Infarkt ist häufigste Todesursache auf der Skipiste
Die Zahl der Verletzungen im Skisport hat sich in den letzten Jahren halbiert. Grund dafür sind besser präparierte und abgesicherte Pisten, verbessertes Material sowie das Tragen von Helmen. (Medical Tribune 7/2017)
Sonntag, 29. Jänner 2017, ein wolkenloser Wintertag in ganz Westösterreich. Die Pisten sind mit Urlaubern und Tagesgästen gut ausgelastet. In Söll am Wilden Kaiser ist eine fünfköpfige Kindergruppe auf einer blauen (also leichten) Piste unterwegs, begleitet von einem staatlich geprüften Skilehrer und zwei Hilfsskilehrern. Ein sechsjähriges Mädchen aus München gehört zu dieser Gruppe. Zeugenaussagen zufolge verliert das Mädchen plötzlich die Kontrolle über ihre Ski, wird immer schneller und rutscht schließlich unter einem Plastikzaun durch, der dort zur Absicherung vor einer fix installierten Schneekanone aufgestellt ist. Mit dem Kopf prallt das Kind gegen einen Hydranten am Standfuß der Schneekanone.
Obwohl das Mädchen einen Helm trug, erlitt es einen Schädelbruch und starb wenig später. Der Obduktion zufolge waren ein hoher Blutverlust und eine Luftembolie die Todesursache. Am selben Wochenende starben auf Österreichs Skipisten zwei weitere Wintersportler: Auf der steirischen Seite der Turracher Höhe kam ein 32-jähriger Kärntner über den Pistenrand hinaus und erlitt tödliche Verletzungen, und im Skigebiet Golm (Vorarlberg) zog sich ein 62-jähriger Einheimischer beim Sturz gegen die Säule einer Hinweistafel tödliche Kopfverletzungen zu.
Drei Pistentote an einem Wochenende, noch dazu bei besten Schnee- und Wetterbedingungen sind als bedauerlicher Zufall einzustufen. Denn die Unfallstatistiken und Expertenmeinungen sprechen eine andere Sprache, die Unfallzahlen insgesamt sind seit der Jahrtausendwende deutlich gesunken.
Pistentod durch Herzinfarkt
Im langjährigen Durchschnitt liegt die Zahl der Pistentoten bei 38, in den letzten Jahren bei weniger als 30. In der laufenden Saison wurden zwischen 1.11.2016 und 31.1.2017 zehn Tote gezählt (sieben weniger als im Vergleichszeitraum der vorigen Saison). In diesem Zusammenhang weist Dr. Karl Gabl in seiner Funktion als Präsident des Österreichischen Kuratoriums für Alpine Sicherheit darauf hin, dass etwa im Vorjahr knapp die Hälfte der Todesfälle auf der Skipiste einen Herzinfarkt als Ursache hatte.
Bezogen auf den Winter 2013/14 hat eine Studie der Universität Innsbruck und des Kuratoriums für Alpine Sicherheit 7325 Verletzte in 26 Skigebieten ausgewertet: Im Zehnjahresvergleich wurden 50 Prozent weniger Stürze und 55 Prozent weniger Verletzte ermittelt. Statistisch gesehen passiert eine Verletzung mit Behandlungsnotwendigkeit nur alle 1750 Skitage!
Gabl nennt folgende zentrale Gründe für diese Entwicklung:
- Die Pisten sind besser präpariert.
- Taillierte und kürzere Ski sind wendiger und leichter fahrbar.
- Die Technologie der Skibindungen hat sich verbessert, tendenziell sind die Bindungen auch besser individuell eingestellt.
- Immer mehr Urlauber leihen sich ihre Ski aus und fahren deshalb neueste Modelle, die perfekt eingestellt sind.
Der Innsbrucker Unfallchirurg Dr. Christoph Raas fügt noch folgende Gründe für die positive Entwicklung hinzu:
- Die Absicherungen auf Skipisten haben sich deutlich verbessert, etwa Polsterungen bei Hindernissen.
- Mehr als 90 Prozent der Skifahrer tragen inzwischen einen Helm, bei Kindern und Jugendlichen sind es sogar über 95 Prozent.
Einen gravierenden Einfluss auf das Unfallgeschehen haben die Pistenverhältnisse. Als im vergangenen Dezember nur schmale, harte Kunstschneepisten ohne Sturzräume zur Verfügung standen, häuften sich Unfälle mit schweren Kopf- und Wirbelsäulenverletzungen.
Kunst- oder Naturschnee
Insgesamt zeigen die Erfahrungen an der Innsbrucker Universitätsklinik für Unfallchirurgie eine deutliche Tendenz, wonach es auf harten Kunstschneepisten vermehrt zu Knochenbrüchen kommt; sobald Naturschnee das Geschehen bestimmt, sind es „signifikant mehr Bandverletzungen, insbesondere im Knie und mehr Verdrehtraumen“, sagt Raas.
Entgegen der medialen Wahrnehmung, in der Kollisionen und Fahrerflucht die Berichterstattung dominieren, sind real über 80 Prozent aller Stürze auf Eigenverschulden zurückzuführen, wobei wiederum Fahrfehler und ein Überschätzen des skifahrerischen Könnens im Vordergrund stehen. Frauen stürzen seltener als Männer, verletzen sich aber relativ öfter, insbesondere an den Knien. Als Grund dafür ist die geringere Muskelmasse im weiblichen Oberschenkel zu nennen.
Zeitgerecht trainieren
Die Empfehlungen zur Unfallprophylaxe sind umfangreich und beginnen bei der Einhaltung der FIS-Verhaltensregeln. Weil 30 Prozent der Verletzungen am ersten und 20 am zweiten Skitag passieren, empfiehlt Raas, den Skiurlaub langsamer zu beginnen und auf ein muskuläres Aufbautraining im Vorfeld zu achten: „Der Skisport stellt gewisse körperliche Anforderungen, man braucht eine gute Muskulatur am Oberschenkel, ansonsten geht es mehr auf Bänder und Gelenke, woraus ein höheres Verletzungsrisiko resultiert“, sagt Raas. Weitere Ratschläge sind Aufwärmen vor der ersten Abfahrt und bei schlechtem Wetter dem Reiz, den Skipass auszunützen, zu widerstehen.
Die dringendste Warnung von Karl Gabl lautet: „Die Leute fahren an Engstellen zu schnell. Es sollte auf die Hälfte des Fahrkönnens reduziert werden“, je nachdem wie viele Menschen unterwegs sind. Gabl empfiehlt „bei Engstellen in vorhersehbaren Bahnen abfahren und in kurzen Schwüngen in der Falllinie bleiben“. Ein derartiges Schwungverhalten ist für einen nachkommenden schnelleren Skifahrer leichter kalkulierbar. Insgesamt verleite das drehfreudige Skimaterial dazu, dass die Leute schneller unterwegs sind, als es ihrem technischen Können entspricht, resümiert Gabl.
Snowboarder und Rodler
Bei Snowboardern ist das Risiko von Frakturen des Handgelenks und des Oberarms deutlich erhöht. Ein Handgelenksschutz ist bei Snowboardern zu empfehlen. Auffallend ist auch das gegenüber Skifahrern bei Snowboardern deutlich erhöhte Risiko von Gehirnerschütterungen. Neben dem Skitourengehen (mit kaum vom Pistenfahren abweichenden Verletzungsmustern) boomt in den letzten Jahren in Westösterreich der Rodelsport.
Christoph Raas hat dazu 1200 Rodelverletzungen der Jahre 2010 bis 2016 untersucht, die an der Innsbrucker Unfallchirurgie behandelte wurden. Dazu hat er auch 110 Rodler befragt. Es dominieren Verletzungen an den unteren Extremitäten (Knochenbrüche, Sehnen-, Bänder-, Muskelverletzungen), gefolgt von Prellungen und Verstauchungen. Als häufigste Unfallursachen werden annähernd gleichrangig schlechte/gefährliche Bahnverhältnisse, Fahrfehler und die Kollision mit einem Gegenstand auf der Bahn genannt.
Österreichisches Kuratorium für Alpine Sicherheit: www.alpinesicherheit.at