11. Nov. 2019Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK)

Bernhard Wurzer: „Am 1. Jänner muss alles funktionieren“

Neun Gebietskrankenkassen werden zu einer Gesundheitskasse fusioniert. Deren Generaldirektor Bernhard Wurzer erklärt, was Ärzte zu erwarten haben. (Medical Tribune 46/19)

Die Rechnung der letzten Bundesregierung zur Kassenreform klang einfach: Man legt 21 Sozialversicherungsträger auf fünf zusammen und spart dadurch eine Milliarde, die den Patienten zugute kommen soll. Diese Zahl wird immer wieder angezweifelt. Mit welchen Effekten rechnen Sie selbst?

Wurzer: Die Zahl der kursierenden externen Studien ist mittlerweile tatsächlich so groß, dass man leicht den Überblick verlieren kann. Ähnlich ist es auch mit den internen Anforderungen. Losgelöst von politischen Diskussionen, haben wir für die zahlreichen Herausforderungen ein Umsetzungsprogramm erarbeitet, das sich konsequent am Kundennutzen orientiert. Das primäre Ziel: Am 1. Jänner muss für Dienstgeber, Versicherte und Vertragspartner alles funktionieren.

Das klingt noch nicht nach der großen Verbesserung, die in Aussicht gestellt wurde …

Wurzer: Weil die Herausforderung auch alles andere als trivial ist. Bei einer Fusion dieser Größenordnung tauchen unzählige Fragen auf, die man lösen muss. Daran arbeiten wir mit über 600 Mitarbeitern in 62 Projekten.

Aber welche konkrete Ersparnis steht dann am Ende des Prozesses?

Wurzer: Auf jede konkrete Zahl, die ich sage, werde ich festgenagelt. Fest steht, dass es große Einsparungsmöglichkeiten gibt. Wir haben bereits eine Organisationsstruktur aufgebaut, mit der man die Kasse österreichweit steuern kann. Es wird möglich sein, die internen Abläufe so zu harmonisieren, dass die Verwaltungskosten sinken und sich die Qualität steigert. Wir wollen günstiger werden und für die Wirtschaft und die Vertragspartner ein fairer und moderner Partner sein.

Wo liegt das größte Einsparungspotenzial?

Wurzer: In zwei Bereichen: bei internen Abläufen und Prozessen. Der Vorteil der ÖGK liegt darin, dass man nicht alles neunmal machen muss. Zudem können wir jetzt gute Lösungen aus manchen Bundesländern einfach auf die anderen übertragen.

Gibt es in Österreich den von der Ärztekammer beklagten Ärztemangel und wenn ja: Warum und was kann die ÖGK beitragen, diesen zu beheben?

Wurzer: Was die reine Anzahl von Ärztinnen und Ärzten in Österreich betrifft, so sind wir im europäischen Spitzenfeld. Insofern ist der Begriff Mangel auch falsch. Was wir haben, ist ein Verteilungsproblem, weil bestimmte Regionen nicht so attraktiv sind. Dazu kommt, dass junge Ärztinnen und Ärzte den Weg in die Freiberuflichkeit scheuen. Wir brauchen daher viele Ansätze, neue Versorgungsformen, Zusammenarbeitsmodelle, Stipendiensysteme usw., um Anreize zu schaffen.

Es gibt in Österreich schon mehr Wahlärzte als Kassenärzte. Finden Sie das als Interessensvertreter der Patienten/Versicherten eine gute Entwicklung, wenn diese privat zahlen müssen? Wie können Kassenstellen wieder attraktiver werden?

Wurzer: Man muss bei der Beurteilung vorsichtig sein. Derzeit sind etwa 7% der abgerechneten Honorarsumme Wahlarztkostenerstattungen. Zwar ist in den vergangenen Jahren die Zahl der Wahlarztordinationen gestiegen, das hängt aber auch mit dem Ärztearbeitszeitgesetz zusammen. Die reine Anzahl an Wahlärzten hat zudem eine sehr begrenzte Aussagekraft, da es auf die tatsächliche Versorgungswirksamkeit ankommt. Die Daten zeigen, dass Wahlärzte nur zu einem sehr geringen Teil versorgungswirksam und damit größtenteils nicht mit Vertragsärzten vergleichbar sind. Wenn wir die Versorgungswirksamkeit von Wahlärzten an der gesamten ambulanten Versorgung betrachten, so liegt deren Anteil bei rund 5,2%. Wir wissen aus Befragungen, was die Hauptmotive sind. Warum geht jemand zum Wahlarzt? Weniger Wartezeiten, schöneres Ambiente, mehr Zeit. Wir haben aber auch in einigen Fachgebieten ein Thema, wie etwa bei der Gynäkologie. Dort sind viele Vertragsärzte männlich und wir müssen uns fragen, warum es nicht gelingt, die Vertragsordinationen so zu organisieren, dass der Vertragsarzt wieder attraktiv wird. Das bedarf einer Anstrengung auf beiden Seiten.

Die Regelungen zum ärztlichen Bereitschaftsdienst sind ein Fleckerlteppich. In manchen Bundesländern freiwillig, in anderen nicht, in manchen Pauschalen, in anderen Einzelleistungen, über die Gesundheitshotline 1450 disponiert oder davon unabhängig. Wollen Sie ein einheitliches System urgieren?

Wurzer: Ja, das wäre wirklich wünschenswert. Das liegt aber in der Zuständigkeit der Länder.

Die vielleicht wichtigste Frage für Ärzte: Wie steht die ÖGK zu den Landesärztekammern und zur ÖÄK und wer führt mit wem in Zukunft Honorarverhandlungen? Können sich Ärzte darauf verlassen, dass sie Anfang 2020 ihre Honorare bekommen?

Wurzer: Zum Wichtigsten: Für unsere Vertragsärzte ändert sich mit 1. Jänner 2020 nichts. Abrechnung und Anweisung der Honorare erfolgen in der gleichen Art und Weise wie bisher. Alles geht ganz reibungslos auf die ÖGK über. Zu den Honorarverhandlungen ist Folgendes zu sagen: Diese erfolgen laut Gesetz länderweise. Da jedoch die ÖGK ein bundesweiter Träger ist und auch bundesweit die Gesamtverantwortung trägt, wird es gemeinsame strategische Vorgaben und Zielsetzungen geben müssen, damit die Versicherten vom Bodensee bis zum Neusiedlersee die gleichen Angebote und Leistungen zur Verfügung haben.

Und was bringt die Zusammenlegung den Patienten?

Wurzer: Gleiche Leistungen für alle Versicherten.

Auch gleich gute?

Wurzer: Wir sind gerade dabei, die Leistungsharmonisierung mit diesem Anspruch voranzutreiben. Doch man muss natürlich etwa bei Leistungen, die es nur in manchen Bundesländern gibt, aus Kostengründen abwägen.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune