Zarfl: „Ich würde mich nicht als Missionarin bezeichnen“
Übergangsministerin Dr. Brigitte Zarfl hofft, dass weiterhin Soziales und Gesundheit zusammenbleiben, legt die Messlatte fürs Fleischessen bei den Salzburger Festspielen an und sagt, warum sie Schulärzte aufwertet. (Medical Tribune 38/19)
Frau Bundesministerin, was sind Ihre wesentlichen gesundheitspolitischen Vorhaben für das kommende Monat – würden Sie gerne im Amt bleiben?
Zarfl: Das Mandat dieser Übergangsregierung ist, die Regierungsgeschäfte bis zum Antritt einer nächsten Bundesregierung zu führen. Dabei sind natürlich auch neue Themenstellungen in Angriff zu nehmen und die laufenden fortzuführen. Im Gesundheitsbereich ist jetzt vor allem die aktuelle Ausrollung der e-Medikation zu nennen, die im Lauf des September in Wien erfolgen und damit die erste Etappe dieses wirklichen Meilensteins bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen abgeschlossen sein wird.
Wir bereiten eine gesetzliche Grundlage für den e-Impfpass vor, der im kommenden Jahr in drei Bundesländern (Wien, NÖ, Stmk., Anm.) in einem Pilotverfahren getestet werden soll. Dabei soll mit einer definierten Anzahl an Ärzten die Möglichkeit dieses e-Impfpasses ausprobiert werden, um dann eine bundesweite Nutzung unter Einbeziehung aller möglichen Akteure sicherzustellen. Der e-Impfpass ist eine Maßnahme zur Hebung der Durchimpfungsrate.
Was ist Ihr persönlicher Eindruck von Impfgegnern?
Zarfl: Die nationalen Empfehlungen sind akkordiert an die Empfehlungen der WHO und auch an europäische Experten-Boards, wir agieren auf einer evidenzbasierten Grundlage der Gesundheitspolitik. Nationale Impfempfehlungen beruhen immer auf einer hohen wissenschaftlichen Basis. Die Frage der individuellen Ausgestaltung von Entscheidungen darf man in derartigen Kontexten aber nie von der letztendlichen Verantwortung der Individuen für ihre Umgebung entkoppeln. Wenn jemand individuell entscheidet, für sich etwas nicht haben zu wollen, muss immer mitbedacht werden, welche Konsequenzen das für andere haben kann. Beim Impfen überwiegt der Wert der Verantwortung für die Gesellschaft.
Welche Hauptfaktoren einer zielgerichteten Gesundheitspolitik gibt es aus Ihrer Sicht?
Zarfl: Gerade in meiner Ressortkonstellation, wo soziale Fragen, Arbeitsmarkt, Pflege, Pensionswesen, Fragen des Konsumentenschutzes, aber auch Arbeitsrecht und Arbeitnehmerschutz in einer Kompetenz zusammengefasst sind, gibt es sehr viele Möglichkeiten, Gesundheit und Gesundheitsförderung integriert zu denken und die jeweiligen Maßnahmen umzusetzen. Ich pflege daher innerhalb des Ressorts einen regen Austausch, welcher sehr viel alltäglicher und einfacher stattfindet, als wenn Ressortgrenzen überwunden werden müssen – insofern hoffe ich, dass eine kommende Bundesregierung diese Ressortzusammensetzung aufrecht lässt, damit die anstehenden Fragestellungen im Gesundheitsbereich in Angriff genommen werden können. Aus meiner Sicht hat sich das gut bewährt. Enge Zusammenarbeit gibt es z.B. mit der Ministerin für Umwelt und Landwirtschaft im Bereich der Agentur für Ernährungssicherheit. Diese Zusammenarbeit funktioniert auch mit anderen Ministerien sehr gut, es ist aber einfacher, bestimmte eng verwandte Themen in einem Ministerium zusammenzufassen.
Wie ist der Wert der Gesundheit in Ihrem Leben?
Zarfl: Ich habe meine Dissertation in dem Gebiet der Ernährungsepidemiologie verfasst, wo ich mich mit der methodischen Erhebung von Ernährungsaspekten der Kinder und Jugendlichen auseinandergesetzt habe, bin also Naturwissenschafterin. Meine ‚Stammausbildung‘ hat einen starken Gesundheitsbezug. Ich habe immer versucht, diese bewusste Einstellung in den Alltag zu integrieren, und das tue ich auch jetzt als Politikerin. Ich würde mich aber nicht als Missionarin bezeichnen.
Sie sind somit weder Veganerin noch bio-orientiert?
Zarfl: Weder das eine noch das andere, sondern ich halte es seit Anbeginn damit, mich ausgewogen und möglichst gesund zu ernähren. Das bedeutet einfach, dass ich relativ wenig Fleisch esse, ganz in der Tradition der Salzburger Festspiele, wo in der aktuellen Eröffnungsrede gesagt wurde: Eat less meat – was auch aus dem Klimawandel- Aspekt heraus jetzt neu konnotiert ist.
Gesundheit beginnt beim Säugling – die Kinder werden immer dicker, wo muss man Ihrer Ansicht nach bei der Gesundheitsförderung ansetzen?
Zarfl: Die letzten Daten des Österreichischen Ernährungsberichts 2017 haben gezeigt, dass wir – und das ist typisch für die europäische Staaten – ein deutliches Übergewichtsphänomen bei Männern haben. Speziell für Österreich war eine neue Erkenntnis, dass die Anteile bei Kindern und Jugendlichen mit deutlichem Übergewicht zugenommen haben. Das ist ein weltweiter Trend in der entwickelten Welt. Insofern ist es auch für Österreich wichtig, hier gezielt Maßnahmen im Bereich der schulischen Gesundheitserziehung sowie der Ernährung und gesunden Lebensführung zu fördern. Gerade bei Kindern und Jugendlichen müssen wir weiter aktiv sein. Österreich verfügt seit Ende der 1990er-Jahre über das Gesundheitsförderungsgesetz. Wir haben in den Bundesländern etablierte Gesundheitsförderungsstrukturen – das ist die Basis, auf der wir weiter arbeiten müssen. Ernährung ist ein wichtiger Faktor, Bewegung ebenso, und das Zusammenwirken dieser Lebensstil-assoziierten Fragen muss weiter beobachtet werden.
Haben Sie die Möglichkeit, Ihrer Kollegin im Unterrichtsressort zu sagen, mehr Wochenstunden für Turnen auf den Lehrplan zu setzen?
Zarfl: Die Ausgestaltung der Lehrplan-Inhalte liegt in der Zuständigkeit der Unterrichtsministerin. Es gibt aber eine sehr enge Zusammenarbeit mit der Ministerin für Bildung und Wissenschaft im Bereich der Aufgabenstellungen, die Schulärzte in Zukunft übernehmen. Ich habe eine Verordnung in Begutachtung* gebracht, die sicherstellt, dass Schulärzte in Zukunft ihre Rolle im Bereich schulischer Impfprogramme wahrnehmen können. Daneben sollen sie auch weiterführende Informationsaktivitäten betreffend den Gesundheitsbereich übernehmen können. Schulärzte haben eine wichtige Rolle im Bildungssektor, weil sie letztendlich beurteilen müssen, ob ein Kind gesund genug ist, um am Unterricht teilzunehmen – das ist der Wesenskern der schulärztlichen Aufgabe. Aber darüber hinausgehend macht es auch Sinn, Schulärzte verstärkt als Akteure im Bereich von Impfprogrammen zu verstehen und sie rechtlich so auszustatten, dass sie Impfungen ohne die Sorge verabreichen können, für Impfschäden haftbar gemacht zu werden. Die Verordnung soll noch im September in Kraft gesetzt werden.
Zur Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskasse: Sind Sie zuversichtlich, dass das mit Beginn 2020 wie geplant über die Bühne gehen wird?
Zarfl: Das Sozialversicherungsorganisationsgesetz wurde im Nationalrat beschlossen. Es gibt einen klaren Zeitplan für die Überleitung der bestehenden in die neuen Strukturen. Es soll ab 1.1.2020 der vorhandene Apparat der 21 Krankenkassen in den neuen fünf Kassen zusammengeführt sein. Diese Arbeit im Rahmen der Krankenkassen, die als Struktur der Selbstverwaltung weiter funktionieren, findet in deren autonomer Gebarung statt. Die handelnden Personen sind mit großem Engagement tätig, um diese nicht leichte und organisatorisch herausfordernde Aufgabe zu bewältigen. Ich gehe davon aus, dass der Zeitplan eingehalten wird. Die Rolle meines Hauses in diesem Prozess ist die einer formalen Aufsicht, damit diese Überführungshandlungen gesetzeskonform stattfinden.
Sind Selbstbehalte geeignet, um die Gesundheitsverantwortlichkeit zu stärken? Und sind Sie dafür oder dagegen?
Zarfl: Die Gestaltung im Bereich der Krankenversicherungen ist eine grundlegende Entscheidung der Selbstverwaltungssysteme. Wir haben im Bereich der bisherigen Gebietskrankenkassen und Gesundheitskassen diese Selbstbehalte nicht vorgesehen, bei anderen Trägern waren sie vorgesehen. Es gibt derzeit keine Planungen, hier weiter steuernd einzugreifen.
Warum tut man sich gesundheits- und gesellschaftspolitisch so schwer, Fehlverhalten wie etwa „Trinken“ oder Fehlernährung zu sanktionieren?
Zarfl: Im Juli wurde im Nationalrat ein guter Schritt beschlossen, indem Rauchen in der Gastronomie verboten wurde. Das kommt sowohl den Bediensteten in der Gastronomie als auch den Gästen zugute. Österreich hat den Weg eingeschlagen, in bestimmten Sektoren das Rauchen nicht zu erlauben. Wir folgen damit internationalen Erkenntnissen, die belegen, dass Rauchen mit großen Gesundheitsgefahren behaftet ist. Wir haben dabei aber keine Sanktionsmaßnahmen für das individuelle Verhalten gesetzt. Es hat in Österreich eine breite Debatte stattgefunden, sodass diese Maßnahmen auf gute Akzeptanz stoßen. Wir waren auch eines der wenigen Länder in der Europäischen Union, die derartige Maßnahmen bisher noch nicht umgesetzt hatten.
Ihr Schluss-Statement?
Zarfl: Die Arbeit als Ministerin macht mir große Freude, ich freue mich aber auch auf meine Rückkehr zu meiner Arbeit als Präsidialleiterin.
* siehe MT-Bericht Ausgabe 29–35 (Ende der Begutachtungsfrist war am 6.9.2019): Mehr Hausaufgaben für Schulärzte