29. Okt. 2021Empfehlungen der EULAR

Selbstmanagement bei inflammatorischen Arthritiden

Neue Medikamente haben die Therapie entzündlicher Gelenkerkrankungen verbessert. Zusätzlich müssen Patienten Strategien entwickeln, jenseits von Tabletten und Injektionen optimal mit ihrem Zustand umzugehen.

Abgeschnittene Aufnahme eines älteren Mannes, der seine Finanzen durchgeht, während er am Esstisch sitzt
iStock/shapecharge

Menschen mit inflammatorischen Gelenkerkrankungen wie rheumatoider Arthritis, Psoriasisarthritis oder axialer Spondylarthritis stoßen in ihrem Alltag oft genug auf Probleme, die dem Arzt vielleicht gar nicht in den Sinn kommen. Dazu gehören etwa Schwierigkeiten am Arbeitsplatz oder fehlendes Grundwissen, um die eigene Krankheit überhaupt zu verstehen, schreiben Dr. Elena Nikiphorou vom Rheumatology Department des King’s College in London und ihre Kollegen. Daher haben sie sich als interdisziplinäre Task Force der EULAR* zusammengefunden und ein Neun-Punkte-Programm für Kranke und ihre Ärzte zum besseren Selbstmanagement entwickelt.

Experten aus verschiedensten Bereichen eingebunden

Zum Team gehörten Rheumatologen, speziell weitergebildete Pflegekräfte, Physio- und Ergotherapeuten, Psychologen, Ernährungswissenschaftler und Podologen. Über die Fachliteratur identifizierten sie, welche Interventionen einen bewiesenen Nutzen haben, hinzu kam die praktische Expertise von neun europäischen Patientenorganisationen, welche die teils eher theoretischen Prinzipien ergänzten. Nach einem komplexen Abstimmungsprozess einigte man sich auf drei übergeordnete Themen (s. Kasten) und neun sich daraus ableitende Empfehlungen.

  1. Der Patient sollte alle Mitglieder des Behandlungsteams kennen und ermutigt werden, eine aktive(re) Rolle bei seiner Behandlung einzunehmen. Seriöse Patientenorganisationen können dabei eine wichtige Rolle spielen. Allerdings sind sich viele Kollegen dieses Potenzials nicht bewusst.
  2. Klären Sie Ihren Patienten über seine Erkrankung auf, das ist das A und O. Ohne sein Verständnis werden die besten Interventionen scheitern.
  3. Effektive Techniken im Umgang mit der Krankheit umfassen Problemlösungsstrategien, Zielsetzungen und Elemente der kognitiven Verhaltenstherapie. Wenn möglich, integrieren Sie diese in die Routineversorgung des Kranken, z.B. über geschultes Personal, oder überweisen Sie ihn zum entsprechenden Fachkollegen (etwa Psychotherapeuten für eine Verhaltenstherapie).
  4. Bringen Sie mit ihrem Team den Kranken wortwörtlich auf die Beine: Ermuntern Sie ihn zu sportlichen Aktivitäten. Wichtig ist, dass diese auf den Patienten zugeschnitten sind – nicht jeder mag Schwimmen, aber vielleicht Tanzen? In manchen Fällen sollte man im Vorfeld einen Physiotherapeuten hinzuziehen. Initiativen für mehr Bewegung gibt es auch bei Selbsthilfegruppen, Volkshochschulen oder Sportvereinen.
  5. Ein gesunder Lebensstil gehört zur Therapie dazu: z.B. Rauchstopp, Abnehmen bei Bedarf oder Schlafhygiene. Im Einzelfall hängen passende Interventionen von Begleiterkrankungen ab. Überweisen Sie etwa an einen Ernährungsberater. So lernt ein mit Fast Food sozialisierter Betroffener möglicherweise das erste Mal, wie ein gesunder Essensplan aussieht.
  6. Rheumatische Erkrankungen beeinträchtigen nicht nur physische Parameter – die Psyche leidet mit. Checken Sie daher regelmäßig den seelischen Zustand des Patienten, ggf. mit spezialisierten Fragebogen wie dem entsprechenden Abschnitt des SF-36 oder des PHQ-9. Bei Bedarf sollten kognitive Verhaltenstherapie oder andere psychosoziale Maßnahmen folgen, in schweren Fällen bleibt die Überweisung zu den Kollegen aus Psychologie oder Psychiatrie. Viele Organisationen bieten zudem Selbsthilfegruppen an.
  7. Ermutigen Sie den Patienten, über seine berufliche Situation zu sprechen. Falls es in dieser Richtung Probleme gibt, kann schon das Umsetzen auf einen anderen Arbeitsplatz helfen. Ergotherapeuten kennen u.a. wirksame Strategien, die befallene Gelenke schonen.
  8. Mit Smartphone-Apps oder PC-Programmen können Patienten aktiver an ihrer Therapie mitwirken. Ermutigen Sie den Patienten dazu, sich auch digital mit seiner Krankheit zu beschäftigen.
  9. Bleiben Sie von medizinischer Seite up to date: Informieren Sie sich regelmäßig, auf welche verschiedenen Ressourcen Sie oder Ihr Patient zurückgreifen können, z.B. über neue Hilfen für betroffene Patienten oder aktuelle Tipps und Angebote von Fachgesellschaften oder Patientenorganisationen.

Selbstständig, aber nicht alleingelassen

Ein gutes Selbstmanagement schafft Unabhängigkeit, da der Betroffene in die Lage versetzt wird, Symptome, Behandlung, Veränderungen des Lebensstils und die psychologischen sowie kulturellen Konsequenzen der Erkrankung selbst – aber unterstützt von seinem Umfeld – zu bewältigen. Dazu muss man:

  • die aktive Rolle des Patienten fördern, sowohl hinsichtlich der Information über die Krankheit als auch bei Therapieentscheidungen
  • das Vertrauen eines Patienten in sich selbst stärken
  • den Kontakt zu Patientenorganisationen ermöglichen und über Angebote informieren

Die Auswertung der Fachliteratur hat gezeigt, dass es hinsichtlich des Selbstmanagements noch diverse Baustellen gibt, betonen die Experten zum Abschluss. Welche Strategien sind am effektivsten? Wie lassen sich diese am besten in den Alltag integrieren? Wie schafft man eine bessere Zusammenarbeit mit den Patientenorganisationen? Wie ist es regional um deren fachliche Kompetenz und Ausstattung bestellt? Und wie steht es um die Kosteneffizienz all dieser Maßnahmen?

* European Alliance of Associations for Rheumatology
Nikiphorou E et al. Ann Rheum Dis 2021; doi: 10.1136/annrheumdis-2021-220249

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune