5. März 2018

25 Jahre Grazer Frauengesundheitszentrum

Kranke wie Gesunde finden im Zentrum in Graz seit 1993 unterschiedliche Frauengesundheitsförderungsangebote und evidenzbasierte Beratung in Ergänzung zu ärztlichen Leistungen. Dr. Felice Gallé und ihr Team haben viel erreicht und noch viel vor. (Medical Tribune 10/18) 

Das Frauengesundheitszentrum liegt im ersten Stock eines schönen Gründerzeit- Hauses in der Grazer Innenstadt. Es verfügt unter anderem über ein Beratungszimmer, eine Bibliothek und ein Veranstaltungsraum. Im Wartebereich liegen Magazine und Broschüren anderer Beratungsstellen und Fraueneinrichtungen auf. „Die Gesundheitsinformationen müssen evidenzbasiert, verständlich und unabhängig sein, also den Qualitätskriterien der ‚Guten Gesundheitsinformation Österreich‘* entsprechen“, erklärt Dr. Felice Gallé, Mitglied im Geschäftsführungsteam. „Auch übliche Frauenmagazine findet man nicht bei uns. Zu oft haben wir mit den Folgen ungesunder Schönheitsideale und Körpernormen zu tun …“ Hier zeigt sich: Die Frauengesundheitsförderung ist aus der Frauenbewegung hervorgegangen. Die Kompetenz der Frauen für ihren Körper zu stärken, ist ein Hauptziel.

Das Frauengesundheitszentrum in Graz wurde 1993 gegründet, kurz nach dem FEM in Wien. Geboten werden medizinische, psychologische und soziale Beratung, Begleitung und Stärkung von Frauen und Mädchen. Kranke wie Gesunde finden im Frauengesundheitszentrum verschiedene Gesundheitsangebote, und man kann sich Termine für ein Beratungsgespräch oder für Psychotherapie ausmachen. Eine Dolmetscherin oder Kinderbetreuung kann bei Bedarf organisiert werden. Für Bewegungskurse wie „Qigong für Frauen 60+“ oder „Drehungen: Selbstbewusstsein – Selbstbehauptung – Selbstverteidigung“ steht der Veranstaltungsraum zur Verfügung. Die derzeit 14 hier arbeitenden Beraterinnen (rund 8 vollzeitäquivalent) und die Referentinnen sind Fachfrauen in ihren Themen wie Verhütung oder Wechseljahre, Brustgesundheit, Gebärmuttergesundheit, Menstruation, Pränataldiagnostik. Die Gesundheitsinformationen, die sie geben, sollen nicht nur evidenzbasiert, sondern auch verständlich und im Alltag umsetzbar und nützlich sein.

Dr. Felice Gallé Frauengesundheitszentrum in Graz
Dr. Felice Gallé
Frauengesundheitszentrum in Graz

Informiert wird immer über den Nutzen und möglichen Schaden einer Untersuchung oder Intervention. Beispiel Mammographie-Screening: Zum besseren Verständnis arbeitet die Beraterin mit grafischen Darstellungen, etwa Faktenboxen des Harding Centers für Risiko-Kommunikation. Gibt es keine verlässlichen Daten zu einer Frage, werden die Frauen auch darüber informiert. Die Beraterinnen sagen ihnen nicht, was sie tun sollen, sondern begleiten sie dabei, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen. „Wir sind in der Gesundheitsförderung und Beratung tätig, nicht in der medizinischen Versorgung“, erklärt Gallé den Unterschied zu ärztlichen (Gruppen-)Praxen. „Wir stellen keine Diagnosen und verordnen keine Therapien. Wir bieten den Frauen vielmehr Begleitung und Stärkung auf ihrem Weg: nach einer Diagnose, beim Selbstmanagement. Gemäß einem ganzheitlichen Gesundheitsbegriff haben unsere Beraterinnen daher vielfältige Faktoren im Blick, die Einfluss auf die Gesundheit nehmen.“ (siehe Grafik, Anm.)

Zusammenarbeit mit Ärzten

Das Frauengesundheitszentrum versteht sich in diesem Sinne als Ergänzung zum ärztlichen Angebot. Es arbeitet auch mit Ärztinnen und Ärzten zusammen, etwa durch wechselseitige Weiterverweise, Vernetzung, Einladung von Ärztinnen als Referentinnen. „Gynäkologinnen etwa empfehlen ihren Patientinnen, unsere Vorbereitungskurse für Schwangere zu besuchen“, erzählt Gallé. „Bekannt ist auch, dass unsere Psychotherapeutinnen große Expertise zum Thema Essprobleme haben. Ein Vorteil, den Ärztinnen und Ärzte schätzen, ist zudem, dass unsere Mitarbeiterinnen Erfahrung und Expertise im Umgang mit sozial benachteiligten Frauen und Mädchen haben sowie mit Frauen aus unterschiedlichen Kulturen. Auch dass viele Angebote der Gesundheitsförderung und der Steigerung der Gesundheitskompetenz dienen, wissen die Ärzte zu schätzen.“

In den Anfangsjahren hatte im Frauengesundheitszentrum noch eine Gynäkologin ordiniert. Da es mittlerweile genügend Ärztinnen mit Kassenvertrag in Graz gebe, sei das nicht mehr notwendig. Mitarbeiterinnen des Frauengesundheitszentrums halten auch Workshops in Schulklassen oder Migrantinnen- Einrichtungen. Darüber hinaus werden Fortbildungen für Fachleute im Gesundheits-, Sozial- und Bildungsbereich angeboten, etwa zur Förderung der Mädchengesundheit für Pädagoginnen oder zum Umgang mit Frauen mit Gewalterfahrungen in Ambulanzen und Ordinationen. Hinzu kommen Projekte in sozial benachteiligten Stadtteilen und Regionen der Steiermark. Gallé: „Uns ist es wichtig, Strukturveränderungen für gerechtere Gesundheitschancen für Frauen anzuregen.“

Notwendigkeit noch heute?

Anfragen von Pädagogen oder Ärzten kommen oft nach Anlass, z.B. bei Verdacht auf Magersucht, Selbstverletzung oder Mobbing. „Durch die sozialen Medien hat der Druck auf Mädchen und Frauen weiter zugenommen, dem derzeitigen Schönheitsideal jung, dünn, sportlich zu entsprechen“, gibt Gallé zu bedenken. Auch die Medikalisierung von Lebensphasen von Frauen – Pubertät, Schwangerschaft, Wechseljahre – sei eher stärker geworden. Deshalb brauche es die Frauengesundheitsbewegung mehr denn je. Aktuell herrsche beispielsweise ein „Scheinwissen“ unter Schülerinnen über Zyklus, Sexualität und Verhütung, weiß Gallé. Durch Informationen aus dem Internet, oft weitergegeben von anderen Jugendlichen, würden sich die meisten Mädchen (und Burschen) gut informiert fühlen. Tatsächlich hätten sie aber ein bruchstückhaftes, oft auch falsches Wissen: „Nur die wenigsten Mädchen wissen über ihre Klitoris, ihr Lustorgan, Bescheid. Dies ist kein Wunder, wird sie doch selbst in Lehrbüchern noch häufig nicht oder zu klein dargestellt.“

Die Frauengesundheitsbewegung ermutigt Frauen und Mädchen auch, zu ihren „Busenfreundinnen“ zu werden. „Im öffentlichen Bewusstsein kommen die Brüste von Frauen eher als Lustobjekt der Männer vor. Aber auch als angeblich zu klein oder zu groß, als Zeichen für Mütterlichkeit und als Organ, in dem eine lebensbedrohliche Krankheit lauern kann“, erläutert Gallé. „Eine Folge ist, dass viele Mädchen und Frauen ihre Brust mit Angst und Unzufriedenheit wahrnehmen. Das nützt dem Geschäft mit Schönheitsoperationen, schadet aber der Gesundheit.“ Frauengesundheitszentren stärken Frauen deshalb in ihrem selbstbewussten und selbstbestimmten Umgang mit ihrer Körperlichkeit. Gallé: „Frauen berichten uns, dass es ihnen sehr viel bedeutet, bei Ärztinnen und Ärzten ebenfalls diesen Zugang zu erleben.“ Abschließend betont die Expertin: 25 Jahre Arbeit im Frauengesundheitszentrum waren 25 Jahre voller Begegnungen. „Es ist großartig, wie die Mädchen und Frauen, die wir bei unserer Arbeit kennenlernen und ein Stück begleiten dürfen, ihr Leben meistern – trotz aller Hürden!“, zieht sie Bilanz. Deshalb werde man dranbleiben: beharrlich, sachlich, wenn es um Fakten geht, und leidenschaftlich, wenn es darum geht, Frauen und ihren gesundheitlichen Interessen eine Stimme zu verleihen.

* https://oepgk.at/die-oepgk/schwerpunkte/gute-gesundheitsinformation-oe/

Praxis-Steckbrief

Frauengesundheitszentrum
Joanneumring 3, 8010 Graz Tel. +43/316/837998, www.frauengesundheitszentrum.eu

Öffnungszeiten: Mo, Di, Mi, Fr 9–13 Uhr, Do 15–19 Uhr
Auch E-Mail- und anonyme Beratungen sind möglich.

Frauengesundheitszentren in Österreich
Die sieben Frauengesundheitszentren in Österreich (zwei in Wien, Graz, Salzburg, Villach, Linz, Wels) sind eigenständige Vereine, die jedoch Ziele und Werte teilen und sich 1995 zu einem Netzwerk zusammengeschlossen haben und mit einer gemeinsamen Website mit Links zu den Zentren: www.frauengesundheit.at

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune