24. Juni 2017

Dr. Stelzl: Wenn der letzte Kassenarzt den Hut nimmt

Ich krieche wieder mal am Zahnfleisch durch die Ordination. Es ist nichts Unübliches passiert. Nur der ganz normale Praxiswahnsinn. Zu viele Patienten mit zu vielen unerfüllbaren Wünschen. Dazu viel zu viele eigene Sorgen und durchwachte Nächte. Schmerzen im Genick und in den Schultern versuchen mir klarzumachen, dass ich mir viel zu viel auflade. (Psychosomatik für Anfänger.)

„Leiser treten!“, hämmert der Tinnitus ins linke Ohr. Da ich ja nicht ganz begriffsstutzig bin und auch nicht den Wunsch habe, vor lauter Pflichtbewusstsein zu früh einzugehen, weise ich die Beste aller Assistentinnen an, heute nur mehr Notfälle dazuzunehmen. Und in der nächsten Zeit auf keinen Fall irgendwelche neuen Patienten zu akzeptieren. „Die eigenen Bedürfnisse wahrnehmen, Grenzen setzen, Work-Life-Balance finden.“ (Berufscoaching für Anfänger.) Wie wahrscheinlich nicht allzu schwer zu erraten war, ist der Wunsch nach weniger Arbeit nicht in Erfüllung gegangen. Auch der Wunsch, im Moment keine neuen Patienten dazuzunehmen, nicht. Denn schon wieder hat eine Kollegin überraschend das Handtuch geworfen und ihren Patienten unter anderem mich als tolle neue Hausärztin vorgeschlagen. Na ja, und was tut man mit Menschen, die mit hoffnungsvollem Blick und bösen Schmerzen oder Infekten in der Türe stehen?

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Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune