Wie eine Landapotheke im Osten Finnlands tickt
In Maaninka im Osten Finnlands leitet Vesa Karttunen eine kleine Apotheke, die mitten im ländlichen Alltag Ostfinnlands zum Zentrum der Gesundheitsversorgung wird – zwischen Dunkelheit, Sauna-Tradition und den Herausforderungen der finnischen Gesundheitspolitik.

Finnland erlebt gerade wieder eine recht finstere Zeit. Im ostfinnischen Maaninka ist man zwar von Mitternachtssonne und Polarnacht weit entfernt, aber die Tage sind jetzt doch schon um zwei Stunden kürzer als in Wien. Und zur Wintersonnenwende am 21. Dezember erlischt das Tageslicht überhaupt schon um 14.33 Uhr. Das wird gefeiert, denn ab da wird es wieder heller.
Vesa Karttunen kennt es nicht anders. Der 44-jährige Pharmazeut leitet die kleine Apotheke im Städtchen Maaninka, das zu Ostfinnlands größter Stadt Kuopio gehört. „Wir sind hier in Maaninka klar auf dem Land, einige Bauernhöfe befinden sich ganz in der Nähe“, sagt Karttunen. Die Gegend rund um Kuopio bildet das Herz der finnischen Seenplatte, hält malerische Golfplätze für den Pharmazeuten bereit und rühmt sich, die meisten Ferienhäuschen im Land zu haben.
Seine Apotheke befindet sich in einem ebenerdigen Gebäudekomplex, Tür an Tür mit dem Busbahnhof. Der sorgt wie der Supermarkt und die Bank in der Nähe für Laufkundschaft. Die meisten Kunden und Kundinnen kommen allerdings mit dem Auto, denn Maaninka ist alles andere als dicht besiedelt.
Drei Pharmazeutinnen im Team
Nachdem Karttunen sieben Jahre in einer größeren Apotheke in Finnland im 20 Autominuten entfernten Siilinjärvi angestellt war, fühlt er sich jetzt mit seiner eigenen Apotheke „angekommen“. Dabei war es für ihn nicht von vornherein klar, dass er diesen Karriereweg einschlagen würde. „Ich habe auch einige Zeit in der pharmazeutischen Industrie gearbeitet“, erzählt Karttunen. Und er hat eine Doktorarbeit über innovative Forschungsmethoden an der Plazenta geschrieben. Der direkte Kontakt zu Menschen an der Tara war ihm dann aber doch lieber als die Pharmaindustrie oder die Forschung. Als die finnische Arzneimittelagentur eine neue Apothekenleitung in Maaninka ausschrieb, hat er sich beworben und als bester Kandidat den Zuschlag bekommen.
Mit drei Pharmazeutinnen an Bord ist sein Team beeindruckend hoch qualifiziert. Wobei der Akademikeranteil in Finnland generell um einiges über dem österreichischen liegt. Fremdsprachen sind dagegen kein großes Thema. „Wir brauchen nur manchmal Englisch.“ Auch die zweite Landessprache Schwedisch betrifft den Betrieb kaum. Anders ist das bei den Apotheken an der Süd(west)küste Finnlands sowie auf den südlichen Inseln mit ihrer teils schwedischen Bevölkerung.
In Maaninka bringt es der ländliche Standort mit sich, dass die Kunden und Kundinnen meist schon älter und daher seltener in Zeitnot sind. Mit jenen, die regelmäßig kommen, ergibt sich schon einmal der eine oder andere kurze Plausch. Wenn das Gespräch auf „Anja“ kommt, geht es allerdings nicht um eine Frau, sondern um einen maschinenbetriebenen Dosierungsservice für die Bewohnenden von Altenpflegeheimen.
Sauna, die Apotheke des kleinen Mannes
Einen hohen Medikamentenbedarf haben auch Menschen mit Multipler Sklerose (MS), mit denen es Apotheken in Finnland öfter zu tun haben. „Wir wissen nicht wirklich, woran es liegt, aber bei uns kommt MS häufiger vor als im Rest Europas“, berichtet Karttunen. Die langen Zeit der Dunkelheit wiederum trägt dazu bei, dass der Bedarf an Vitamin D und Antidepressiva höher ist als anderswo.
Bald wird die Apotheke Impfungen anbieten. Erlaubt ist dies bereits. Wobei die Grippe und grippale Infekte trotz des kühlen Klimas kein übergroßes Thema sind. „Ich glaube, dass unser Klima und möglicherweise ja auch die Sauna das Immunsystem stärken.“ Eine Schwitzhütte gibt es selbst in Mini-Wohnungen. „Die Sauna ist die Apotheke des kleinen Mannes“, lautet ein finnisches Sprichwort.
Social distancing und das Glück
Covid hat Finnland, auch dank Lockdowns und Grenzschließungen, gut gemeistert. Es gab im Vergleich zum schwedischen Nachbarn mit seiner ganz anderen Corona-Politik nicht einmal ein Fünftel so viele Erkrankte. Im Bezug auf das Schlagwort „social distancing“ wurde gewitzelt, dass man jetzt näher rücken müsse und sich schon freue, wieder zum gängigen Abstand zurückzukehren.
Die Finnen und Finninen gelten als recht schweigsam und wenig gesellig. So lautet die Kürzestfassung eines Witzes, den sie selber gerne erzählen: Gehen zwei Finnen etwas trinken. Sagt der eine: „Prost!“, antwortet der andere: „Sind wir da, um zu reden oder zu trinken?“
Die Introvertiertheit ändert aber nichts daran, dass das nordische Land, das fälschlicherweise oft Skandinavien zugeordnet wird, heuer schon zum achten Mal auf Platz eins des World Happiness Report gelandet ist. Daraus könnte man schließen, dass ein reichhaltiges Sozialleben nicht unbedingt ein Indikator für Glück ist.
Alkoholkonsum in Finnland
Fakt ist aber auch das Alkoholproblem. Mengenmäßig liegt man zwar im EU-Schnitt, trinkt allerdings geballt am Wochenende. „Wir gehen davon aus, dass 300.000 Finnen und Finninnen alkoholsüchtig sind“, sagt Karttunen. „Schlafprobleme, Stress – und Angststörungen sind teilweise wohl auch darauf zurückzuführen.“ Immerhin ist der Alkoholkonsum in den letzten Jahren gesunken. Das liegt auch daran, dass die Jugend anders tickt.
Auch mit dem Rauchen assoziierte Krankheiten sind mittlerweile wesentlich seltener. Sogar am heimischen Balkon darf nur mehr geraucht werden, solange es die Nachbarn nicht stört.
Sorgen macht dem Vater zweier Buben dagegen die Gesundheitspolitik. „Die aktuelle finnische Regierung wirtschaftet den Gesundheitssektor herunter. Kleine Einheiten werden geschlossen und die medizinischen Dienstleistungen mit geringer Belegschaft in größeren Städten konzentriert.

Vesa Karttunen
Apotheken sind in Finnland ein wichtiger Bereich der Gesundheitsversorgung, aber die Regierung versucht gerade, dieses System zu schwächen, indem sie einen geringeren Anteil der Medikamentenkosten übernimmt.“ Dass OTC-Produkte künftig zum Teil auch in Supermärkten verkauft werden sollen, stört die Apotheker und Apothekerinnen gewaltig. Eine Veränderung bei der Apothekensteuer wiederum treffe insbesondere die kleinsten Apotheken.
Gut, dass es mit den Impfungen bald ein neues Dienstleistungsangebot gibt. Es kann außerdem sein, dass er in ein paar Jahren die Leitung einer größeren Apotheke übernimmt - denn so sehen Apothekenkarrieren in Finnland aus.
Die finnische Apotheke in Zahlen und Fakten
In Finnland stehen 5,7 Millionen Einwohnenden ca. 830 Apotheken zur Verfügung. Um auf den EU-Schnitt zu kommen, müssten es etwas mehr als doppelt so viele sein.
Zuständig für die Konzessionsvergabe ist die finnische Arzneimittelagentur FIMEA, der es darum geht, dass die Versorgung auch in dünn besiedelten Gebieten sichergestellt ist. Eine progressive Apothekensteuer gleicht die Unterschiede in der finanziellen Situation zwischen den Apotheken ein Stück weit aus.
Der Abschluss eines dreijährigen Bachelorstudiengangs inklusive Praktika befähigt zur pharmazeutischen Mitarbeit in der Apotheke, ein Master zur Leitung. Eine finnische Besonderheit: Die beiden Universitäten mit Pharmaziestudium besitzen selbst eine Apotheke, die Universität Helsinki darf zusätzlich 16 Filialapotheken betreiben.
Die Rezeptgebühr für komplett erstattungsfähige Arzneimittel beträgt € 4,50. Abgesehen davon schießt ab einer Summe von € 70 pro Person und Jahr die staatliche Krankenversicherung je nach Medikament einen Kostenanteil von 40, 65 oder 100% zu. Dies gilt bis zu Ausgaben von 633 Euro jährlich, danach braucht man nichts mehr zu zahlen. Gegen einen kleinen Beitrag gibt es außerdem eine Rezeptverlängerung.
Der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten ist erlaubt, der Fremdbesitz von Apotheken nicht.
