7. Mai 2025Medizin und ich

Bewertungen

Seit Langem währt die Diskussion, ob Schulnoten und Bewertungen in Ordnung sind, oder ob sie den zarten Kinderseelen schaden könnten. Im Nachwuchssport darf es keine Verlierer mehr geben, denn das tut weh. Und schließlich wollen wir unsere Kinder vor allen Enttäuschungen beschützen, damit sie ahnungslos und überbehütet das Erwachsenenalter erreichen können.

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BB
Abbildung: MedTriX

Da merken sie dann zwangsläufig irgendwann, dass sie nicht so einzigartig und super sind, wie sie immer gedacht hatten. Aber glücklicherweise gibt es Medikamente und Therapeuten, und man darf heutzutage gerne auch mit dreißig noch sein inneres Kind aufs Leben vorbereiten.

Auf der anderen Seite aber haben die meisten schon früh gelernt, dass Bewerten und da besonders Abwerten voll ok sind. Das geht nämlich anonym oder pseudonym im Internet. Da kann man schreiben, was gerade so aufs Herzerl drückt. Und weil der andere sich nicht wehren kann, besteht nicht die Gefahr, dabei verletzt zu werden wie in einer persönlichen Diskussion.

Ein Stern von fünf ist schnell vergeben, wenn man sich nicht weiter mit dem Objekt seiner Kritik beschäftigen möchte. Wenn doch, so kann man alles rauskotzen, was einem so einfällt. Schon Papier war geduldig, da gab’s noch kein Internet. Dessen Geduld ist unfassbar und unendlich.

Ich geb’ ja zu, dass ich mir auch gerne bei der Buchung von Urlaubsquartieren die Rezensionen durchlese. In manchen Fällen ist das wirklich informativ und auch notwendig. Schließlich will man als stillesuchende leicht zwangsneurotische Sauberkeitsfanatikerin nicht unbedingt in einer Bruchbude über einem Nachtlokal hausen.

Was Bewertungen über den Schreiber aussagen

Auch informiere ich mich gerne im Vorfeld über das Angebot und die Qualität der Lokale, in denen wir unser Abendessen einnehmen möchten. Einfach so spontan: "Was gibt’s heute? Ah, 'Salmonella special', fein, das nehmen wir dann halt auch" – dafür sind mir meine kostbaren Urlaubstage zu schade.

Aber manche Rezensionen sagen mehr über den Schreiber aus als über die Beschriebenen. Wenn ein Restaurant nur einen von fünf Sternen auf Google bekommt, weil die Hungrigen wissentlich am Ruhetag dort aufgekreuzt und vor verschlossener Tür gestanden sind – was soll man dazu sagen?

Oder wenn einer auf einer Berghütte über den atemberaubend schönen Gipfeln den Sonnenuntergang beobachten könnte, sich aber nur über das schwächelnde WLAN mokiert, so tut mir das echt leid für Wirt und Hüttenwirt. Schließlich steckt in den meisten Betrieben viel Arbeit und Herzblut.

Negative Bewertungen löschen? Nein danke!

Auch wir Ärzte werden sehr gerne bewertet. Kürzlich bekam ich ein Mail von einem EDV-Typen, der mir anbot, gegen Entgelt meine negativen Kritiken aus dem System zu löschen. Er würde das schon seit Jahren für die verschiedensten Betriebe in der Gegend machen (jetzt wird mir die eine oder andere Sternekonstellation sonnenklar).

Ich habe abgelehnt. Ich stehe dazu, nur einen Stern zu bekommen, wenn ich die Terminpatienten pünktlich drannehme, und solche, die einfach reingeschneit sind, warten lasse. Oder dass ich Montag früh sehr gestresst wirken kann und einer verkühlten Fremdpatientin nicht sofort den roten Teppich ausrolle. Oder auch, dass ich, nachdem mein Nachbardoktor in Pension gegangen ist, nicht selbstverständlich zu meiner Arbeit auch noch seine dazumache.

Abschreckend genug, dass keiner mehr mein neuer Patient werden möchte, ist es leider noch lange nicht. Es tut nur dann weh, wenn man sich für manche wirklich den A... aufreißt, ewig Zeit nimmt, sie sogar am Abend und am Wochenende noch bedüddelt, und dann heißt es: "Die Frau Doktor nimmt sich keine Zeit und interessiert sich nicht für meine Probleme."

Rezensionen über Patienten – das wäre doch was!

Manchmal wäre es ganz lustig, auch Rezensionen über Patienten zu schreiben. Zum Beispiel:

"Herr W. kommt schon wieder einmal zum geplanten Vorsorgetermin, ohne sich in den letzten zwei Monaten geduscht oder das T-Shirt gewechselt zu haben. Herr W. ist kein Obdachloser, sondern Akademiker mit einer großen Wohnung inklusive Bad. Wir haben bei minus zehn Grad die Ordi eine halbe Stunde lüften müssen, bis wir den nächsten behandeln konnten. 1 Stern."

"Herr P. hat um 15.00 Uhr Termin, und gerade, als ich ihn aufrufen will, verschwindet er auf die Toilette. Also nehme ich inzwischen den Nächsten dran. Der braucht etwas länger. Und als ich um 15.20 Herrn P. ins Sprechzimmer bitte, beginnt er mit mir zu schreien, dass er keine Zeit habe für solche Wartezeiten. 1 Stern."

"Frau V. hat einen Vorsorgetermin, zu dem sie nicht erscheint und den sie auch nicht absagt. Wir erreichen sie am Telefon: Ja, sie hätte Ohrenweh bekommen. Deshalb hätte sie keinen Nerv gehabt, uns zu informieren. Aber ich könne ihr nächste Woche einen Termin geben, sie schaut dann spontan, ob es dann besser passt. 1 Stern."

"Herr C. hat Männerschnupfen, (Temperatur 37,2 °C, Puls 62), aber stöhnt und jammert, als er zum Lunge auskultieren tief atmen muss. Danach geht er aufs Klo und füllt die Muschel mit einem kunstvollen Haufen von Papierhandtüchern. Als ich ihm erkläre, dass wir über Mistkübel verfügen und ich jetzt Klotauchen spielen muss, lacht er. 1 Stern." Und ich würd ihm gerne …

Glücklicherweise kann ich den meisten meiner Patienten 5 Sterne geben. Und deshalb arbeite ich immer noch so gerne.