5. Nov. 2019Strahlungsbelastung

Wie gefährlich ist das 5G-Netz?

5G Sendemast
gettyimages.com/Bill Oxford

Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Die Diskussionen um Schädigungspotenzial von Handy-Strahlung sollten sicherheitshalber ernst genommen werden. MT sprach mit dem Experten Dr. Klaus Schiessl auch darüber, ob das vieldiskutierte 5G-Netz neue Gesundheitsrisiken mit sich bringen wird. (Medical Tribune 45/19)

Wird durch das neue 5G­-Netz die Strahlungsexposition z.B. in Wohngebieten größer?

„Dort, wo der Nutzer eine hohe Bandbreite braucht, kann es zu etwas höheren Belastungen kommen, aber für Leute, die den Strahl nicht brauchen, auch zu geringeren Belastungen.“

Schiessl: Tendenziell wird die Strahlungsbelastung nicht massiv steigen. Es ist aber natürlich schon so: Je mehr Funkdienste aktiv sind und je mehr Sendeanlagen gebaut werden, wird das im Mittel zu einem Ansteigen der Strahlungsbelastung führen. Speziell beim 5G-Netz werden zumindest mittel- bis langfristig im innerstädtischen Bereich mehr Antennen-Anlagen gebaut werden, um hier mit sog. Small Cells (Funkbasisstationen, Anm.) eine höhere Versorgung mit höheren Bandbreiten zu ermöglichen. Allerdings kommt bei der 5G-Technologie dazu, dass diese Antennen sehr dynamisch sein werden: Bislang wird oft ein Gebiet mit einem relativ breiten Strahl konstant versorgt, der von der Antenne kommt.

Künftig wird dieser Strahl deutlich schmäler, aber hochvariabel sein. Er versorgt dann vielleicht nur einen Nutzer, und wenn dieser Strahl nicht mehr gebraucht wird, wird er abgeschaltet oder zu einem anderen Nutzer gedreht. Insofern kann es dort, wo der Nutzer eine hohe Bandbreite braucht, zu etwas höheren Belastungen kommen, aber im Mittel für Leute, die den Strahl nicht brauchen, durchaus auch zu geringeren Belastungen, weil sie eben aus der Strahlung „herausgedreht“ werden. Es wird in der Folge noch zu zeigen sein, ob in Abhängigkeit von Nutzung und Netzausbau die Belastung im Mittel etwas steigt oder vielleicht sogar fällt.

Die aktuelle Studienlage zeigt einerseits die Gentoxizität von Handy­Strahlung auf, andererseits belegt sie Reparaturmechanismen. Wo liegt nun die Wahrheit?

Schiessl: Das ist natürlich eine schwierige Frage, weil Wissenschaft generell sehr kompliziert sein kann und klare, einfache Aussagen, die viele gern hätten, nicht immer möglich sind. Man muss zwangsläufig mit einer gewissen Restunsicherheit leben. Aber es ist gleichzeitig auch erwiesen, dass keine große Gesundheitsgefährdung vorliegt, sonst hätte man schon längst mehr Erkenntnisse (bzgl. Schädigungspotenzials, Anm.) gewonnen, weil doch die Forschung bereits seit Jahrzehnten läuft. Zur Beurteilung der athermischen Wirkungen und DNA-Brüche, die man in den Studien gefunden hat: Wir sind da natürlich auf unsere Partner im medizinischen Bereich angewiesen. Seitens der beteiligten Mediziner war aber der Tenor, dass einzelne aufgetretene DNA-Schäden nicht als gesundheitlicher Effekt zu deuten sind, der wirklich ein Schaden wäre, weil derartiges durch andere Einwirkungen auf den Körper oder oft auch spontan passieren kann.

Aus Ihrer Wahrnehmung gibt es keine Hinweise darauf, dass längerfristig wirksame DNA­Schäden auftreten können?

Schiessl: Nein, klare Hinweise gibt es da noch nicht. Aber dass in den fundierten Studien physiologisch wirksame Vorgänge gefunden wurden, dass im Organismus etwas passiert – das ist für uns schon erwiesen, nachdem wir die ATHEM-2-Studie1 ja mit viel Energie und Geld durchgeführt haben. Die Frage ist, wie das zu bewerten ist, und hier möchten wir dranbleiben. Bis jetzt ist noch keine genaue, unmittelbare Gefährdung bekannt. Die aktuellen Erkenntnisse werden in weitere Studien einfließen und dann in die Entscheidung, ob wir daraus weitere Vorsorgeempfehlungen ableiten müssen.

Wie lange wird man realistischerweise noch zuwarten müssen, um über mögliche Langzeitauswirkungen sprechen zu können?

Schiessl: Um wirklich gesundheitliche Schäden dingfest zu machen, werden epidemiologische Studien herangezogen, die beispielsweise Steigerungen von Krebsraten belegen oder nicht. Soweit ich die Studienlage kenne, liegt noch kein klarer Befund vor: Die Latenzzeit kann 15 bis 20 Jahre betragen. Die Mobilfunknutzung ist seit rund 15 Jahren in der breiten Masse angekommen, daher müsste man etwa in den nächsten fünf Jahren deutliche Anstiege epidemiologisch nachweisen können. Wenn das nicht der Fall ist, zeigt sich, dass keine relevanten Dauerschäden auftreten. Aber das bezieht sich immer rückblickend auf die Exposition, die man bislang hatte. Mit den neuen Technologien ändern sich auch die Expositionssituationen, siehe das 5G-Netz. Aber es kann durchaus sein, dass in fünf bis zehn Jahren durch die Exposition im hohen GHz-Bereich, sprich mm-Wellen, auch ganz andere Expositionssituationen vorliegen, die biologisch-medizinisch ganz anders bewertet werden müssen. Dazu kann ich natürlich keine Prognose abgeben.

Welche Handy-­Empfehlungen sind die wichtigsten und am leichtesten umzusetzen?

Schiessl: Abstand zu schaffen mit dem Headset und das Mobilfunkgerät in der Tasche und nicht am Körper zu tragen sowie natürlich die Exposition so kurz wie möglich zu halten. Allerdings habe ich das Gefühl, dass dieser Teil der Empfehlungen heute schon automatisch eingehalten wird, da das Telefonieren selbst eher zurückgeht und immer mehr die Datennutzung via Apps und Social Media in den Vordergrund rückt.

Warum tut man sich so schwer, die Kinder z.B. in den Schulen mittels Verboten vom Smartphone fernzuhalten?

Schiessl: Für die Schüler war der ATHEM-2-Film2 gedacht: Da haben wir extra mit Szenen und Argumenten für Kinder und Jugendliche gearbeitet, und zwar aus drei Gründen: Weil hier die Nutzung viel intensiver ist, weil die Lebensexposition eine viel länger zu erwartende ist und weil die Expositionsbewertung auf Grundlagen steht, die für Erwachsene gemacht worden sind. Es gibt durchaus vernünftige Gründe anzunehmen, dass Kindern sensibler sind: Bei einem kleineren Kopf mit dünnerer Schädeldecke kann die Strahlung deutlich besser eindringen, also sollte man aus Gründen der Vorsorge vorsichtiger agieren als bei Erwachsenen.

Sie haben gefragt, warum man im Schulbereich nicht offensiver von Handy-Verbot spricht: Man müsste das in verschiedene Aspekte trennen: Ein Aspekt ist die pädagogische Nutzung neuer Technologien wie drahtloses Arbeiten, WLAN, Tablets – hier gibt es gute Gründe für eine Unterrichtseinbindung, die auch von Bildungsexperten unter dem Stichwort Digitalisierung und Wissenserweiterung propagiert werden. Es wäre kontraproduktiv, ein Komplettverbot solcher Technologien in der Schule zu fordern. Natürlich gibt es betreffend das persönliche Handy gute, z.B. ergonomische oder auch psychologische Gründe wie die ständige Ablenkung durch Social Media, hier einzubremsen. Aber auch das machen vernünftige Pädagogen in Eigenregie. Ich denke, dass die Pädagogik hier auf einem guten Weg ist und hier lediglich Tipps zur Reduzierung der persönlichen EMF-Belastung nötig sind.

Bleibt das „gute alte Festnetztelefon“ in der modernen Arbeitswelt auf der Strecke?

Schiessl: Natürlich nimmt man wahr, dass die Trends bei der Planung neuer Büros hin zu Großraumbüros mit flexiblen Arbeitsplätzen laufen und manchmal Festnetzanschlüsse wegfallen. Aber ob das über die Masse der Arbeitsplätze der Trend wäre, kann ich nicht sagen. Was wir aber sagen können: Es wäre ideal, Festnetzanschlüsse zu erhalten, einerseits aus strahlenschutztechnischen, aber auch aus ergonomischen Gründen.

Wird der SAR­-Wert (Spezifische Absorptionsrate, Anm.) beim Erwerb von Smartphones in der breiten Bevölkerung als wesentlich beachtet oder zugunsten anderer Faktoren fallengelassen ?

Schiessl: Mittels SAR-Wert legen die Hersteller dar, dass ihr Produkt den Grenzwert einhält. Nachdem dies auch in den Medien diskutiert wird, ist das Thema recht bekannt. Die aktuell gültigen Werte für Allgemeinbevölkerung sind ein SAR-Wert von 2 W/kg lokal am Kopf – das muss jedes Handy einhalten, sonst kann man es nicht auf den Markt bringen. Hier gibt es aber eine starke Bandbreite, manche Modelle gehen mit 1,5 eher in Richtung Grenzwert, gute Modelle können das.

Zur Person

Dr. Klaus Schiessl ist bei der AUVA in der Abteilung für Unfallverhütung und Berufskrankheitenbekämpfung tätig. Der Physiker ist in der Gruppe Elektrotechnik einer der für den komplexen Themenbereich elektromagnetische Felder (EMF) verantwortlichen Mitarbeiter.

1 ATHEM-2-Studie (AUVA 2016, Mobilfunkstrahlung schädigt Erbgut. Athermischer Effekt nachgewiesen)
2 Im ATHEM-2 Video wird u.a. auf Kinder und Jugendliche eingegangen:

 

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune