Geburtshilfe Wien: Steigende Unterversorgung bei Hebammenbetreuung
Wiener Hebammen alarmieren: Bis zu fünf Gebärende versorgt eine Hebamme in der Hauptstadt derzeit gleichzeitig – das ist unzumutbar sowohl für werdende Mütter als auch Hebammen.
Immer mehr Hebammen arbeiteten in chronisch unterbesetzten Kreißsälen und seien einem Arbeitsdruck ausgesetzt, der ungesunde Ausmaße annehmen könne. „Eine einzelne Hebamme betreut inzwischen bis zu fünf Gebärende gleichzeitig. Das sind unzumutbare Bedingungen, für die gebärenden Frauen und für die Hebammen,“ sagt Marianne Mayer, Leiterin der Landesgeschäftsstelle Wien des Österreichischen Hebammengremium. Weiter erklärt sie: „Die Ökonomisierung in der Geburtshilfe und die Einsparungen beim Personal sind so weit fortgeschritten, dass eine adäquate Eins-zu-eins-Betreuung, die sowohl für die Gebärende als auch für die begleitende Hebamme stimmig ist, praktisch unmöglich geworden ist. Viele angestellte Hebammen stehen unter Stress, der Druck bei der Arbeit nimmt immer mehr zu. Frauen und Neugeborene sind im Kreißsaal immer öfter unzureichend versorgt.“
Zu wenig Geld, zu wenig Hebammen
„Die Geburtshilfe in Wien ist unterfinanziert und nun zeigen sich an allen Ecken und Enden die Probleme. Wir brauchen rasche Lösungen für das Problem der Überlastung der Hebammen im Kreißsaal,“ fordert Mayer. „Darum kämpfen Hebammen in Wiener Krankenanstalten wie z.B. dem St. Josef Krankenhaus, weitere Hebammen sollen aufgenommen werden. Gleichzeitig können Hebammenstellen, die z.B. in der Semmelweisklinik (jetzt Krankenhaus Nord) oder der Rudolfstiftung ausgeschrieben sind, nicht besetzt werden, weil sich niemand bewirbt.“
Die Leiterin des Wiener Hebammengremiums fordert zusätzliche FH-Studiengänge für Wien. Zurzeit startet jedes Jahr ein Hebammen-Studiengang mit 30 Studienplätzen an der FH Campus Wien. Laut Mayer ist das in der aktuellen Situation viel zu wenig. Sie fordert als rasche Sofortmaßnahme, dass in den kommenden Jahren jeweils zwei Hebammen-Studiengänge starten.
Vorteile der Eins-zu-eins-Betreuung durch Hebammen
Zahlreiche Studien zur Geburtshilfe kommen zum gleichen Ergebnis: Frauen wünschen sich eine möglichst gleichbleibende Fachperson, die sie in der Schwangerschaft, während der Geburt und in den ersten Monaten danach gut betreut. Im Vorzugsmodell der Eins-zu-eins-Betreuung ist dabei die Zufriedenheit der Frauen mit der Geburtshilfe am größten.
Gleichzeitig führt Eins-zu-eins-Betreuung in der Geburtshilfe auch aus medizinischer Sicht zu den besten Ergebnissen. Epiduralanästhesien und Episiotomien sind bei Eins-zu-eins-Betreuung deutlich seltener, das Risiko einer Frühgeburt ist geringer.
Die brandneue WHO-Geburtshilfe-Richtlinie aus dem Jahr 2018 zur „Betreuung während der Geburt für ein positives Geburtserlebnis“ 1 spricht eine klare Empfehlung für Hebammen-geleitete Eins-zu-eins-Betreuung aus, bei der eine bekannte Hebamme oder eine Gruppe von bekannten Hebammen die Frau in der Schwangerschaft, Geburt und Zeit nach der Geburt betreut. Ein großer Cochrane-Bericht aus dem Jahr 20152 vergleicht Hebammen geleitete Eins-zu-eins-Betreuung mit anderen Modellen der Schwangerenbetreuung und kommt zu dem Ergebnis, dass Eins-zu-eins-Betreuung durch Hebammen zahlreiche Vorteile für Mütter und Babys bringt und keine negativen Auswirkungen hat – im Vergleich mit Betreuungsmodellen, bei denen Ärzte die Leitung haben oder die Leitung zwischen Ärzten und Hebammen geteilt wird. Der Cochrane Report nennt als wesentliche Vorteile geringere Raten an Epiduralanästhesie, Dammschnitten und Interventionen während der Geburt, außerdem ein geringeres Frühgeburtsrisiko.
Quelle
APAMED vom 10.07.2019
- WHO recommendations: intrapartum care for a positive childbirth experience. Geneva: WorldHealth Organization; 2018.
- Midwife-led continuity models versus other models of care for childbearing women (Review), 2015, The Cochrane Collaboration.