Mehr Sicherheit für Medikamente
Ein neues digitales Sicherheitssystem soll das Eindringen gefälschter Arzneimittel in die legale Lieferkette verhindern. Ab sofort werden 150 Millionen Packungen pro Jahr mit Seriennummern und Manipulationsschutz versehen. (Pharmaceutical Tribune 3/19)
Am 9. Februar war es so weit: Der Stichtag für die Umsetzung der Arzneimittel-Fälschungsrichtlinie (2011/62 EU) war da. Dem war eine drei Jahre dauernde Vorbereitungszeit vorangegangen. Kernstück der Richtlinie ist ein neues digitales Sicherheitssystem für rezeptpflichtige Arzneimittel, das Medikamentenpackungen durch Seriennummern nachverfolgbar macht (siehe auch Pharmaceutical Tribune Nr. 19/2018).
„Wir in Österreich haben immer schon eine sehr sichere und hochwertige Versorgung mit Arzneimitteln gehabt“, erklärte Dr. Jan Oliver Huber, Präsident der AMVO, anlässlich der Pressekonferenz, bei der das neue System vorgestellt wurde: „Mit diesem neuen Serialisierungssystem setzen wir die EU auf ein gesamt hohes Niveau.“ Von der Neuregelung betroffen sind alleine in Österreich pro Jahr 150 Millionen Packungen, die von 247 Pharmaunternehmen hergestellt werden. Rund 170 Arzneimittel-Großhändler, 1.440 öffentliche Apotheken und Krankenhausapotheken sowie 860 hausapothekenführende Ärzte und 22 In-vitro-Fertilisations-Zentren sind in Österreich in das System eingebunden.
Sicherheitsmerkmale
Das neue System sieht vor, dass jede einzelne rezeptpflichtige Arzneimittelpackung vom Hersteller mit zwei Sicherheitsmerkmalen ausgestattet wird: einem 2D-Data- Matrix-Code und einem Manipulationsschutz z.B. in Form einer Perforation oder eines Siegels. Der 2D-Data-Matrix-Code enthält neben dem Produktcode, der Chargenbezeichnung und dem Ablaufdatum eine individuelle Seriennummer, die jede einzelne Packung eindeutig identifiziert.
In der Praxis
Konkret sieht das neue System so aus, dass der Hersteller das Arzneimittel über einen EU-Datenspeicher und die jeweiligen nationalen Datenspeicher der EU-Mitgliedsstaaten in das neue Sicherheitssystem einbucht und die Apotheken, die Krankenhausapotheken und die hausapothekenführenden Ärzte als abgebende Stellen die Medikamente mittels Scan auf ihre Echtheit überprüfen und sie ausbuchen. So können gefälschte Medikamente abgefangen werden, bevor sie an Patienten abgegeben werden.
Komplexes System
Doch nicht alle Medikamente sind bereits jetzt mit den neuen Sicherheitsmerkmalen ausgestattet. So gilt für jene Arzneimittel, die vor dem 9. Februar für den Verkehr freigegeben wurden, eine Übergangsphase bis 2024. In diesem Zeitraum dürfen sie bis zu ihrem jeweiligen Ablaufdatum bedenkenlos an die Patienten abgegeben werden. Das System ist hochkomplex und war für alle Beteiligten mit einigen Umstellungen und Adaptionen verbunden. So musste die Industrie zahlreiche neue Prozesse aufsetzen – von der Produktionssteuerung bis hin zur Qualitätssicherung –, die die Fertigungslinien mit Druckern, Scannern und Kameras ausstatten.
Auch die Apotheken hatten Aufwendungen zu tätigen. „Wir haben einiges investiert, wir mussten hard- und softwaremäßig aufrüsten“, erklärte Dr. Gerhard Kobinger, Präsidiumsmitglied der Österreichischen Apothekerkammer. Diese Kosten haben die Apotheken, ebenso wie die Pharmaindustrie und der Großhandel, selbst zu tragen. Dem Kammervertreter macht auch ein anderes, praktisches Problem Kopfzerbrechen. Kobinger: „Ich hoffe, dass die Antwortzeiten des Systems tatsächlich nur diese 300 Millisekunden betragen werden, die uns zugesichert wurden.“ Denn auch andere IT-Anwendungen, wie z.B. die Registrierkassenverordnung, die E-Medikation usw. erfordern, dass Datenmengen an andere Stellen versendet oder mit diesen abgeglichen werden müssen.
So besteht die Gefahr, dass die Antwortzeiten länger werden. „Was wir dringend brauchen, vor allem im ländlichen Bereich, ist die vielbeschworene Breitbandmilliarde der Bundesregierung, damit man auch am Land einen guten Internetzugang hat“, so Kobinger, „Wenn ich ein Rezept mit sechs Arzneimitteln darauf abgebe und das abschließe, so dauert das fünf Sekunden in Graz.“ Dennoch sieht er auch Vorteile im neuen System. So kann man durch den Zwischenscan bei der Warenübernahme automatisch auch das Ablaufdatum und die Chargennummer dokumentieren. Kobinger: „Im Fall eines Chargenrückrufes sieht man sofort, ob man davon noch etwas da hat oder nicht.“ Auch das Ablaufmanagement kann so teilweise an das System ausgelagert werden.
Risiko gering
Das Risiko, dass gefälschte Arzneimittel in die legale Lieferkette eindringen, ist sehr gering – nun wird es noch weiter gesenkt. „Es gibt eine Schätzung der European Medicines Verification Organisation (EMVO), die besagt, dass der Prozentsatz der Fälschungen (in der legalen Lieferkette, Anm.) derzeit bei 0,005 Prozent liegt“, erklärte Dr. Wolfgang Andiel, stellvertretender Vorsitzender der AMVO und Präsident des Österreichischen Generikaverbandes. So kam es vor Kurzem beispielsweise vor, dass eine Charge eines bereits abgelaufenen Arzneimittels umgepackt und erneut in den Handel eingebracht wurde. Andiel: „Das System würde jetzt identifizieren, dass die Charge bereits abgelaufen ist, und dieses Produkt könnte nicht abgegeben werden.“
Stabilisierungsphase
Bis zum 9. August befindet sich das System in der sogenannten Stabilisierungsphase. In dieser Zeit haben alle am neuen Sicherheitssystem beteiligten Personen und Organisationen die Möglichkeit zu lernen und Prozess- oder Anwendungsfehler zu erkennen und zu beheben. Wenn beim Scan-Vorgang in der Stabilisierungsphase – sprich beim Ausbuchen des Arzneimittels – die Meldung „Stabilisierungsphase – Systemüberprüfung – VAS prüft Arzneimittelpackung“ aufscheint, müssen Apotheker die Packung manuell auf ihre Unversehrtheit und Echtheit überprüfen. Ist die Arzneimittelpackung augenscheinlich in Ordnung, entscheidet der jeweilige Apotheker wie bisher über die Abgabe. Alle „Systemüberprüfungsmeldungen“ werden von der AMVS gemeinsam mit dem Zulassungsinhaber des Arzneimittels analysiert.