Moderne Apotheke, Kosovo Style, oder: Frauenpower im Kosovo
Wie tickt eine Apotheke im jüngsten Staat des Kontinents - dem Kosovo? Warum fällt dort öfter der Begriff "vegan" und wieso greifen viele Kosovaren und Kosovarinnen in den Apotheken tief ins Geldbörsel?

Wenn die Fußgängerzone im Zentrum nach Mutter Theresa benannt ist und eine wichtige Straße im Südwesten der Stadt „Bulevardi Bill Klinton“ heißt, ist von Pristina die Rede. In der heute fast ausschließlich von ethnischen Albanern und Albanerinnen bewohnten Hauptstadt des Kosovo zeigt man sich stolz auf die heilig gesprochene Ordensschwester albanischer Herkunft und dankbar für den 1999 erfolgten Nato-Einsatz unter Federführung der USA und gegen die serbischen Truppen im Kosovo.
Kosovo seit 2008 unabhängig
Gerade einmal zwei Jahre alt war die Apothekerin Jona Raçi damals. Schon mehr mitbekommen hat sie 2008, als der Kosovo unabhängig wurde. Heute, mit 28 Jahren leitet sie die Apotheke Novapharm in der 200.000-Einwohnenden-Stadt Pristina, gemeinsam mit Tuba Agushi, ebenfalls Pharmazeutin.
Die beiden sind ein eingeschworenes Team. „Wir kennen uns schon sehr lange, waren bereits am College befreundet“, sagt Raçi. Gemeinsam haben sie eine Nahrungsergänzungsmittel (NEM)-Linie entwickelt. „Und wir verkaufen unsere Marke nicht nur bei uns, sondern auch an andere Apotheken“, so Raçi stolz.
Dass die Pharmazeutinnen ihrer Qualifikation entsprechend im Land arbeiten, ist keine Selbstverständlichkeit.

Im Bild links, unsere Interview-Partnerin Jona Raçi.
Zahllose Akademiker und Akademikerinnen sind ausgewandert oder lassen sich letztendlich auf einen der gesuchten und gut bezahlten handwerklichen Berufe umschulen. Und: Trotz hoher Akademikerinnenquote sind lediglich ein Fünftel der Frauen im Land erwerbstätig. Raçi und Agushi gehören zu dieser Minderheit.
Modern, hell und freundlich sieht ihre Apotheke aus. Man merkt, dass sie erst drei Jahre alt ist. Hinter der Glasfront, wo die Öffnungszeiten mit 7 bis 23 Uhr angegeben sind, arbeiten unter der Ägide von Raçi und Agushi „vier Mitarbeiterinnen - zwei als pharmazeutische Assistentinnen, zwei sind für den Auftritt in den sozialen Medien Instagram, Tiktok und Facebook sowie die Homepage zuständig.“ Da spielt natürlich die Vermarktung der eigenen NEM-Marke eine große Rolle. „Wir verwenden die sozialen Medien hier aber generell sehr viel.“
Religiös bedingte Sonderwünsche in der Apotheke
Erstmals in der Serie „Andere Länder, andere Apotheken“ steht ein muslimisches Land im Mittelpunkt. Das bringt Unterschiede mit sich. Denn Alkohol und Schweinefleisch sind auch bei Arzneimitteln ein Thema. Ethanol dient häufig als Lösungsmittel von Wirk- und Hilfsstoffen oder zur Konservierung von Tropfen und Säften. (Meist) aus Schweinefleisch hergestellte Gelatine wiederum schützt die Hülle von Kapseln vor Licht, Feuchtigkeit und Sauerstoff.

„Viele sind sich dieser Inhaltsstoffe gar nicht bewusst, ab und zu fragt aber doch jemand nach einer veganen Alternative.“ Dafür muss dann allerdings wesentlich tiefer in die Tasche gegriffen werden. Raçi schätzt, dass jeder und jede Fünfte dazu bereit ist, „meist die Religiöseren.“
Demgegenüber legt die Bevölkerungsmehrheit auf die Einhaltung des Ramadan Wert. Den Fastenmonat merkt die Apotheke im Kosovo daran, dass, so Raçi „mehr Kopfwehtabletten verlangt werden.“ Wobei ältere, chronisch kranke Menschen, die viele Medikamente schlucken müssen, aus gesundheitlichen Gründen ohnehin nicht fasten.
„Rauchen ist hier ein großes Problem“, sagt die Apothekerin. Viele Ältere treiben die Spätfolgen wie Herzleiden oder gar Lungenkrebs in die Apotheken. Speziell in Pristina kann die schlechte Luft bei Tiefdruck und in der Heizperiode schwere Atemwegserkrankungen verursachen.
Was sich ebenfalls niederschlägt: Das Durchschnittsalter liegt mit 32 Jahren um stolze 11 Jahre unter dem österreichischen. Damit handelt es sich um eine der jüngsten Bevölkerungen des Kontinents. Raçis hat es daher mit wesentlich mehr jungen Müttern zu tun als dies hierzulande der Fall wäre. Wobei die Geburtenrate mittlerweile auf 1,5 Kinder pro Frau gesunken ist. Dennoch ist das Thema Verhütung in der konservativen Gesellschaft des Kosovo noch ein großes Tabu. Obwohl es die Anti-Baby-Pille auf Rezept und die „Pille danach“ rezeptfrei gibt.
Kosovo: Euro ohne EU
Bezahlt wird, zum großen Staunen der Reisenden, in Euro. Der Euro folgt auf die D-Mark, der wiederum eine Folge des Jugoslawien-Kriegs war.
Und es werden viele Euros auf die Tara gelegt. Denn in Ermangelung einer funktionierenden staatlichen Krankenversicherung muss die Bevölkerung verschreibungspflichtige Medikamente oft selbst berappen. Selber zahlen, das gilt auch für so manchen Arztbesuch, speziell, wenn es um eine Diagnose geht. Das können sich viele Landsleute nicht leisten.

Menschen wie Raçi und Agushi kommt folglich eine zentrale Rolle in der medizinischen Beratung zu – zu ihrer Freude. „Unseren Kunden und Kundinnen haben ein sehr vertrautes Verhältnis zu uns.“ Die Blutzucker-Messung lässt sich gleich in der Apotheke erledigen. „Und ab und zu kommt ein Hautarzt bzw. eine Hautärztin zu uns.“ Das passt zum reichhaltigen Hautpflege- Angebot.
Lichtblicke und ungelöste Probleme
Die Medikamentenpreise sind bis dato nicht reguliert. Mit der Folge, dass ein und dasselbe Mittel gegen Herzinsuffizienz in Apotheken im Kosovo zwischen 25 und 75 Euro kostet. „An einheitlichen Preisen wird aber gearbeitet, dieses Problem werden wir künftig also nicht mehr haben“, sagt Raçi. Die Apothekerschaft begrüßt dieses Vorhaben laut Apothekerkammer zu 99 Prozent. So könne man sich wieder auf die eigentlichen Aufgaben dieses Berufs konzentrieren, heißt es. Eine Preisliste für Tausende Arzneimittel gab es bereits, allerdings lagen die festgelegten Preise über den Marktpreisen, eine Verteuerung wäre also das Resultat gewesen.
Ein großes Problem ist der exorbitante Mangel an Medikamenten. „Kosovo ist ein sehr kleiner Markt“, sagt Raçi. Das bedeutet, dass das Land für viele ausländische Pharmafirmen nicht so wichtig ist. Abgesehen davon sind Importe aus Serbien und anderen Ländern nur eingeschränkt möglich. In der ersten Jahreshälfte 2024 wurden neun Apotheken wegen illegal importierter Arzneimittel aus Serbien mit Geldstrafen belegt.
Eine zunehmende Herausforderung ist die Tendenz vieler Apotheken, anders als Novapharm verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne Rezept abzugeben, auch Antibiotika und Benzodiazepine. Die Apothekerkammer schreibt es auch einem Mangel an zugelassenen Apothekern und Apothekerinnen zu. Tatsächlich fehlten bei 182 Inspektionen der Pharmazeutischen Aufsichtsbehörde in über 100 Fällen Fachpersonal in den Apotheken.
Zahlen & Fakten der kosovarischen Apotheke
Das 1,6-Millionen-Einwohnenende-Land Kosovo hat 650 Apotheken und 12.000 zugelassene Apotheker und Apothekerinnen.
Die meisten Apotheken sind privat geführt. Öffentliche Apotheken gibt es nur im Rahmen von Spitälern und Gesundheitszentren. Lediglich 10% der Apotheker und Apothekerinnen entscheiden sich für die Arbeit dort.
Standardmedikamente sind in der Regel im öffentlichen Bereich kostenlos, aber oft nicht verfügbar.
Die Gesundheitsausgaben des Staates liegen gemessen am Bruttonationalprodukt weit unter jenen der EU. Sechs von zehn für die Gesundheit ausgegebene Euro werden privat bezahlt, und das bei einem Durchschnittsgehalt von lediglich 639 Euro.