Die Bitch?
Willkommen im neuen Jahr, liebe Leser:innen! Ich hoffe, Sie sind gut gerutscht und haben RSV, Corona und Influenzawelle fürs Erste gut überstanden. Und weil wir davon gerade ohnehin genug gehört haben, möchte ich heute über ein ganz anderes Thema schwadronieren. Es ist ein Thema, das mich persönlich sehr betrifft, weil Genetik.
Ich möchte über Frauen sprechen. Aber ich wäre ja nicht die kleine Stationsärztin, wenn ich jetzt über Frauen allgemein sprechen würde. Ich möchte mich heute mit der bunten Gruppe der Ärztinnen befassen. Fühlen Sie sich nicht diskriminiert, liebe Kollegen, vielleicht werde ich Ihre Spezies auch kurz streifen, aber heute dürfen Sie mit mir über Ihre Kolleginnen nachdenken.
Ich habe mich vor ein paar Tagen mit einer ehemaligen Kollegin getroffen. Unsere Berufswege gehen seit Jahren in unterschiedliche Richtungen, aber wir treffen uns regelmäßig, um uns Updates aus den verschiedenen Irrenhäusern, in denen wir dienen dürfen, zu geben. Beim aktuellen Treffen muss ich neidlos eingestehen, dass sie meinen Wahnsinn deutlich übertrumpfen konnte. Und was macht eine junge, selbstbewusste Frau am Beginn einer vielversprechenden Karriere, die frustriert ist, weil sie mit dem Gesicht schon an der gläsernen Decke klebt?
Nein, meine Herren, sie wird nicht schwanger und erfüllt endlich das Klischee und wird glücklich am Sandkistenrand! Sie checkt sich privat die Nummer der Chefin einer Abteilung ihres Fachgebiets und probiert ihr Glück. Und spricht beim ersten Treffen gleich an, dass sie neben ihrer großen beruflichen Motivation schon auch zeitlich begrenzte Sandkistenszenarios plant. So macht man das, Mädels! Ich hoffe, ihr habt mitgeschrieben.
Aber warum schreibe ich dann als Überschrift „die Bitch“? Das trifft ja wohl nicht auf meine Freundin zu. Weil ich, liebe Leser:innen, etwas gelernt habe. Nämlich über die Abteilungschefin. Ich kenne die Gute nämlich peripher und hatte nicht die höchste aller Meinungen auf zwischenmenschlichem Niveau. Aber wie sie auf meine Freundin und ihre offenen Ansagen reagiert hat (Spoileralarm: sehr positiv!), hat mich überrascht und einen Denkprozess angestoßen.
Wir haben dann bei einem Glas Sprudel über all die „Bitches“ zu reflektieren angefangen, denen wir beruflich so begegnet sind.
Und mir ist etwas aufgefallen an unserer gemeinsamen Wahrnehmung: Wenn eine Frau mit Krallen und Klauen für ihre Patient:innen oder ihr Team eintritt, dann ist sie schnell als schwierig verschrien. Ein Mann mit ähnlichem Verhalten ist ein Macher, ein toller Typ, weil „der setzt sich ein!“.
Ist eine Frau kurz angebunden, professionell unfreundlich, aber eine Koryphäe in ihrem Bereich, dann ist sie, Sie ahnen es: eine „Bitch“! Verhält sich ein Mann genau gleich: ein Genie, der muss ja nicht nett sein, weil er so klug ist oder so ein guter Operateur.
Warum nehmen wir es bis heute so persönlich, wenn einer Frau keine Blümchen aus den Ohren fliegen? Und warum ist es so okay, wenn ein Mann unbequem ist?
Da spekuliert normalerweise keiner darüber, ob er ein befriedigendes Sexualleben pflegt oder frustriert ist, weil er keine Kinder bekommen konnte oder sonst etwas unter der Gürtellinie.
Andererseits frage ich mich häufig, ob man als Frau so ruppig sein muss wie unsere lieben „old-school Bitches“.
Kann man nur Karriere machen oder sich durchsetzen, wenn man die Krallen regelmäßig ausfährt, kalt ist und möglichst wenig Privatleben preisgibt? Darf man als Frau im professionellen Setting überhaupt nett sein?
Die Antwort ist für mich ein klares Jein.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich als Studentin behandelt wurde und wie die ambitionierten Ärztinnen damals kämpfen mussten um Respekt.
Das war noch vor #metoo, in den guten alten Zeiten, als sich niemand gewundert hat, wenn ein Chirurg prinzipiell nur die hübschen Studentinnen in den OP mitgenommen hat und ihnen nach stundenlangen OP-Assistenzen süffisant einen Eislutscher in Aussicht gestellt hat. Oder wo ältere männliche Patienten noch lautstark spekuliert haben, welche Farbe die Unterhose der blutabnehmenden Studentin oder Ärztin hat.