Begünstigt Einsamkeit in der Kindheit das Psychoserisiko?
Kinder, die vor ihrem 12. Lebensjahr über einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten Einsamkeitsgefühle erlebten, scheinen im Vergleich zu Kindern ohne derartige Gefühle ein höheres Risiko für die Entwicklung von Psychosen aufzuweisen. Diese Forschungsergebnisse wurden am EPA in Budapest präsentiert. Die Tendenz ist bei Frauen stärker als bei Männern ausgeprägt.
Psychosen umfassen diverse geistige Zustände, bei denen der Bezug zur Realität teilweise verloren geht. Betroffene können Schwierigkeiten haben, zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden, was sich in Symptomen wie Halluzinationen, Wahnvorstellungen und verwirrtem Denken äußert. Oft sind Psychosen ein Indikator für andere psychische Störungen wie Schizophrenie, bipolare Störung oder schwere Depressionen.1-3
Die vorliegende Beobachtungs-Fall-Kontroll-Untersuchung untersuchte das Phänomen der Einsamkeit, definiert als das subjektive Leid, das aus dem Fehlen tiefer, bedeutungsvoller Beziehungen resultiert, und unterschied es von sozialer Isolation, die sich auf den objektiven Mangel an sozialen Kontakten bezieht. Mittels einer spezifischen Frage bezüglich Einsamkeitserfahrungen vor dem Alter von 12 Jahren („Hast du dich jemals vor dem Alter von 12 Jahren mehr als 6 Monate lang einsam gefühlt?“) und der Analyse von Peer-Beziehungen konnten die Forscher 285 Patientinnen und Patienten, die ihre erste Psychose-Episode erlebten, und 261 Kontrollpersonen vergleichen.
Ergebnisse
Die Ergebnisse zeigten, dass Kinder, die Einsamkeit erlebten, eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit hatten, eine Psychose zu entwickeln (angepasstes Odds-Verhältnis, aOR: 2,17; 95% KI [1,40–3,51]; p=0,002), und diese Assoziation blieb signifikant nach Kontrolle für objektive soziale Isolation in der Kindheit (aOR: 2,70; KI 95% [1,58–4,62]; p<0,001). Die Assoziation zwischen Einsamkeit und dem Erleben einer psychotischen Episode war bei Frauen (aOR: 4,74; 95% KI [2,23–10,05]; p<0,001) stärker als bei Männern (aOR: 1,17; KI 95% [0,63–2,19]; p=0,623).
Bei Personen, die eine psychotische Episode erlebt hatten, war Einsamkeit in der Kindheit mit einer größeren Schwere positiver psychotischer Symptome sowie affektiver Symptome (Stimmungsstörungen) und schlechterer Funktionsfähigkeit verbunden.
Fazit
Die Studie legt nahe, dass Einsamkeit in der Kindheit nicht nur mit einer erhöhten Schwere psychotischer Symptome korreliert, sondern auch mit Stimmungsstörungen und einer verschlechterten Funktionsfähigkeit. Laut Dr. Covadonga Díaz-Caneja vom Institut für Psychiatrie, Madrid, und Prof. Andrea Fiorillo Universität Kampanien, Neapel, designierter Präsident der Europäischen Psychiatrischen Vereinigung unterstreichen diese Erkenntnisse die dringende Notwendigkeit, die soziale Vernetzung und das emotionale Wohlergehen von Kindern zu fördern, insbesondere im Kontext der zunehmenden Digitalisierung und sozialen Isolation. Díaz-Caneja: „Es gibt immer mehr Belege für die negativen gesundheitlichen und sozialen Folgen der Einsamkeit bei Erwachsenen, aber über die langfristigen Auswirkungen der Einsamkeit bei jungen Menschen ist viel weniger bekannt. Trotz ihres vorläufigen Charakters deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass Einsamkeit in der Kindheit ein früher Risikofaktor für spätere psychotische Störungen sein könnte, und sprechen dafür, dass sie ein potenzielles Ziel für präventive Maßnahmen im Bereich der psychischen Gesundheit ab einem frühen Alter darstellt. Dies könnte besonders wichtig sein, wenn man bedenkt, dass Einsamkeit in der Kindheit ein weit verbreitetes Phänomen ist, das in den letzten Jahren zuzunehmen scheint.“ Fiorillo ergänzt: „Diese Studie bietet wertvolle Einblicke in den Zusammenhang zwischen Einsamkeit in der Kindheit und einer Psychose in der ersten Lebensphase. Mit der zunehmenden Digitalisierung und sozialen Isolation ist Einsamkeit zu einem allgegenwärtigen Problem geworden, von dem junge Menschen betroffen sind. Die überzeugenden Ergebnisse dieser Studie, die einen direkten Zusammenhang zwischen Einsamkeit in der Kindheit und dem Ausbruch einer Psychose herstellen, weisen auf einen besorgniserregenden Trend hin und unterstreichen, wie wichtig es ist, sich schon in jungen Jahren um soziale Bindungen und emotionales Wohlbefinden zu kümmern.“
Quelle: Pressemitteilung des Europäischen Kongresses für Psychiatrie (EPA), 9.4.24