Stunden. Keine VE oder DM, klinisch keine Auffälligkeiten, RR 140/85mmHg, P 80, Temp. 36,8°C, BB: unauff. Worunter leidet Herr B. und wie können Sie ihm rasch helfen? Was sollte Herr B. wissen? (ärztemagazin 8/18)

„ Es handelt sich hier sehr wahrscheinlich um Morbus Menière“

Univ.-Prof. Dr. J. Sasan Hamzavi
Facharzt für HNO-Heilkunde, Wien, www.hamzavi.at, www.beautifulEARS.eu 
Bei den von Herrn B. beschriebenen Symptomen handelt es sich sehr wahrscheinlich um Morbus Menière. Dies ist eine Krankheit des Innenohres mit unbekannter Ursache, gekennzeichnet durch typischen Trias: anfallartiger Drehschwindel, Hörverminderung und Ohrsausen. Diese Krankheit ist auch unter dem Namen Hydrops Cochleae bekannt. Dabei vermischen sich zwei unterschiedliche Flüssigkeiten im Hör- und Gleichgewichtsorgan. M. Menière verläuft in Schüben mit unterschiedlichen Intervallen mit einer Hörstörung im Tieftonbereich. Ein Anfall kann von einigen Minuten bis zu mehreren Stunden dauern, wobei der Anfall so heftig sein kann, dass die Patienten kaum aufstehen können.

Herr B. soll wissen, dass ein Anfall auch während der Fahrt auftreten kann. Diese Krankheit kann sowohl medikamentös als auch operativ behandelt werden. Medikamente wie Betahistin (ein Histaminanalog), aber auch Diuretika können verwendet werden. Unter dieser medikamentösen Therapie können die Anfälle verschwinden oder milder verlaufen. Wenn die Medikamente nicht helfen, kann durch einfache bis komplexe chirurgische Maßnahmen eine Erleichterung für die Patienten herbeigeführt werden. Durch eine sog. „Tendotomie“ – ein chirurgischer Eingriff – kann der Verlauf der Krankheit verlangsamt oder sogar gestoppt werden. Bei dieser Methode werden 2 Muskeln im Mittelohr durchtrennt, was zur Entlastung des Innenohrdrucks führt. Die Anzahl der Anfälle kann signifikant reduziert werden, sodass die Betroffenen wieder massiv an Lebensqualität gewinnen können.

Lit.: Tenotomy of the middle ear muscles causes a dramatic reduction in vertigo attacks and improves audiological function in definite Meniere’s disease. Loader B, Beicht D, Hamzavi JS, Franz P. Acta Otolaryngol. 2012 May;132(5):491-7

„ Herrn B. muss erklärt werden, dass es keine Heilung im klassischen Sinn gibt“

Assoc. Prof. PD Dr. Christoph Arnoldner
Stv. Leiter der Univ.- Klinik f. Hals-, Nasen-, Ohrenkrankheiten, MedUni Wien
Die Kombination aus Drehschwindel mit Schwerhörigkeit und Tinnitus mit rezidivierendem Auftreten lässt stark das Vorliegen eines Morbus Menière vermuten. Die Abklärung umfasst eine HNO-ärztliche Abklärung inklusive Ohrmikroskopie (Ausschluss z.B. Cholesteatom), Hörtest (Tieftonschwerhörigkeit), eine Lagerungsprüfung (Ausschluss Lagerungsschwindel) als auch ein MRI Schädel (Ausschluss Vestibularisschwannom, zentrale Pathologie). In Erprobung findet sich zurzeit die direkte Darstellung des Hydrops des Innenohres mit Hilfe eines sogenannten Hydrops-MRI. Die endgültige Diagnose kann bis dato nur durch eine genaue Anamnese und das Vorliegen der typischen Hörtestbefunde gestellt werden. Herrn B. muss erklärt werden, dass es leider keine Heilung im klassischen Sinn für ihn gibt, jedoch mit verschiedenen (primär konservativen, ggf. chirurgischen) Maßnahmen eine Kontrolle der Symptome erreicht werden kann.

Die primäre Therapie umfasst die Identifikation möglicher Triggerfaktoren (exzessiver Kaffee- und Salzkonsum, Alkohol, Stress) sowie eine Therapie mit Betahistin in hoher Dosierung (bis 3x 48mg, off label) oder einem Diuretikum (z.B. Hydrochlorthiazid). Sollte sich unter dieser Therapie keine Besserung der Schwindelbeschwerden einstellen, ist an das Einsetzen eines Paukenröhrchens ins Trommelfell zu denken (+-Labyrinth- Anästhesie: Lokalanästhetikum ins Mittelohr). Die weiteren Schritte bei persistierenden Beschwerden umfasst eine Saccotomie (chirurgische Freilegung des Saccus endolymphaticus) bis hin zu einer Gentamycin- Therapie bzw. einer Labyrinthektomie bei schlechtem Hörvermögen. In ausgewählten Fällen kann das Hörvermögen in gleicher Sitzung mit Hilfe eines Cochlea-Implantates wiederhergestellt werden. Herr B. kann im frühen Stadium des Hörverlustes mit einem Hörgerät versorgt werden, muss aber verstehen, dass im Laufe der Jahre das Hören aufgrund seiner Erkrankung sich schrittweise verschlechtern wird, während die Schwindelbeschwerden eher nachlassen werden.

„ Viele Patienten haben nur selten Attacken und lernen, damit umzugehen“

Dr. Kurt Neuwirth- Riedl
Facharzt für HNO-Heilkunde, Klosterneuburg, www.hno-neuwirth.at 
Einmalige, heftige Schwindelanfälle mit Übelkeit oder Erbrechen von mehreren Stunden Dauer sind auch bei ansonsten gesunden Erwachsenen mittleren Alters nicht ganz selten. Oft wird nicht klar, welcher Pathomechanismus zu dem akuten Schwindelanfall geführt hat; zu erwägen aus HNO-ärztlicher Sicht sind: eine erste Menière-Attacke, eine abortive Neuronitis vestibularis oder auch der heftige Beginn eines Lagerungssschwindels. Bei der hier vorliegenden Geschichte des Taxifahrers sind die Dinge wesentlich klarer: Es liegt schon ein zweiter Anfall vor; und zumindest dieser ist von Hörminderung und Ohrensausen begleitet. Nun denkt man, dass wohl ein M. Menière vorliegt. Nach dem Anfall sind die Gleichgewichtsprüfungen meist völlig in Ordnung, ein Nystagmus ist nicht mehr zu beobachten; die Hörprüfung zeigt nach dem zweiten Anfall meist noch nicht die einseitige Tieftonhörstörung, die für Menière-Patienten typisch ist, die schon viele Anfälle hatten. Spätestens nach dem zweiten Anfall wird man eine MRT des Neurocraniums zum Ausschluss zentraler Ursachen veranlassen, evtl. auch angiologische Untersuchungen.

Eine positive Möglichkeit, die Menière-Erkrankung sicher zu diagnostizieren, gibt es leider noch nicht. Was aber will der Patient? Er will keine weiteren Anfälle mehr erleben! Und genau das können wir ihm leider mit keiner Maßnahme garantieren. Wir müssen dem Patienten erklären, dass weitere Anfälle auftreten können. Er soll immer vier Dinge mit sich führen: 1. antiemetisches Zäpfchen, 2. Tüten für den Fall, dass es zu Erbrechen kommt, 3. eine Karte, aus der hervorgeht, dass er nur einfache Hilfe benötigt, aber keinen Rettungseinsatz, 4. ein Mobiltelefon. Gleichzeitig kläre ich die Betroffenen sehr bald über die Gefahr des sekundären, psychogenen Schwindels auf; mehrere heftige Schwindelattacken aus heiterem Himmel führen sonst fast regelhaft zu einer ängstlichen Erwartungshaltung mit persistierendem, starkem Unsicherheitsgefühl; dieser reaktive Schwindel beeinträchtigt das Funktionieren im Berufs- und Privatleben dann oft stärker als die auslösende Menière-Erkrankung. Viele Patienten haben nur seltene Attacken und lernen, damit umzugehen; Patienten mit sehr häufigen Attacken kann man mit Instillation von Lidocain oder Gentamycin ins Mittelohr (Labyrinthanästhesie bzw. –ausschaltung) behandeln; neuerdings werden auch Steroide intratympanal mit ähnlichem Erfolg eingesetzt. Letztlich gilt: Diagnose wie Therapie des M. Menière sind noch unbefriedigend.