Diabetes: Pädagogen müssen nachsitzen

Die schulische Integration kranker Kinder ist schwierig. Doch jetzt bewegt sich etwas: Ein deutsches Pilotptojekt weist den Weg, das Schulautonomiepaket schürt Hoffnung und im Parlament wird immerhin geredet. (Medical Tribune 19/2017)

Das Problem liegt auf der Hand und es wird nicht kleiner. Im Gegenteil: Die Zahl der Kinder mit Diabetes steigt, ebenso ihre Anwesenheitsdauer in Schulen, die mit der Zahl der Ganztagsschulen zunimmt. Umso wichtiger wird der Umgang mit den erkrankten Kindern im Schulbetrieb. Dort ist man darauf allerdings nicht vorbereitet. „Ich glaube, dass es in Österreich für chronische Krankheiten zu wenig Schulungen oder Materialien gibt, wie man als Lehrkraft mit diesen Dingen umgehen sollte“, erklärt Mag. Herbert Weiß, der Vorsitzende der AHS-Gewerkschaft, auf Anfrage der Medical Tribune: „Ich persönlich hätte das Prob­lem, dass ich nicht sicher bin, ob ich überhaupt jemandem eine Spritze ordentlich verabreichen kann.“

Deutsches Modell

Die Betreuung chronisch kranker Kinder ist komplexer, als viele glauben.
Die Betreuung chronisch kranker Kinder
ist komplexer, als viele glauben.

Ein Modellprojekt ist vor Kurzem in Rheinland-Pfalz angelaufen. Dort können sich Lehrkräfte regelmäßig für den Umgang mit diabetischen Kindern fortbilden lassen. Es soll Ba­siswissen vermittelt werden, damit Kinder, die an Dia­betes Typ 1 leiden, genau­so am Schulleben teilhaben können wie gesun­de Kinder. An dem Projekt beteiligt sind neben dem Bildungsministerium der Diabetes-Kinderhilfeverein, Ärzte, Diabetesberater und Hersteller von Hilfs­mitteln. Qualifizierte Diabetesteams erteilen praxisnahe Schulungen. Ziel ist es, Lehrkräften Unsicherheiten oder gar Ängste zu nehmen.

In Österreich wären ähnliche Bestrebungen sinnvoll. Dies, zumal die Diabetesstrategie ja vorsieht, die Integration von Betroffenen zu fördern. „Die Situation ist nach wie vor schwierig“, sagt jedoch Dr. Elke Fröhlich-Reiterer von der Med Uni Graz. Jedes Jahr erkranken in Österreich rund 300 Kinder unter 15 Jahren an Diabetes mellitus Typ 1. 4000 Kinder unter 18 Jahren sind von der Autoimmunerkrankung betroffen. Die Zahl der Neuerkrankungen hat sich in knapp 20 Jahren verdoppelt. „Wir sind nicht vorbereitet“, meint Dr. Lilly Damm vom Zentrum für Public Health der MedUni Wien. Dabei wäre es höchste Zeit, „die schöne Theorie der Hochglanzbroschüren auf den Alltag der Kinder herunterzubrechen“.

Insgesamt gibt es hierzulande rund 190.000 chronisch kranke Kinder. Deren Familien und Pädagogen dürfen jetzt aber etwas Hoffnung schöpfen: Die Bürgerinitiative „Gleiche Rechte für chronisch kranke Kinder“ hat es vor Kurzem nach vier Jahren geschafft, zu einer Anhörung ins Parlament geladen zu werden. Damm äußert sich bescheiden optimistisch: „Bei aller realistischen Einschätzung nach knapp zehn Jahren Lobby-Arbeit für die chronisch kranken Kinder in Österreich habe ich den Eindruck, dass man nun zumindest weiß, wovon die Rede ist.“ Zudem verleiht sie der Hoffnung Ausdruck, dass sich die Rechtssituation für Lehrer bald ändert. Bisher haben Lehrer, die kranke Kinder bei ihrer Behandlung unterstützen, oft im rechtlichen Graubereich agiert.

Lehrer können, wie Gewerkschafter Weiß erklärt, selbst wenn sie mit dem Einverständnis der Eltern handeln, haftbar gemacht werden, falls im Zuge der Verabreichung von Medikamenten „irgendetwas passieren sollte“. Aus dem Gesundheitsministerium heißt es nun: „Ein derzeit in parlamentarischer Behandlung befindlicher Begutachtungsentwurf für ein Bildungsreformgesetz sieht auch rechtliche Regelungen vor, die eine Unterstützung chronisch kranker Kinder durch LehrerInnen ermöglichen.“ Im Schulautonomiepaket ist festgehalten, dass bei der Behandlung kranker Schüler generell die Amtshaftung des Bundes greift, die medizinische Tätigkeit gilt nämlich als Ausübung einer Dienstpflicht.

Ping-Pong-Spiele

Positiv ist laut Damm auch eine geplante Verordnungsermächtigung des Gesundheitsministeriums an die Schulen. Allerdings müsste das Ministerium dann auch zahlen. Und da liegt ein Problem: „Seit Jahren wird zwischen Bildungs- und Gesundheitsministerium Ping-Pong gespielt“, kritisiert Damm. Von Seiten des Gesundheitsministeriums betont man freilich auf Anfrage der MT genau das Gegenteil: dass man mit dem „primär zuständigen Bildungsministerium“ gut zusammenarbeite.

Sinnvoll wäre zudem eine Unterstützung durch medizinisches Fachpersonal an den Schulen, das würde aber ebenfalls Geld kosten. „Das müsste nach meinem Verständnis aus dem Gesundheitsbudget kommen“, sagt Lehrervertreter Weiß. Er wünscht sich neben Schulungen „eine Art Leitfaden, in dem man zwischendurch nachschauen kann“. Damm nimmt indes die Lehrer in die Pflicht: „Das Thema wird oft unterschätzt, Fortbildung abgelehnt. Das Spritzen ist aber nicht das Problem, das machen Kinder selbst. Es geht um Supervision, auch darum, Ernährung und Bewegung zu kontrollieren.“ Die Ärztin plädiert dafür, dass schon bei der Lehrer-Ausbildung angesetzt wird.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune