28. Mai 2025Andere Länder, andere Apotheken – Teil 9

Die Apotheke des Papstes

Mini-Staat, riesige Apotheke: Wie es in der Vatikan-Apotheke zugeht, wieso bisher so viele Menschen das lange Anstehen in Kauf genommen haben und was das Angebot des Betriebs mit der Enzyklika „Humanae vitae“ zu tun hat.

Vatikan-Apotheke
Foto: Vatikan-Apotheke

Ein Supermarkt, Post und Bank, ein Geldautomat mit lateinischer Sprachauswahl und eine große Apotheke: Das Geschäftsviertel des Vatikans ist überschaubar. In der Vatikan-Apotheke geht es dennoch alles andere als ruhig zu. Zurzeit erlebt sie besonders aufregende Zeiten. Ein neuer Papst bedeutet immer auch einen neuen wichtigsten „Kunden“.

Schon das letzte Pontifikat war für die Apotheke außergewöhnlich, gab es doch neben dem amtierenden Papst Franziskus bis 2022 gleichzeitig einen emeritierten Papst im Kirchenstaat. Über den US-Amerikaner Papst Leo XIV, wussten die Medien bereits zu berichten, dass er eine Smartwatch trägt, die medizinische Parameter wie Herzrhythmus und –frequenz misst. Das zeugt jedenfalls von Gesundheitsbewusstsein.

Das Gesundheitsthema ist im Vatikan eng mit den Barmherzigen Brüdern verbunden. Sowohl die Apotheke als auch die  ärztliche Betreuung hat traditionell dieser Krankenpflege- und Spitalsorden über. So heißt der aktuelle Leiter seit 2017 Frater Binish Thomas Mulackal. Er kommt aus dem indischen Kerala, wo er auch sein Pharmaziestudium absolviert hat. Wie es ihn nach Rom verschlug? „2007 wurde die indische Provinz im Rahmen der Erneuerung der Gemeinschaft der Barmherzigen Brüder gebeten, Brüder zur Leitung zu entsenden“, sagt Frater Binish.

Frater Binish Thomas Mulackal bei seiner Amtseinführung als Apothekenleiter des Vatikans 2017.
Foto: Vatikan Apotheke

Frater Binish Thomas Mulackal (l.) bei seiner Amtseinführung als Apothekenleiter des Vatikans 2017.

Groß war die Freude, als die Vatikanische Post letztes Jahr eine Sondermarke der Vatikan-Apotheke herausbrachte. Anlass war das 150-jährige Jubiläum, was auch mit einer Audienz bei Papst Franziskus gefeiert wurde. Unter Papst Pius IX. hat 1874 alles angefangen. Ein Frater namens Eusebius Frommer arbeitete damals in einer von den Barmherzigen Brüdern betriebenen Spitalsapotheke auf der Tiberinsel.

Auf Bitte des Vatikans übernahm Frommer auch die nächtlichen Apothekendienste im Vatikan. Eine Arzneimittelreserve für den Papst und die Kardinäle war damals dringend notwendig. Denn nachdem der Kirchenstaat 1870 vom eben gegründeten Königreich Italien einverleibt worden war, schloss sich Papst Pius unter Protest auf Lebenszeit im Vatikan ein.

Eusebius Frommer
Foto: Vatikan Apotheke

Der erste Apotheker des Vatikans, Frater Eusebius Frommer.

Welt-offen und bunt

Mit der Zeit wurde klar: Die Apotheke soll für alle offen sein. Dementsprechend imposant ist heute die Belegschaft. Auf 1000 m2 arbeiten 23 Pharmazeuten und Pharmazeutinnen in einem insgesamt 70-köpfigem Team, darunter nur mehr wenige Ordensleute. Frater Binish spricht von 2000 Kundenkontakten pro Tag. Da kommt keine Langeweile auf.

Historische Aufnahme der Vatikan Apotheke.
Foto: Vatikan Apotheke

Eine historische Aufnahme der Vatikan Apotheke.

Die Apotheke gilt sogar als die meistbesuchte der Welt. Und das Publikum könnte nicht bunter sein. Auf der einen Seite ist man für 1.000 Vatikan-Einwohnende plus etwa 3.000 Angestellte zuständig. Die andere Hälfte machen Pilger und Pilgerinnen, Touristen und Touristinnen und nicht zuletzt Römer und Römerinnen aus.

Da sich die Apotheke im Inneren des Vatikan befindet, müssen „Externe“ sich ausweisen und in der Regel auch noch eine ärztliche Verschreibung vorweisen. Wobei das Rezept kein italienisches sein muss.

Was die Römer und Römerinnen angeht, fragt man sich: Was kann die Vatikan-Apotheke, was andere Apotheken in Italiens Hauptstadt nicht können? Zum einen fällt im Kirchenstaat ein Mehrwertsteuersatz von 10 Prozent auf Arzneimittel und 22 Prozent auf alles andere weg. Abgesehen davon kann sich das Sortiment von stolzen 45.000 Produkten sehen lassen. Viele Arzneimittel findet man in italienischen Apotheken nicht oder zumindest noch nicht. Ein Faktum, das die Phantasie schon einmal zu sehr beflügelt hat. So machte laut dem Vatikanexperten und Autor Ulrich Nersinger das Gerücht die Runde, die Apotheke verkaufe ein Mittel gegen den Grauen Star. Das war dann doch zu schön um wahr zu sein.

Rezeptfreies aus der Vatikan-Apotheke

OTC-Produkte und Nahrungsergänzungsmittel gibt es in der Vatikan-Apotheke natürlich ebenso. Besonders gerne genommen wurden in der Vergangenheit etwa eine Narbensalbe, eine Muskelsalbe, ein Nahrungsergänzungsmittel gegen Haarausfall oder Aspirin mit Magenschutz aus den USA.

Kaum zu glauben: Auch die Schönheit und Düfte sind in der Vatikan-Apotheke ein großes Thema. Kosmetikartikel samt Beratung durch Kosmetikverkäuferinnen dürfen da nicht fehlen, vom Billigsegment über selbst Hergestelltes wie eine Anti-Cellulite-Tinktur bis zu den Lukusmarken. Auf der Homepage erfährt man zu diesem Angebot: „Die Kosmetikabteilung entstand aus dem Bedürfnis der Vatikanischen Apotheke, die Pflege und das Wohlbefinden jedes Menschen in all seinen Aspekten zum Ziel zu haben.“

Selbst hergestellte Mittel der Vatikan Apotheke.
Foto: Vatikan Apotheke

Selbst hergestellte Mittel der Vatikan Apotheke.

„Made in Vatican“ ist eine sakral angehauchte Parfumserie, die von den Barmherzigen Brüdern kreiert wurde. Die Düfte heißen mit Bezug auf die Heiligen drei Könige und die Jungfrau Maria Myrrhe, Weihrauch, Gold und „Rosa Mistica“.

Pillen ja, Pille nein

Was man nicht sieht, aber wissen muss: Gewisse Arzneimittel sind und bleiben in der Vatikan-Apotheke Tabu. Das gilt für medizinisches Cannabis, vor allem aber für Verhütungsmittel, die „Pille danach“ und auch Potenzmittel.

Ein 57 Jahre altes päpstliches Lehrschreiben, die Enzyklika „Humanae vitae“, prägt die Haltung des Heiligen Stuhls gegenüber der Anti-Baby-Pille bis heute. Künstliche Verhütung richte sich gegen die „natürliche Ausrichtung der Sexualität auf die Fortpflanzung“, lautet die Argumentation zum Leidwesen vieler Katholikinnen und Katholiken.

Zumal der Vatikan sich den Vorwurf gefallen muss, jahrelang in Pharmafirmen investiert zu haben, die an Verhütungsmittel  und der „Pille danach“ verdient haben.

Thema Schlangen

In den Griff bekommen hat Frater Binish Wartezeiten von 30 Minuten und mehr, die in der Vergangenheit ein großer Aufreger waren. Er vergrößerte die Apotheke und verpasste ihr einen Modernisierungsschub.

Es gibt jetzt ein online ersichtliches Nummernsystem. „Man kann also auf der Webseite nachschauen, wie viele Personen gerade warten und ob es eine gute Zeit für den Apothekenbesuch wäre“, so Frater Binish. Online erfährt man auch, ob ein gewisses Arzneimittel verfügbar ist und kann es nötigenfalls per Mausklick bestellen.

Ein großer Segen sind zudem die Arzneimittelroboter. „Binnen acht bis 20 Sekunden landet das georderte Medikament dank der Arzneimittelroboter bei den Verkaufsplätzen.“ Das Personal kann dadurch ein paar Worte mehr mit den Kranken wechseln – und zuhören. Ganz im Sinne dessen, was Papst Franziskus bei der Audienz anlässlich 150 Jahre Vatikan-Apotheke gesagt hat: „Der Apothekerberuf ist eine Mission. Vergessen Sie nicht das Postulat der Ohren: Zuhören, zuhören! Es klingt manchmal langweilig, aber für denjenigen, der spricht, ist es eine Zärtlichkeit Gottes durch Sie.“

Was die Kundschaft im Verkaufsraum nicht mitbekommt, sind die komplexern karitativen Tätigkeiten. Derzeit werden regelmäßig Medikamentenlieferungen für die Ukraine zusammengestellt. Immer wieder meldet sich das sehr engagierte päpstliche Almosenamt mit einem Auftrag. 2015 hieß es einmal 50 Kilo Krätzesalbe mischen.

Vatikan-Apotheke: Göttlich wirtschaften

Nicht weniger geschätzt sind im Vatikan die hohen Umsätze der Apotheke. Diese und der Erlös der Tickets aus dem Vatikan-Tourismus kann der Kirchenstaat angesichts der mageren Corona-Jahre gut brauchen. Zumal der Vatikan mit einem großen und höchst irdischen Finanzloch kämpft. Da mag die sixtinische Kapelle noch so überirdisch schön sein.