23. Apr. 2014

“Tote zählen ist zu oberflächlich”

WIEN – Sollen sich Gesundheitseinrichtungen einem Wettbewerb um die beste Qualität stellen? Wie kann man Qualität sinnvoll abbilden? Und was wollen die Patienten? Diese Fragen wurden im Rahmen einer Podiumsdiskussion beim 6. Österreichischen Gesundheitswirtschaftskongress erörtert.

„Der Patientenwunsch, der in den letzten Jahren am deutlichsten zutage kommt, ist der Wunsch nach Information“, sagte Dr. Heinz Brock, MBA, MPH, Ärztlicher Direktor und Geschäftsführer des AKH Linz. Patienten würden dem System nicht mehr blind vertrauen, sondern verlangten nach Information über Anbieter im Gesundheitswesen, beispielsweise Daten über Ergebnisse, Häufigkeiten von Therapien oder Wartezeiten. Er verwies auf deutsche Informationsportale wie http://www.weisse-liste.de oder www.qualitaetskliniken.de und plädierte für mehr Transparenz auch hierzulande: „Das Anbieten von Informationssystemen ist der Schlüssel, um den Patienten einzubeziehen und den Wettbewerb um bestmögliche Qualität auszulösen.“

Grundsätzlich skeptisch gegenüber Markt-Begrifflichkeit im Gesundheitswesen zeigte sich Dr. Karl Forstner, Erster Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Präsident der Ärztekammer Salzburg. Der Patient sollte zwar die Chance bekommen, Gesundheitseinrichtungen vergleichen zu können, aber letztlich sei es Aufgabe des Systems und der Politik, Qualitätsunterschiede gar nicht zuzulassen, so Dr. Forstner: Informationssysteme sollten nicht dazu dienen, in einen Wettbewerb und eine Marktsituation einzusteigen, sondern um „voneinander zu lernen und miteinander besser zu werden“.

Ähnlich argumentierte Prof. Dr. Helmut Ivansits, Leiter der Abteilung Sozialversicherung und Gesundheitspolitik der Arbeiterkammer Wien. Er sprach sich zwar für Qualitätsmessung aus, sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich, aber entschieden dagegen, mithilfe eines transparenten Spitalsinformationssystems einen Wettbewerb über die Patienten auszutragen: „Wenn es in Spitälern, an denen ein Bedarf besteht, zu Fehlentwicklungen kommt, muss man rasch reagieren und nicht erst, wenn die Patienten in andere Spitäler strömen.“

A-IQI: „Was wollen wir damit bezwecken?“

Wie schwer es ist, Ergebnisqualität sinnvoll zu messen, wurde am Beispiel A-IQI (Austrian Inpatient Quality Indicators) erörtert, dem Projekt der Bundesgesundheitsagentur zur bundesweit einheitlichen Messung von Ergebnisqualität im Krankenhaus. „Wir hatten in einer unserer Abteilungen im Krankenanstaltenverbund eine rote Ampel und haben dementsprechend ein Peer-Review durchgeführt“, berichtete Dr. Michael Spalek, Leiter des Geschäftsbereichs Qualitätsmanagement im Wiener Krankenanstaltenverbund. Das Ergebnis des Peer-Reviews sei ein römischer Einser gewesen, alle drei Reviewer hätten die Abteilung in den höchsten Tönen gelobt.

„Wenn wir nun dieses Ergebnis transparent machen: ,Diese Abteilung hat eine rote Ampel‘, was wollen wir damit bezwecken?“, so Dr. Spalek. Kennzahlen seien Indikatoren, keine Äquivalente von Qualität, sagte Dr. Brock: „Wenn wir mit A-IQI hauptsächlich Tote zählen, dann haben wir nur einen sehr oberflächlichen Qualitätsraster.“ Vielmehr müssen „patientenrelevante Kennzahlen erarbeitet, getestet und eingeführt werden“. Dennoch leiste A-IQI einen wichtigen Beitrag, denn im Rahmen der Peer- Reviews beschäftige man sich mit organisatorischen Strukturen und Prozessen: „Dadurch entsteht so etwas wie eine Qualitätskultur. Und erst wenn wir die haben, sind wir bereit, auch als Gesundheitsdienstleister Vergleiche zuzulassen“, so Dr. Brock.

Schaffung einer Qualitätskultur bedeute nicht zuletzt Schaffung einer Fehlerkultur, betonte KommR Mag. Julian M. Hadschieff, Mitbegründer und CEO der Premi- QaMed Group, Marktführer im Bereich Privatkliniken in Österreich. Es gehe um einen Kulturwandel und darum, den Mitarbeitern beizubringen, einen Fehler nicht unter den Teppich zu kehren, sondern zu versuchen, ihn künftig zu verhindern.

Qualität nicht nur in den Spitälern messen

„Die Qualitätsdiskussion hat sich im Spitalssektor entwickelt und ist mehr oder weniger dort hängengeblieben“, sagte Dr. Susanne Herbek, Geschäftsführerin der ELGA GmbH. Wenn Patienten Qualität bewerten und als Entscheidungskriterium heranziehen sollen, so brauche man diese Transparenz nicht nur für die Spitäler, sondern auch im niedergelassenen Bereich, in der Pflege und in der Rehabilitation: „Ich appelliere an alle Beteiligten, allen Sektoren die gleichen Transparenzbemühungen zukommen zu lassen“, so Dr. Herbek.

Genau das, nämlich Ergebnisqualität sowohl im intramuralen als auch im extramuralen Bereich sowie sektorenübergreifend zu messen, sei ein zentrales Anliegen der Gesundheitsreform, erklärte Eva-Maria Kernstock, MPH vom Bundesinstitut für Qualität im Gesundheitswesen: „Daran wird gearbeitet, und wir werden eine Lösung finden.“ Kritisiert wurde in diesem Zusammenhang das Qualitätszertifikat der Österreichischen Ärztekammer. Patienten würden in der irrigen Gewissheit gewiegt, man hätte umfassend Qualität geprüft, dabei beschränke man sich auf Dinge wie Brandschutz, Hygiene, Öffnungszeiten und Barrierefreiheit, monierte die Wiener Pflege- und Patientenanwältin Dr. Sigrid Pilz.

ÖÄK-Vizepräsident Dr. Forstner bestand in der Replik darauf, dass Qualitätssicherung im niedergelassenen Bereich Aufgabe der ärztlichen Selbstverwaltung ist. Sie sei allerdings als Prozess zu sehen, so Dr. Forstner: „Das, was heute ihr Umfang ist, steht grundsätzlich zur Diskussion. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass sich das weiterentwickeln wird.“

Podiumsdiskussion „Wettbewerb um beste Qualität: Was wollen die Patienten?“ 6. Österreichischer Gesundheitswirtschaftskongress; Wien, März 2014

Erster Bericht zu A-IQI A-IQI (Austrian Inpatient Quality Indicators) ist ein Projekt der Bundesgesundheitsagentur zur bundesweit einheitlichen Messung von Ergebnisqualität im Krankenhaus. Im November 2013 veröffentlichte das Gesundheitsministerium den ersten Bericht über die Erfahrungen und Ergebnisse der seit 2011 laufenden Probephase von A-IQI.

>> Bericht an die Bundes-Zielsteuerungskommission über die Einführungsphase des A-IQI-Projektes, November 2013

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune