Impftag: Skeptiker überzeugen, Durchimpfungsraten steigern
Seit Jahrzehnten wird um höhere Durchimpfungsraten gerungen – bei Weitem nicht mit dem gewünschten Erfolg, wie Univ.-Prof. Dr. Ursula Wiedermann-Schmidt, Leiterin des Instituts für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der MedUni Wien, anlässlich einer Pressekonferenz zum Österreichischen Impftag 2020 klarmacht. Laut WHO müssten 95% der Bevölkerung beide Masernimpfungen haben, um die Krankheit zu eliminieren. Bei den 2- bis 5-Jährigen werden bei der ersten Impfung diese 95% zwar fast erreicht, bei der zweiten Impfung sinkt die Rate jedoch auf 81%. Von den 15- bis 30-Jährigen verfügen nur knapp 70% über den kompletten Impfschutz. „Dadurch wird die hochinfektiöse Erkrankung am Leben gehalten, und Kleinkinder, schwächere und ältere Personen sowie Immunsupprimierte werden gefährdet“, warnt die wissenschaftliche Leiterin des Impftags. „Der Herdenschutz funktioniert nicht mehr.“
Verschmähte Grippeimpfung
Als „ganz dramatisch“ bezeichnet sie die Situation bei der Grippeimpfung: „Hier liegt die Durchimpfungsrate in Österreich unter 10%. Es ist aber bekannt, dass hunderte Todesfälle pro Jahr die Folgen einer Influenza-Erkrankung sind.“ Allerdings spielt das Gesundheitspersonal nicht immer mit, weder was die Aufklärung noch was die Vorbildwirkung betrifft. Die bislang nur empfohlenen Impfungen für das Gesundheitspersonal sollen daher unter gesetzlicher Vorgabe verpflichtend werden. Eine entsprechende Stellungnahme sei vom Obersten Sanitätsrat bereits einstimmig beschlossen worden und werde der künftigen Regierung vorlegt.
„Die verpflichtenden indizierten Impfungen sollen nicht nur bei Eintritt in den Gesundheitsbereich erfolgen, sondern auch alle Personen betreffen, die bereits im Gesundheitswesen tätig sind und wiederholt Auffrischungsimpfungen benötigen“, ergänzt Wiedermann-Schmidt.
Mutter-Kind-Pass als Steuerungsinstrument
Für Dr. Rudolf Schmitzberger, Leiter des Impfreferates der Österreichischen Ärztekammer ist klar, dass es ein umfassendes Maßnahmenpaket braucht, um die Durchimpfungsraten v.a. der Masern-Mumps-Röteln-Impfung zu erhöhen – inklusive Impfpflicht: „Nichtimpfen muss unbequem werden.“ Vorstellbar sei eine Koppelung an den Mutter-Kind-Pass, sodass Eltern, die keine Impfungen gemäß Gratiskonzept bis zum 16. Lebensmonat ihres Sprösslings nachweisen können, z.B. nur das halbe Kinderbetreuungsgeld erhalten würden. Vor dem Eintritt in den Kindergarten müsste die Immunität entweder durch die Impfung oder die durchgemachte Erkrankung nachgewiesen werden.
Eltern, die Impfungen gegenüber skeptisch sind, sollen durch positive Kommunikationsstrategien überzeugt werden: „Zum Grundrecht auf bestmögliche Gesundheit gehört auch das Recht, durch Schutzimpfungen vor impfpräventablen Erkrankungen geschützt zu sein.“ Wichtig sei allerdings, dass die zeitintensive Aufklärung honoriert werde: „Es ist nicht mehr zu akzeptieren, dass die Honorierung für die Mutter-Kind-Pass-Untersuchung seit Jahren nicht valorisiert wurde.“
Elektronischer Impfpass
Eine Verbesserung der Impfsituation und Dokumentation in Österreich erwartet sich Wiedermann-Schmidt vom elektronischen Impfpass, der eine Erinnerungsfunktion für die Patienten beinhalten soll. Im Zuge der Implementierung soll ein Impfregister entstehen, das Impflücken in der Bevölkerung aufzeigen kann und somit den Anstoß für gezielte Impfprogramme geben kann.
Wie etwa bei der Pertussis. Denn da sind die Fallzahlen bei Kleinkindern seit Jahren im Steigen begriffen. 2.000 5- bis 9-Jährige erkranken jedes Jahr. Bei Patienten ab 30 Jahren fällt anhand der Erkrankungen auf, dass häufig auf die Auffrischung vergessen wird. Hier erhofft sich Wiedermann-Schmidt vom elektronischen Impfpass eine Trendwende.
„Mit dem e-Impfpass lassen sich in Zukunft erfolgte Impfungen in übersichtlicher Form dokumentieren und abrufen. Anstehende Impfungen können besser geplant werden“, ist Mag. pharm. Dr. Gerhard Kobinger, Präsidiumsmitglied der Österreichischen Apothekerkammer, überzeugt. „Darüber hinaus ist der e-Impfpass ein zentrales Werkzeug und bietet in der Apotheke die Möglichkeit zur Impfmotivation und damit zur Erhöhung der Durchimpfungsraten in der Bevölkerung und führt dadurch zu einer besseren Prävention gegen Infektionskrankheiten.“
Somit stelle die umfassende Nutzung des e-Impfpasses auch für die Apothekerschaft einen wesentlichen Beitrag dar, die „kostengünstigste und effektivste Vorsorgemaßnahme, die die Wissenschaft kennt“ zu unterstützen. „Denn Vorsorgen ist immer günstiger als Heilen.“ Die Pilotphase soll 2020 starten, bis 2022 könnte die flächendeckende Einführung erfolgen.
Der Impftag 2020 findet am 18. Jänner 2020 in Wien statt. Das Motto lautet „Impfen: Alltags- und Ausnahmesituationen“ und richtet sich an Ärzte und Apotheker in Österreich. Traditionell wird dabei der neue Impfplan vorgestellt. Im Zuge dessen werden Probleme und Strategien der Umsetzung der Empfehlungen diskutiert.
Ein Themenblock widmet sich daher dem heißen Eisen die Impfpflicht sowie die europäischen Positionen dazu. Erwartet werden u.a. Prof. Dr. Thomas Mertens, Vorsitzender der ständigen Impfkommission (STIKO) in Deutschland, und Dr. Helena Maltezou vom Helenic Center of Disease Control in Griechenland, die diese Frage auch für die EU bearbeitet.
Um Impffaule und Impfskeptiker vom Sinn des Impfens zu überzeugen, werden Kommunikations-Workshops angeboten. Weiters wird es einen Lagebericht und einen Ausblick auf die Umsetzung des elektronischen Impfpasses geben. Abgerundet wird der Impftag durch Informationen über spezielle Patientengruppen wie MS-, Rheuma- oder Krebspatienten.